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Aber sie fanden ihn nicht mehr an diesem Tag, so wenig wie sie neue Spuren zu entdecken vermochten. Im Staub hätten die Fußabdrücke des Gnomen deutlich erkennbar sein müssen, aber sie zeigten sich nirgends. Entgegen Panamons Vermutung war Orl Fane im Sturm offenbar doch weitergewandert, ohne von Schlammlawinen oder Flussläufen erfasst worden zu sein. Der Regen hatte seine Spuren weggewaschen, und es war nur einer Laune des Schicksals zu verdanken, dass der abgerissene Ärmel aufgetaucht war. Er konnte von überallher heruntergespült worden sein, so dass sich nicht sagen ließ, welche Richtung der Gnom genommen haben mochte. Als die Nacht hereinbrach, wurde es so dunkel, dass man kaum noch einen Schritt weit sehen konnte. Die Suc he musste abgebrochen werden. Während Keltset die erste Wache übernahm, sanken Panamon und Shea erschöpft zu Boden und schliefen beinahe augenblicklich ein. Die Nachtluft war kühl und immer noch feucht, so dass die drei sich wieder in die halb getrockneten Jagdmäntel wickelten.

Der Morgen kehrte allzu schnell mit seinem Nebelgrau zurück. Der Tag brachte nicht so viel Feuchtigkeit wie der vorangegangene, war aber nicht heiterer; die Sonne wurde von dem bleiernen Nebel fast ganz verhüllt. Die Totenstille hielt an, und die drei Männer schauten sich mit einem unheimlichen Gefühl um. Sie glaubten, von der ganzen Welt abgeschnitten zu sein. Die endlose Leere begann, auf Shea und Panamon eine deutliche Wirkung auszuüben. Shea war in den vergangenen Tagen nervös und unsicher geworden, und Panamon, sonst fast immer fröhlich und gesprächig, gab sich immer wortkarger. Allein Keltset blieb unverändert. Seine Miene war ausdruckslos wie immer.

Sie verzehrten ein bescheidenes Frühstück und nahmen die Verfolgung wieder auf, wenngleich widerwillig; ihr einziger Wunsch bestand darin, die Sache zu Ende zu bringen. Sie machten weiter, weil sie zum einen keine andere Möglichkeit sahen, zum anderen aus reiner Selbsterhaltung. Panamon und Shea gaben sich zwar keine Rechenschaft darüber, aber die Frage war, weshalb Keltset die Suche fortsetzte. Er befand sich in vertrauter Umgebung und hätte wohl auch allein überleben können, wenn er es vorgezogen hätte, sich abzusondern. Die beiden Männer hatten erfolglos versucht, Keltsets Beweggründe dafür zu erkennen, warum er während des dreitägigen Regens bei ihnen geblieben war. Nun, zu erschöpft, um der Sache tiefer auf den Grund zu gehen, akzeptierten sie mit ein wenig Argwohn seine Gegenwart und hofften darauf, dass sie erfahren würden, wer und was er sei, bevor die Reise zu Ende ging. Sie stapften weiter durch Staub und Dunst, während aus dem Morgen dumpfer Mittag wurde.

Schlagartig blieb Panamon stehen.

»Spuren!«

Der hochgewachsene Dieb stieß einen Freudenschrei aus und stürzte hinunter in eine kleine Talenge zu ihrer Linken. Keltset und Shea starrten ihm verblüfft nach. Augenblicke später knieten sie alle drei vor einer Reihe im Staub deutlich abgezeichneter Fußabdrücke. Deren Herkunft war unverkennbar; selbst Shea erkannte, dass sie von Gnomenstiefeln stammten. Die Absätze waren abgetreten und rissig. Die Fährte war frisch und führte nach Norden, verlief aber im Zickzack, so dass es den Anschein hatte, als laufe Orl Fane, um den allein es sich handeln konnte, ziellos herum. Sie sahen einander an und erhoben sich auf Panamons drängende Geste. Die Fährte war erst wenige Stunden alt, und nach dem unregelmäßigen Verlauf zu schließen, würde Orl Fane leicht einzuholen sein. Panamon vermochte die Freude über seinen Fund kaum zu verbergen. Wortlos schulterten die drei Männer wieder ihre Habseligkeiten und marschierten mit grimmiger Entschlossenheit nach Norden. Es musste heute noch gelingen, Orl Fane einzuholen.

Die Spur, die der Gnom hinterlassen hatte, wand sich auf verwirrende Weise zwischen den staubbedeckten Hügeln des unteren Nordlandes dahin. Manchmal führte der Weg direkt nach Osten, und einmal verlief er sogar in entgegengesetzter Richtung. Der Nachmittag zog sich endlos dahin, und obwohl Keltset andeutete, dass die Spur frischer wurde, schienen sie nicht merklich aufzuholen. Wenn es dunkel werden sollte, bevor sie des Gnoms ansichtig wurden, bestand die große Gefahr, dass sie ihn erneut verloren. Sie waren aber nicht gewillt, das ein drittes Mal zuzulassen, und Shea hatte sich im stillen geschworen, Orl Fane notfalls sogar in der Dunkelheit weiterzuverfolgen.

Die Riesengipfel des unheimlichen Schädelreiches ragten in der Ferne drohend empor, mit schwarzen, scharfen Spitzen, die sich als Messer in den Himmel zu bohren schienen. In Sheas Gemüt nistete sich ein Angstgefühl ein, das er nicht abzuschütteln vermochte, das im Gegenteil immer stärker wurde, je weiter sie in das Nordland vordrangen. Er war zu der Überzeugung gelangt, dass er sich mehr aufgeladen hatte, als ursprünglich vorauszusehen gewesen war, dass die Suche nach Orl Fane und dem Schwert von Shannarain Wahrheit nur Bestandteil eines viel umfassenderen Planes war. Das Angstgefühl war noch nicht stark genug, um ihn in Panik zu versetzen, aber es drängte ihn mit unwiderstehlicher Kraft, dieser irrsinnigen Jagd ein Ende zu bereiten und den Rückweg in seine Heimat anzutreten.

Es war später Nachmittag, als sich das Hügelland zu einer welligen Ebene abflachte, auf der die drei Männer weiter blicken und zum erstenmal seit dem Durchschreiten der schwarzen Wand auch ganz aufrecht und beinahe entspannt gehen konnten. Das Land breitete sich vor ihnen mit atemberaubender Nacktheit aus, eine trostlose, leere Ebene aus brauner Erde und grauem Gestein, die sich bis zu den hohen Gipfeln an der Grenze des Schädelreiches, der Heimat des Dämonen-Lords, erstreckte. Das Flachland endete im Norden an Felsmassen und gebirgigem Gratland, das in Stufen zu den dräuenden Gipfeln hinaufführte. Die ganze Weite, nackt, heiß und trist, war eingehüllt in unheimliche, tödliche Stille. Nichts regte sich, kein Wesen huschte vorbei, kein Insekt summte, kein Vogel flog, nicht einmal der Wind strich über die Staubschichten. Überall dieselbe trostlose Leere, unberührt von Leben, gezeichnet vom Tod. Die gewundenen Spuren Orl Fanes verschwanden in der Ferne. Es war, als habe das Land ihn verschluckt.

Die Verfolger blieben einige Minuten stehen, und auf ihren Gesichtern malte sich das Widerstreben, dieses unfreundliche Land zu betreten. Es blieb aber wenig Zeit, das Für und Wider zu erwägen. Sie setzten sich wieder in Bewegung. Die Zickzackfährte war in der gewellten Ebene auf größere Entfernung zu überblicken, und die drei Verfolger konnten es sich ersparen, jedem einzelnen Fußabdruck zu folgen. Sie kamen schnell voran. Nach einiger Zeit zeigte Keltset an, dass der Vorsprung des Fliehenden keine ganze Stunde mehr betrug. Die Dämmerung nahte aber rasch, und die Sonne tauchte unter einen zerrissenen Horizont im Westen. Das Zwielicht wurde noch verdüstert durch den allgegenwärtigen grauen Dunst, und das Gelände nahm verschwommene Umrisse an.

Die drei waren dem Gnomen in ein tiefes Tal gefolgt, das umstellt war von hohen Graten, überhängenden Felsen und schroffen Gesteinsformationen. Das verblassende Sonnenlicht verlor sich in den Schatten des dunklen Tales fast völlig, und Panamon Creel, der schon vor einiger Zeit die Führung übernommen hatte, musste die Augen anstrengen, um im Staub die Fußabdrücke noch erkennen zu können. Ihre Schritte verlangsamten sich, während Panamon sich immer tiefer zum Boden hinunterbücken musste. Panamon Creel war so gefesselt von seiner Suche, dass es beinahe wie ein Schock wirkte, als die Spur plötzlich aufhörte. Shea und Keltset standen augenblicklich neben ihm, und erst die genaue Untersuchung des Bodens ringsum verriet, dass jemand die Fährte des Gnomen sorgfältig verwischt hatte.

Im selben Augenblick lösten sich die riesigen schwarzen Erscheinungen aus den Schatten des Tales und tappten im düsteren Zwielicht schwerfällig vorwärts. Shea entdeckte sie als erster, glaubte jedoch zunächst, einer Sinnestäuschung zu erliegen. Panamon begriff schneller, was sich abspielte. Er sprang hoch, zog ein großes Breitschwert und hob die Pike. Er war im Begriff, den sich schließenden Ring durchbrechen zu wollen, aber Keltset handelte auf überraschende Weise. Er sprang vor und zog den erstaunten Dieb zurück. Panamon starrte seinen stummen Begleiter fassungslos an, dann ließ er zögernd die Waffen sinken. Die drei Männer waren von mindestens einem Dutzend wachsamer Gestalten umringt, und selbst im Zwielicht wurde dem entsetzten Shea klar, dass sie an eine Schar von Berg-Trollen geraten waren.