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Shea marschierte unmittelbar hinter der mächtigen Gestalt Keltsets, die Hände scheinbar hinter dem Rücken gefesselt. Panamon Creel war der Nächste, auch er scheinbar ein Gefangener. Seine scharfen grauen Augen suchten die Felswände zu beiden Seiten der schmalen Schlucht ab. Die List war gelungen. Scheinbar Gefangene der Berg-Trolle, waren die beiden Südländer zum Ufer des Lethe getrieben worden, jenes trägen, stinkenden Flusses an der südöstlichen Grenze des Schädelreiches. Die Trolle und ihre stummen Opfer waren auf eine breite Fähre aus faulendem Holz und rostenden Eisendornen gestiegen, deren stummer Fährmann eine gebückte Kapuzengestalt war, mehr Tier als Mensch, das Gesicht in den Falten des muffigen, schwarzen Mantels verborgen. Man sah jedoch seine gekrümmten, schuppigen Hände an der Treibstange, als die Fähre langsam durch das giftige Wasser glitt. Die beunruhigten Passagiere spürten ein wachsendes Gefühl des Ekels vor diesem Wesen in sich aufsteigen und waren erleichtert, als seine Gestalt, nachdem sie am anderen Ufer ausgestiegen waren, mit seiner Fähre im Dunst über dem schwarzen Wasser zurückblieb. Das nördliche Tiefland entzog sich ihren Blicken nun ganz, das Nebelgrau dehnte sich überall, so dass jenseits des Flusses nichts mehr zu sehen war. Im Gegensatz dazu ragten die schwarzen Klippen der Messerkante unheimlich vor ihnen auf; die großen Felsenfinger schienen den Nebel im Halblicht des nördlichen Mittags wegzuschieben. Die Gruppe schritt stumm durch den Korridor zwischen den Höhen, der sich tiefer in das verbotene Reich des Dämonen-Lords hineinschob.

Der Dämonen-Lord. Shea hatte das Gefühl, als habe er von Anfang an gewusst, dass alles so kommen würde, schon von jenem Tag an, als Allanon ihn über seine Herkunft aufgeklärt hatte und damit zu rechnen war, dass er eines Tages diesem furchtbaren Wesen gegenübertreten musste, das alles versuchte, um ihn auszulöschen. Die Zeit und der Ablauf der Dinge verschmolzen zu einem einzigen Augenblick, einem Blitzstrahl wirrer Erinnerungen an die langen Tage der Fluc ht, mit dem einzigen Ziel, am Leben zu bleiben - und dabei führte nun diese Flucht nur zu dieser schaurigen Begegnung. Der Augenblick rückte immer näher, und Shea würde ihn praktisch allein im barbarischsten Land bestehen müssen, das es in der bekannten Welt gab; seine ältesten, vertrautesten Freunde waren in alle Winde zerstreut, seine einzigen Begleiter ein Trupp von Berg-Trollen, ein Straßenräuber und ein rachsüchtiger, rätselhafter Riese. Keltset war es gewesen, der das Troll-Tribunal dazu bewegen hatte, ihm eine Abteilung von Troll-Kriegern zu unterstellen, nicht so sehr, weil die Trolle wirklich glaubten, der unscheinbare Shea besäße vielleicht die Fähigkeit, den unsterblichen Brona zu vernichten, als vielmehr deshalb, weil Keltset Träger des Schwarzen Inx war, einer Auszeichnung ohnegleichen.

Die drei Richter hatten auch das Schicksal von Orl Fane verkündet. Die Trolle hatten den kleinen Flüchtling etwa eine Stunde vor dem Auftauchen seiner Verfolger gefasst, und er war unter Bedeckung ins Hauptlager gebracht worden. Das Maturen-Tribunal war schnell zu dem Schluss gelangt, dass der Gnom wahnsinnig sein müsse. Er hatte wirres Zeug gestammelt, von Geheimnissen und Schätzen. Das runzlige, gelbe Gesicht war zu einem grässlichen, starren Grinsen verzerrt gewesen. Meistens schien er ins Blaue hineinzureden, wobei er heftig die nackten Arme und Beine rieb, als hätten sich an ihnen Lebewesen festgesaugt. Die einzige Verbindung zwischen ihm und der Wirklichkeit schien das alte Schwert zu sein, sein alleiniger Besitz, an den er sich so heftig klammerte, dass er ihm nicht zu entreißen gewesen war. Man erlaubte ihm, das wertlose alte Stück Metall zu behalten, und fesselte seine gekrümmten gelben Hände an die verrostete Scheide. Noch vor Ablauf der ersten Stunde war er nach Norden gebracht worden, zu den Verliesen des Dämonen-Lords.

Die Schlucht wand sich schier endlos zwischen den steilen Felsen dahin und schrumpfte manchmal von einem breiten Weg zu einem Schlitz zwischen den Gesteinsformationen zusammen. Die stämmigen Trolle eilten ohne Rast weiter. Ein paar von ihnen waren hier schon gewesen und führten die anderen mit schnellen Schritten durch die Berge. Eile tat not. Wenn sie zu lange zögerten, würde der Geister-König erfahren, dass Orl Fane und die uralte Waffe, von der er sich nicht trennen wollte, auch nicht für einen Augenblick, in den eigenen Verliesen des Dämonen-Lords untergebracht waren.

Shea schauderte es angesichts dieser Möglichkeit. Der Geister-König mochte sogar schon informiert sein - vielleicht liefen sie dann ihrer eigenen Hinrichtung entgegen. Auf der langen Reise seit Culhaven schien der Dämonen-Lord über jeden ihrer Schritte vorher bereits unterrichtet gewesen zu sein – jedes mal hatte er sie erwartet. Es war Wahnsinn, dieses furchtbare Risiko einzugehen. Und selbst wenn sie Erfolg haben sollten, selbst wenn Shea wie durch ein Wunder das Schwert von Shannara plötzlich in der Hand hielt ... was dann? Shea schüttelte den Kopf. Konnte er dem Dämonen-Lord gegenübertreten, ohne Allanon neben sich zu haben, ohne eine Vorstellung davon, wie die verborgene Macht des legendären Talismans auszulösen war? Niemand würde auch nur ahnen, dass er das Schwert hatte.

Shea wusste nicht, was die anderen vorhatten, aber er war entschlossen, um sein Leben zu laufen, sollte es ihm gelingen, das Wunderschwert auf irgendeine Weise in die Hände zu bekommen. Alle anderen mochten tun, was sie wollten. Er war überzeugt davon, dass auch Panami Creel dem Plan zugestimmt hätte, aber seit Antritt der Reise zum Schädelreich hatten die beiden keine zehn Worte mehr miteinander gewechselt. Shea spürte, dass der scharlachrote Dieb zum erstenmal in einem Leben voller Gefahren und Abenteuer Angst hatte. Aber er war mit Keltset und Shea gegangen, weil sie seine einzigen Freunde waren und sein Stolz ihm nichts anderes genehmigte. Sein Grundinstinkt war, zu überleben, aber er ließ nicht zu, dass Schande über ihn kam, auch wenn es ihn das Leben kosten sollte.

Keltsets Gründe für die Beteiligung an dem gefährlichen Unternehmen waren weniger klare. Shea glaubte zu begreifen, warum der Riesen-Troll darauf bestanden hatte, das Schwert von Shannara zurückzuholen; es war viel mehr als persönliche Rache für die Vernichtung seiner Familie. An Keltset war etwas, das Shea an Balmor erinnerte - eine ruhige Zuversicht, die den Schwächeren Beistand verhieß. Shea hatte sie gespürt, als Keltset angezeigt hatte, dass sie Orl Fane und dem Schwert folgen mussten. Die sanften, intelligenten Augen sagten den Talbewohnern, dass sie an ihn glauben durften, und Shea wusste, dass er seinen Troll-Freund begleiten musste, auch wenn er es nicht vernünftig hätte erklären können. Wenn er sich jetzt zurückzog, nach den langen Wochen der Suche nach dem Schwert von Shannara, verriet er seine Freunde und sich selbst.

Die Felswände an beiden Seiten des Weges traten plötzlich zurück, und die Schlucht öffnete sich auf ein steil abfallendes Tal, das im schroffen Inneren des Schädelreiches wie eine breite Senke wirkte. Die Oberfläche war unfruchtbar und trocken, die Erde übersät mit felsigen Anhöhen und vertrockneten Flussläufen. Die Gruppe blieb stehen, und alle Augenpaare wurden unwillkürlich von dem einzelnen Berg in der Mitte des kleinen Tales angezogen, dessen Südwand sie aus zwei riesigen, leeren Augenhöhlen anstarrte, aus Augenhöhlen eines Totenschädels. Das zernarbte Gesicht wartete in zeitloser Geduld auf das Erscheinen des Meisters. Shea spürte, wie sich ihm die Nackenhaare sträubten und ein kalter Schauer durch seinen ganzen Körper lief.

Aus den Felsen zu beiden Seiten schlurften missgestaltete, plumpe Erscheinungen, deren riesige Körper mit Gesichtern fast ohne Merkmale so trist waren wie das sterbende Land. Früher einmal mochten sie menschlich gewesen sein, aber nicht länger kam ihnen diese Bezeichnung zu. Sie standen aufrecht auf zwei Beinen, und zwei Arme schwangen nutzlos hin und her, aber damit war es mit der Ähnlichkeit auch schon zu Ende. Ihre Haut hatte die Konsistenz von kreideweißem Kitt und wirkte beinahe gummiartig; sie bewegten sich wie gehirnlose Wesen. Wie Gestalten aus einem furchtbaren Alptraum umringten die seltsamen Wesen die Trolle und starrten leer in ihre Gesichter, als wollten sie prüfen, was für Geschöpfe sich zu ihnen gewagt hatten. Keltset drehte sich zur Seite und sah Panamon Creel an.