»Meine Freunde.« Der tiefe Baß Allanons erhob sich über das leise Stimmengewirr, als er aufstand. Es wurde augenblicklich still, und alle Gesichter wandten sich ihm zu.
»Meine Freunde, ich muß euch nun sagen, was ich noch keinem mitgeteilt habe. Wir haben einen tragischen Verlust erlitten.« Er machte eine Pause und blickte in die Runde. »Paranor ist gefallen. Eine Division von Gnomenjägern unter dem Befehl des Dämonen-Lords hat das Schwert von Shannara erbeutet.«
Es blieb zwei Sekunden lang totenstill, bevor die Zwerge aufsprangen und zornig durcheinanderschrien. Balinor erhob sich hastig, um sie zu beschwichtigen. Shea und Flick starrten einander ungläubig an. Nur Menion schien nicht überrascht zu sein.
»Paranor ist von innen heraus zu Fall gebracht worden«, fuhr Allanon fort, als wieder Ruhe eingekehrt war. »Über das Schicksal jener, die Schwert und Festung beschützt haben, bestehen kaum Zweifel. Wie ich erfahren habe, sind alle hingerichtet worden. Niemand weiß genau, wie es dazu gekommen ist.«
»Seid Ihr dort gewesen?« wollte Shea wissen, begriff aber im nächsten Augenblick, daß die Frage dumm war.
»Ich habe euch im Tal so schnell verlassen, weil ich erfuhr, daß man versuchen würde, Paranor einzunehmen. Ich kam zu spät, um noch helfen zu können, und entkam selbst nur mit Mühe. Das ist einer der Gründe, weshalb ich so spät in Culhaven eingetroffen bin.«
»Aber wenn Paranor gefallen und das Schwert geraubt worden ist...?« flüsterte Flick.
»Was können wir dann noch tun?« ergänzte Allanon für ihn. »Das ist das Problem, vor dem wir stehen und für das wir sofort eine Lösung finden müssen — der Grund für diese Beratung.« Allanon verließ seinen Platz und trat hinter Shea. Er legte eine Hand auf dessen schmale Schulter und sah seine Zuhörer an. »Das Schwert von Shannara ist in den Händen des Dämonen-Lords nutzlos. Erhoben kann es nur von einem Sohn des Hauses von Jerle Shannara werden — dies allein verhindert, daß der Böse sofort zuschlägt. Stattdessen hat er systematisch alle Angehörigen dieses Hauses aufgespürt und vernichtet, einen nach dem anderen, sogar jene, die ich zu schützen versuchte, nachdem ich sie gefunden hatte. Nun sind sie alle tot — bis auf einen, den jungen Shea. Shea ist nur zur Hälfte Elf, aber ein direkter Nachkomme des Königs, der das große Schwert so viele Jahre getragen hat. Nun muß er es wieder erheben.«
Shea wäre zur Tür gelaufen, hätte ihn die schwere Hand nicht festgehalten. Er blickte Flick verzweifelt an und sah die Angst, die sich in dessen Augen widerspiegelte. Menion hatte sich nicht gerührt, schien aber auch geschockt zu sein. Was Allanon von Shea erwartete, war mehr, als ein Mensch verlangen durfte.
»Nun, ich glaube, wir haben unseren jungen Freund ein wenig erschreckt.« Allanon lachte kurz. »Sei nicht verzweifelt, Shea. So schlimm, wie es jetzt aussieht, ist es nicht.« Er drehte sich um und kehrte an seinen alten Platz zurück. »Wir müssen das Schwert um jeden Preis zurückholen. Es bleibt uns keine andere Wahl. Wenn uns das nicht gelingt, wird das ganze Land in den größten Krieg gestürzt werden, den die Rassen seit der fast völligen Vernichtung des Lebens vor zweitausend Jahren erlebt haben. Das Schwert ist der Schlüssel.
Ohne es müssen wir uns auf unsere sterbliche Kraft, unseren Kampfesmut verlassen — eine Schlacht mit Eisen und Muskeln, die nur dazu führen kann, daß auf beiden Seiten unzählige Tausende sterben werden. Das Böse ist der Dämonen-Lord, und er kann ohne die Hilfe des Schwertes nicht vernichtet werden — und ohne den Mut einiger Männer, zu ' denen auch wir gehören.« Es herrschte Totenstille, als er wieder in die Runde blickte. Plötzlich stand Menion Leah auf.
»Was Ihr meint, ist, daß wir nach Paranor gehen sollen, um das Schwert zurückzuholen.«
Allanon nickte mit schwachem Lächeln, als er auf die Reaktion der verwunderten Zuhörer wartete. Menion setzte sich langsam, mit ungläubiger Miene.
»Das Schwert ist noch in Paranor«, fuhr Allanon fort. »Es spricht vieles dafür, daß es dort bleiben wird. Weder Brona noch die Träger des Totenschädels können es selbst entfernen — sein bloßes Vorhandensein bedroht ihr Dasein in der sterblichen Welt. Jeder Kontakt über mehrere Minuten hinweg würde unerträgliche Qualen verursachen. Das heißt, daß jeder Versuch, das Schwert nach Norden zu befördern ins Reich der Totenschädel, mit Hilfe von Gnomen unternommen werden muß, die Paranor besetzt halten.
Eventine und seine Elfen-Krieger hatten den Auftrag, die Druidenfestung und das Schwert zu sichern. Paranor ist verloren, aber die Elfen halten noch den südlichen Teil von Streleheim nördlich der Festung, und jeder Versuch, nach Norden zum Schwarzen Lord zu gelangen, würde erfordern, daß ihre Patrouillen umgangen werden müssen. Anscheinend ist Eventine nicht in Paranor gewesen, als es erobert wurde, und ich habe keinen Grund anzunehmen, er werde nicht versuchen, das Schwert zurückzuholen oder zumindest jeden Versuch zu vereiteln, es zu entfernen. Der Dämonen-Lord ist sich darüber im klaren, und ich glaube nicht, daß er die Gefahr eingehen wird, die Waffe zu verlieren, indem er sie den Gnomen überläßt. Stattdessen wird er sich in Paranor verschanzen, bis seine Armee nach Süden marschiert.
Es besteht die Möglichkeit, daß der Dämonen-Lord von uns nicht erwartet, wir würden versuchen, das Schwert zurückzuholen.
Vielleicht glaubt er, das Geschlecht von Shannara sei ausgerottet. Er mag damit rechnen, daß wir uns darauf konzentrieren, unsere Abwehr gegen seinen bevorstehenden Angriff zu verstärken. Wenn wir sofort handeln, mag es deshalb einer kleinen Gruppe gelingen, unbemerkt in die Burg zu gelangen und das Schwert zu holen. Ein solches Unternehmen wäre gefährlich, aber wenn selbst die geringste Aussicht auf Erfolg besteht, lohnt sich der Einsatz.«
Balinor hatte sich erhoben. Allanon nickte und nahm Platz.
»Ich verstehe die Macht des Schwertes über den Dämonen-Lord nicht — soviel gebe ich zu«, begann Balinor. »Ich weiß aber, welche Bedrohung uns allen erwächst, wenn Bronas Armee ins Südland eindringt, wozu man entschlossen scheint. Meine Heimat wird als erste bedroht sein, und wenn ich das auf irgendeine Weise verhindern kann, bleibt mir keine Wahl. Ich gehe mit Allanon.«
Die Zwerge sprangen auf und schrien durcheinander. Allanon erhob sich von seinem Platz und hob die Hände.
»Diese beiden jungen Elfen neben mir sind Vettern von Eventine. Sie werden mich begleiten, denn ihr Einsatz ist mindestens ebenso groß wie euer eigener. Balinor schließt sich an, und ich werde einen der Zwergenführer mitnehmen — nicht mehr. Die Gruppe muß klein gehalten werden, wenn wir Erfolg haben sollen. Sucht den besten Mann unter euch aus und schickt ihn mit.« Er schaute hinunter zum Ende des Tisches, wo Shea und Flick halb verwirrt, halb entsetzt um sich blickten. Menion Leah saß mit gesenktem Kopf da. Allanon sah Shea erwartungsvoll an, und sein Gesicht wurde plötzlich weicher, als er die erschrockenen Augen des jungen Talbewohners sah, der so viele Gefahren überwunden hatte, nur um jetzt zu vernehmen, daß er eine noch viel riskantere Reise nach Norden unternehmen sollte. Allanon schüttelte zweifelnd den Kopf.
»Ich glaube, ich komme lieber mit«, sagte Menion, der wieder aufgestanden war. »Ich bin mit Shea gegangen, um dafür zu sorgen, daß er Culhaven sicher erreicht. Meine Pflicht ist getan, aber ich schulde es meiner Heimat und meinem Volk, sie zu schützen, so gut ich kann.«