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»Ich verstehe, was Ihr meint, Mylord«, sagte er und starrte den Mystiker drohend an. »Diese Männer haben im Dienst getrunken. Wenn die Gefangenen nun entkommen wären, während diese Männer berauscht herumlagen? Was dann? Der König muss das sofort erfahren, wenn wir unseren Rundgang beendet haben.«

Die Wachen erbleichten.

»Mylord, Ihr irrt Euch«, sagte einer von ihnen flehend. »Wir haben nur einen kleinen Schluck Wein zu uns genommen. Unsere Pflichten haben wir nicht -«

»Das soll der König entscheiden!« fuhr ihn Menion an.

»Aber - der König wird uns nicht anhören ...«

Stenmin machte zu diesem Theater ein finsteres Gesicht. Die Wachen legten das zu ihren Ungunsten aus und fürchteten für ihr Leben. Der Mystiker wollte etwas sagen, aber Menion trat schnell vor ihn hin, so, als wolle er Stenmin davor bewahren, sich im Zorn zu etwas hinreißen zu lassen. Er zog den Dolch und schwenkte ihn.

»Ja, gewiss, sie lügen wahrscheinlich«, sagte Menion mit unveränderter Stimme. »Immerhin, der König ist sehr beschäftigt, und ich belästige ihn ungern mit derlei Kleinigkeiten. Vielleicht ein mahnendes Wort an sie ...?«

Er schaute sich nach den Wachen um, die dumpf nickten, froh darüber, Stenmins Wut zu entkommen. Wie alle anderen Menschen im Reich fürchteten sie die Macht des unheimlichen Mystikers und vermieden es, ihn zu reizen.

»Nun gut, ihr seid gewarnt.« Menion steckte den Dolch wieder ein und drehte sich nach den zitternden Wachen um. »öffnet den Zugang zum Verlies und bringt die Gefangenen herauf!«

Er warf Stenmin einen drohenden Blick zu. Der Mystiker schien ihn nicht mehr zu sehen. Seine Augen starrten leer auf die Steinplatte, die den Zugang zu den Verliesen versperrte. Die Wachen hatten sich nicht gerührt, sondern sahen einander in neuer Verzweiflung an.

»Mylord, der König hat allen verboten, die Gefangenen zu sprechen gleichgültig, aus welchem Grund«, stieß einer der Soldaten schließlich hervor. »Ich darf sie nicht aus dem Verlies holen.«

»Ihr wollt also den Berater des Königs und seinen Ehrengast aufhalten.« Menion zögerte nicht. Er hatte mit solchen Hindernissen gerechnet. »Dann bleibt uns nichts anderes übrig, als den König herzuholen ...«

Mehr brauchte es nicht. Die Wachen überlegten nicht mehr lange, sondern stürzten zur Steinplatte und klappten die Riegel und Stangen hoch. Sie zerrten an dem Eisenring, und die Falltür kippte schwerfällig, bis die Platte auf dem Steinboden lag. Mit gezogenen Schwertern riefen die Wachen in die Dunkelheit hinunter und befahlen den Gefangenen, heraufzukommen. Menion wartete angespannt neben Stenmin. Das Schwert von Leah lag in seiner Hand, und mit der anderen hielt er Stenmin fest; er zischte ihm noch einmal ins Ohr, er möge schweigen. Schritte wurden auf den Steinstufen hörbar. Sie tappten langsam herauf, dann erschien Balinors breite Gestalt, gefolgt von den Elfen-Brüdern und dem unverwüstlichen Höndel, dessen eigener Versuch, seine Freunde zu retten, Stunden zuvor gescheitert war. Sie bemerkten Menion nicht gleich, bis der Hochländer, der Stenmin mitzerrte, vortrat und den Wachen befahclass="underline"

»So ist es recht, treibt sie vorwärts, drängt sie zusammen! Solche Männer müssen gut bewacht werden. Sie sind stets gefährlich.«

Die erschöpften Gefangenen hoben erstaunt die Köpfe. Menion zwinkerte ihnen verstohlen zu, und die Eingeschlossenen wandten sich ab. Nur ein schwaches Lächeln auf Dayels jungem Gesicht verriet etwas von der Freude, die sie beim Anblick ihres alten Freundes empfanden. Sie waren ganz heraufgestiegen und standen nun in einiger Entfernung von den Wachen, die Menion den Rücken zukehrten. Bevor Menion den Mund wieder auftun konnte, riss sich Stenmin plötzlich los und sprang zur Seite, um die ahnungslosen Wachen zu warnen und ein Entkommen der Gefangenen zu verhindern.

»Wachen, das ist ein falsches Spiel ...«

Er konnte nicht zu Ende sprechen. Als die Wachen herumfuhren, sprang Menion wie eine Raubkatze auf den fliehenden Mystiker zu und riss ihn zu Boden. Die Soldaten bemerkten ihren Irrtum zu spät. Die vier Gefangenen zögerten keinen Augenblick, fielen über die Wachen her und entwaffneten sie im Handumdrehen. Die Soldaten waren binnen Augenblicken gefesselt und geknebelt, und man schleppte sie in einen Winkel des Kellers, wo sie den neugierigen Blicken entzogen waren. Stenmin wurde hochgerissen und seinen Gegnern gegenübergestellt. Menion warf einen besorgten Blick auf die geschlossene Tür an der Steintreppe, aber nichts rührte sich. Der Schrei Stenmins war offenbar ungehört verhallt. Balinor und die anderen traten freudestrahlend auf Menion zu, hieben ihm auf die Schulter und schüttelten ihm die Hand.

»Menion Leah, wir schulden Euch mehr, als wir je wiedergutmachen können«, sagte Balinor. »Ich dachte nicht, dass wir Euch wiedersehen würden. Wo ist Allanon?«

Menion berichtete kurz, dass er Allanon und Flick in einem Versteck über dem Lager des Nordland-Heeres zurückgelassen habe und nach Callahorn gekommen sei, um die Stadt vor dem drohenden Angriff zu warnen. Während er Stenmin hastig knebelte, damit der Mystiker nicht ein zweites Mal versuchen konnte, Alarm zu schlagen, schilderte der Hochländer, wie er Shirl Ravenlock gerettet hatte und nach Kern und schließlich nach Tyrsis geflohen war, nachdem die Inselstadt ein Opfer der Flammen geworden war. Seine Freunde hörten mit grimmigen Mienen zu.

»Wie es auch weitergehen mag, Hochländer«, sagte Höndel ruhig, »Ihr habt Euren Mann gestanden, und wir werden Euch das nie vergessen.«

»Die Grenzlegion muss sofort wiederaufgestellt und zum Mermidon geschickt werden, um die Stellung zu halten«, erklärte Balinor. »Wir müssen die untere Stadt auf der Stelle informieren. Dann gilt es, meinen Vater zu finden ... und meinen Bruder. Ich möchte aber Blutvergießen vermeiden. Menion, können wir uns darauf verlassen, dass Janus Senpre eingreift?«

»Er ist Euch und dem König treu.«

»Ihr müsst ihm eine Nachricht schicken, während wir hier bleiben«, fuhr der Prinz von Callahorn fort. Er trat auf Stenmin zu. »Sobald er Hilfe bringt, dürfte es keine Schwierigkeiten mehr geben - mein Bruder wird allein sein. Aber was ist mit meinem Vater ...?« Er blieb vor dem Mystiker stehen, nahm ihm den Knebel aus dem Mund und starrte ihn kalt an. Stenmin erwiderte kurz seinen Blick; seine hasserfüllten Augen loderten. Der Mystiker wusste, dass er besiegt war, wenn Palance gefangengenommen und als Herrscher von Callahorn abgesetzt wurde, und seine Verzweiflung wuchs von Minute zu Minute, als er seine Pläne in Rauch aufgehen sah. Menion, der bei den Elfen-Brüdern und Höndel stand, während Balinor sich den Gefangenen vornahm, fragte sich, was der Mann damit zu erreichen gehofft hatte, dass er Palance auf diese Weise beeinflusst hatte. Es war zwar kein Rätsel, weshalb er den geistig verwirrten, labilen Prinzen als den neuen König von Callahorn unterstützt hatte. Seine eigene Position war gesichert, wenn Balinors Bruder herrschte. Aber weshalb hatte er die Auflösung der Grenzlegion gefördert, obwohl er wusste, dass eine Invasionsarmee das kleine Südland-Reich zu überrennen drohte, um der aufgeklärten Monarchie ein Ende zu bereiten? Warum hatte er sich solche Mühe gegeben, Balinor unschädlich zu machen und den alten König in einem abgelegenen Teil des Palastes festzusetzen, wenn es ebenso leicht gewesen wäre, die beiden insgeheim zu töten? Und warum hatte er versucht, Menion Leah umzubringen, einen Mann, dem er vorher noch nie begegnet war?

»Stenmin, Eure Herrschaft über dieses Land und seine Menschen und Eure Macht über meinen Bruder sind beendet«, sagte Balinor mit eisiger Stimme. »Ob Ihr den morgigen Tag noch erlebt oder nicht, hängt davon ab, was Ihr von jetzt an tut, bis ich die Stadt wieder in der Gewalt habe. Was habt Ihr mit meinem Vater gemacht?«

Es blieb einen langen Augenblick still, während der Mystiker sich verzweifelt umsah, das Gesicht aschfahl vor Furcht.