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Menion wusste genau, wie ihnen zumute war. Sein eigener ruheloser Geist drängte ihn, dem Prinzen zu folgen und ihm in dem entscheidenden Kampf gegen die Horden des Dämonen-Lords zur Seite zu stehen, aber er war der völligen Erschöpfung nahe - seit fast zwei Tagen hatte er nicht mehr geschlafen. Die Anstrengung der Schlacht um die Insel Kern, die lange Flucht den Mermidon hinunter und die rasche Abfolge der Ereignisse, die zur Befreiung Balinors und der anderen geführt hatte - dies alles war sogar für ihn zuviel gewesen. Schwankend wie ein Betrunkener führte er Shirl in den Garten neben dem Palast und ließ sich schwerfällig auf einer Steinbank nieder. Sie setzte sich still zu ihm und betrachtete sein Gesicht, als er die Augen schloss und versuchte, sich ein wenig zu entspannen.

»Ich weiß, was du denken musst, Menion«, sagte sie leise. »Du möchtest bei ihm sein.« Er lächelte und nickte. »Du musst schlafen, weißt du.«

Wieder nickte er, und plötzlich suchte ihn wieder der Gedanke an Shea heim. Wo war Shea? Wohin war der Talbewohner auf seiner erfolglosen Suche nach dem Schwert von Shannara geraten? Menion richtete sich hastig auf und wandte sich an Shirl. Er war erschöpft, aber er wollte reden - er musste reden, denn es konnte sein, dass sich nie mehr eine Gelegenheit dazu ergeben würde. Mit leiser, ernster Stimme erzählte er ihr von sich und Shea, schilderte in kurzen Zügen die Freundschaft, die sie miteinander verband. Er sprach von den Zeiten, die sie im Hochland von Leah verlebt hatten, und kam auf die Hintergründe der Reise nach Paranor und der Suche nach dem Schwert zu sprechen.

Manchmal geriet er in die Irre, wenn er vergeblich versuchte, in die Tiefe vorzustoßen und zu erläutern, was sie vereint und manchmal auch getrennt hatte. Shirl begriff mit der Zeit, dass es eigentlich gar nicht Shea war, den Menion zu beschreiben versuchte - sondern er selbst. Schließlich legte sie die Finger auf seine Lippen.

»Er war der einzige Mensch, den du wirklich gut kanntest, nicht wahr?« sagte sie leise. »Er war wie ein Bruder für dich, und du fühlst dich verantwortlich für das, was mit ihm geschehen ist?«

Menion senkte bedrückt den Kopf.

»Ich hätte nicht anders handeln können, als ich es tat. Ihn in Leah festhalten zu wollen, hätte das Unausweichliche nur hinausgeschoben. Aber es hilft nicht, das alles zu wissen. Ich komme mir trotzdem - schuldig vor ...«

»Wenn er für dich so tief empfindet wie du für ihn, weiß er im Innersten, dass du so handeln musstest, gleichgültig, wo er jetzt sein mag«, erwiderte sie. »Niemand kann etwas aussetzen an dem Mut, den du in diesen Tagen bewiesen hast - und ich liebe dich, Menion.«

Menion sah sie entgeistert an. Sie lachte über seine Verwirrung und schlang die Arme um ihn. Menion presste sie einen Augenblick an sich, dann griff er nach ihren Schultern und schob sie ein wenig von sich, um ihr Gesicht zu studieren. Sie begegnete ruhig seinem Blick.

»Ich wollte es aussprechen. Ich wollte, dass du es hörst, Menion. Wenn wir sterben müssen ...« Sie verstummte plötzlich, und Menion sah Tränen über ihre Wangen laufen. Er wischte sie sanft weg, lächelte und zog sie mit sich hoch, als er aufstand.

»Ich habe einen weiten Weg hinter mir«, murmelte er. »Ich hätte oft das Leben verlieren können, aber immer wieder bin ich davongekommen. Ich habe das Böse gesehen, das in der Welt ist, die wir kennen, und in den Welten, von denen uns Sterbliche nur Ahnungen beschleichen. Es gibt nichts, was uns beiden schaden könnte. Die Liebe verleiht uns eine Kraft, die sogar dem Tod Widerstand leistet. Aber man braucht ein wenig Glauben. Glaube an uns, Shirl!«

Sie lächelte unwillkürlich.

»Ich glaube an dich, Menion. Und du sollst an dich selbst glauben.«

Der erschöpfte Hochländer lächelte sie an und drückte ihre Hände. Sie war die schönste Frau, die er je gesehen hatte, und er liebte sie mehr als sein Leben. Er beugte sich vor und küsste sie.

»Alles wird sich finden«, versicherte er ihr. »Alles wird gut werden.«

Sie blieben noch einige Minuten in dem einsamen Garten, unterhielten sich halblaut und folgten zerstreut den kleinen Wegen, die sich zwischen den duftenden Sommerblumen dahinschlängelten. Menion musste sich Mühe geben, wach zu bleiben, und Shirl drang darauf, dass er sich schlafen legte, solange er noch Gelegenheit dazu hatte. Er lächelte vor sich hin und zog sich in sein Schlafzimmer zurück, wo er angekleidet auf das große, weiche Bett fiel und sofort einschlief. Die Nachmittagsstunden verrannen, die Sonne sank am westlichen Himmel und verschwand endlich in lodernder Pracht am Horizont. Als es dunkel geworden war, erwachte Menion erfrischt, aber auf sonderbare Weise beunruhigt. Ereilte zu Shirl, und gemeinsam gingen sie durch die fast verlassenen Korridore des Palastes, auf der Suche nach Höndel und den beiden Elfen. Ihre Schritte hallten durch die langen Gänge, als sie an statuenhaften Wachen und dunklen Zimmern vorbeieilten und nur einmal kurz stehen blieben, um einen Blick auf die regungslose Gestalt von Palance Buckhannah zu werfen, an dessen Bett die Ärzte mit ausdruckslosen Mienen wachten. Sein Zustand war unverändert, sein verwundeter Körper und der gemarterte Geist lagen im Kampf gegen die übermächtige Kraft des Todes, der sich langsam und unerbittlich näherte. Als Menion und Shirl sich vom Bett entfernten, hatte das Mädchen Tränen in den Augen.

Überzeugt, dass seine Freunde zum Stadttor gegangen waren, um die Rückkehr des Prinzen von Callahorn abzuwarten, ließ Menion zwei Pferde satteln und ritt mit Shirl die Hauptstraße hinunter. Es war eine kühle, wolkenlose Nacht, erhellt vom silbernen Schimmer des Mondes und der Sterne, und die Türme der Stadt zeichneten sich gegen den Himmel deutlich ab. Als die Pferde die Brücke von Sendic erreichten, spürte Menion die willkommene Kühle einer nächtlichen Brise an seinem erhitzten Gesicht. Es war ungewöhnlich still in der Stadt; die Straßen lagen verlassen da, in den Häusern brannte zwar Licht, aber man hörte kein Lachen, keine geselligen Gespräche. Ein Mantel des Schweigens hatte sich über die belagerte Stadt gelegt, eine grimmige, wispernde Einsamkeit, die des Todes zu harren schien, den der Kampf bringen mochte. Die Reiter trabten durch die unheimliche Stille und versuchten ein wenig Trost in der Schönheit des Sternenhimmels zu finden. Die hochragende Außenmauer erhob sich schwärzlich in der Ferne. Auf den Brüstungen brannten Hunderte von Fackeln, um den Soldaten von Tyrsis den Heimweg zu erhellen. Sie sind lange fort, dachte Menion. Aber vielleicht hatten sie mehr erreichen können, als zu hoffen gewesen war. Vielleicht hatten sie den Mermidon gegen die Horden aus dem Nordland gehalten ...

Augenblicke später stiegen die Reiter am riesigen Tor ab. In den Kasernen der Legion herrschte geschäftiges Treiben; die Garnison bereitete sich fieberhaft auf die anstehende Schlacht vor. An jeder Ecke drängten sich Soldaten, und Menion und Shirl gelangten nur unter Mühen zur Brustwehr der gigantischen Mauer, wo Janus Senpre sie herzlich begrüßte. Der jugendliche Kommandeur war ohne Ruhepause auf dem Posten gewesen, seitdem Balinor die Stadt verlassen hatte, und das schmale Gesicht zeigte Spuren der Erschöpfung und Besorgnis. Kurze Zeit später tauchten Durin und Höndel aus der Dunkelheit auf, bald danach erschien auch Dayel. Die kleine Gruppe stand schweigend an der Brustwehr und starrte hinaus in die Dunkelheit nach Norden. Aus weiter Ferne hörten sie die gedämpften Rufe und Schreie kämpfender Männer, herübergetragen vom Nachtwind.

Janus erwähnte, er habe ein halbes Dutzend Kundschafter ausgeschickt, um zu erfahren, was sich am Fluss abspiele, aber es sei bis jetzt keiner zurückgekommen - ein unheilvolles Zeichen. Er hatte mehrmals beschlossen, sich selbst auf den Weg zu machen, aber Höndel hatte ihn unwirsch immer wieder daran erinnert, dass er die Verteidigung von Tyrsis zu beaufsichtige^ habe, so dass er gezwungen gewesen war, seinen Entschluss immer wieder fallen zu lassen. Durin hatte sich im stillen vorgenommen, sich auf die Suche nach Balinor zu begeben, wenn dieser bis Mitternacht nicht zurückgekommen sein sollte. Ein Elf konnte sich nahezu überall unentdeckt bewegen. Vorerst wartete Durin aber wie die anderen mit wachsender Sorge. Shirl sprach kurz vom unveränderten Zustand Palance Buckhannahs, erhielt aber nur einsilbige Antworten und gab es schließlich auf, die Männer in ein Gespräch ziehen zu wollen. Die kleine Gruppe wartete eine Stunde, wartete zwei Stunden. Die Laute aus der Ferne waren deutlicher und wirrer geworden, und es hatte den Anschein, als rücke das Kampfgetümmel näher an die Stadt heran.