Die Jahre vergingen, während die neuen Rassen sich über die Stufe des primitiven Lebens hinaus zu entwickeln begannen.
Sie schlössen sich zu Gemeinschaften zusammen, versuchten aus dem Staub des alten Lebens ein neues aufzubauen — aber, wie ihr schon wißt, stellte sich heraus, daß sie der Aufgabe nicht gewachsen waren. Sie stritten heftig um Land, kleinliche Zwistigkeiten, die bald zu bewaffneten Konflikten zwischen den Rassen führten. Dann, als die Söhne jener, die zuerst die Geheimnisse des alten Lebens bewahrt hatten, erkannten, daß alles wieder auf das hinauszulaufen schien, was die alte Welt vernichtet hatte, beschlossen sie zu handeln. Der Mann namens Galaphile sah, was geschah, und begriff, daß die Rassen im Krieg gegeneinander antreten würden, wenn sich niemand einschaltete. Er rief deshalb eine ausgewählte Gruppe von Männern — alle jene, die noch Wissen aus den alten Büchern besaßen — zusammen zu einem Rat nach Paranor.«
»Das war also der erste Druiden-Rat«, murmelte Menion Leah staunend. »Ein Rat aller weisen Männer dieser Zeit, die ihre Kenntnisse zusammenfügten, um die Rassen zu retten.«
»Ein sehr lobenswerter Versuch, die Ausrottung des Lebens zu verhindern«, sagte Allanon mit schiefem Grinsen.
»Der Druiden-Rat wurde mit den besten Absichten gegründet, zumindest von den meisten. Man übte auf die Rassen einen ungeheuren Einfluß aus, weil man so viel zu bieten hatte, was das Leben aller verbessern konnte. Die Mitglieder des Rates handelten streng als Gruppe, und jeder trug sein Wissen zum Wohle aller bei. Obwohl es ihnen gelang, den Ausbruch eines totalen Krieges zu verhindern und zunächst den Frieden zwischen den Rassen zu erhalten, stießen sie auf unerwartete Probleme. Das Wissen, das jeder einzelne besessen hatte, war, durch die Weitergabe von Generation zu Generation auf kaum merkliche Weise immer wieder verändert worden, so daß viele der ausschlaggebenden Erkenntnisse sich von ihren Ursprüngen unterschieden.
Die Lage wurde noch komplizierter durch eine begreifliche Unfähigkeit, die verschiedenen Materialien, das Wissen der einzelnen Forschungszweige zu koordinieren. Für viele der Ratsmitglieder mangelte es dem von ihren Vorfahren überkommenen Wissen an praktischem Wert, und nicht Weniges war völlig unverständlich. Während die Druiden, wie sie sich selbst nach einer alten Gruppe nannten, die nach Erkenntnis gesucht hatte, also in der Lage waren, die Rassen in vielerlei Hinsicht zu unterstützen, sahen sie sich nicht imstande, aus den eingelernten Texten so viel zusammenzufügen, daß sie irgendeine der wichtigen Konzeptionen der großen Wissenschaften mühelos zu meistern vermocht hätten, jener Begriffe, von denen sie überzeugt waren, daß sie Wachstum und Wohlhabenheit würden fördern können.«
»Dann wollten die Druiden die alte Welt nach ihren Vorstellungen neu aufbauen«, warf Shea ein. »Sie wollten die Kriege verhindern und die Vorteile der alten Wissenschaften bewahren.«
Flick schüttelte verwirrt den Kopf, weil er nicht begriff, was dies alles mit dem Dämonen-Lord und dem Schwert zu tun hatte.
»Richtig«, sagte Allanon. »Der Druiden-Rat übersah jedoch trotz seines enormen Wissens und seiner guten Absichten einen Grundsatz menschlichen Daseins. Sobald ein intelligentes Wesen den inneren Wunsch hat, sein Leben zu verbessern, die Rätsel des Fortschritts zu entschlüsseln, wird es die Mittel dazu finden — wenn nicht durch die eine Methode, dann mit einer anderen. Die Druiden sonderten sich in Paranor ab, isolierten sich von den Rassen, während sie allein oder in kleinen Gruppen danach strebten, die Geheimnisse der alten Wissenschaften zu meistern. Die meisten stützten sich auf das vorhandene Material, das Wissen einzelner Mitglieder in Beziehung zu dem des ganzen Rates, um die alten Methoden, Energie zu zähmen, neu anzuwenden. Aber manche gaben sich damit nicht zufrieden. Einige vertraten die Meinung, man solle, statt die Worte und Gedanken der Alten besser zu verstehen, bemüht sein, das sofort verfügbare Wissen konkret anzuwenden und im Zusammenhang mit neuen Ideen und neuen Erkenntnissen weiterzuentwickeln.
So kam es, daß einige Mitglieder des Rates unter der Führung eines gewissen Brona sich mit den alten Rätseln befaßten, ohne das volle Verstehen der alten Wissenschaften abzuwarten.
Sie hatten phänomenale Gehirne, manche waren Genies, und sie wollten unbedingt erfolgreich sein; sie waren ungeduldig, jene Macht zu beherrschen, die den Rassen so nützlich sein würde. Aber durch einen schicksalhaften Zufall führten ihre Entdeckungen und Entwicklungen sie von den Wegen des Rates immer weiter fort. Die alten Wissenschaften waren für sie Rätsel ohne Lösungen, und so wichen sie auf andere Gebiete des Denkens aus und befaßten sich immer mehr mit Dingen, die noch niemand gemeistert hatte und keiner als Wissenschaft bezeichnete. Was sie zu entschleiern begannen, war die unendliche Macht des Mystischen — die Zauberei!
Sie vermochten einige mystische Geheimnisse zu enträtseln, bevor der Rat aufmerksam wurde und ihnen befahl, diese Versuche einzustellen. Es kam zu heftigen Auseinandersetzungen, und die Anhänger Bronas verließen den Rat im Zorn, entschlossen, ihren Weg weiterzugehen. Sie verschwanden und wurden nicht wieder gesehen.« Er verstummte für Augenblicke und dachte über seine Worte nach.
Seine Zuhörer warteten ungeduldig. »Wir wissen jetzt, was in den folgenden Jahren geschah. Bei seinen Studien entdeckte Brona die tiefsten Geheimnisse der Zauberei und begann sie zu beherrschen. Vergessen waren die alten Wissenschaften und ihr Sinn in der Welt des Menschen. Vergessen war der Druiden-Rat und sein Ziel, eine bessere Welt zu schaffen. Vergessen war alles außer dem Drang, mehr von den mystischen Künsten zu erfahren, die Geheimnisse der Kraft des Geistes kennenzulernen, in andere Welten zu greifen.
Brona war besessen von dem Trieb, seine Macht zu erweitern — die Menschen und ihre Welt durch die Beherrschung dieser furchtbaren Kraft unter seinen Einfluß zu zwingen. Die Folge seines Ehrgeizes war der berüchtigte Erste Krieg der Rassen, als er seinen Einfluß auf die schwachen und verwirrten Gemüter der menschlichen Rasse dahingehend geltend machte, daß dieses unglückliche Volk die anderen Rassen mit Krieg überzog, um sie dem Willen eines Mannes zu unterwerfen, der kein Mensch mehr war, nicht einmal mehr Herr über sich selbst.«
»Und seine Anhänger?« fragte Menion.
»Opfer wie er. Sie wurden Diener ihres Herrn, alle Sklaven der unheimlichen Zaubermacht.« Allanons Stimme verklang zögernd, als wolle er noch etwas hinzufügen, sei sich aber der Wirkung auf seine Zuhörer nicht gewiß. Er besann sich eines Besseren und fuhr fort: »Die Tatsache, daß diese unglücklichen Druiden gerade auf das Gegenteil dessen stießen, was sie suchten, ist allein schon eine Lehre für den Menschen.
Mit Geduld hätten sie vielleicht die fehlenden Bindeglieder zu den alten Wissenschaften zusammenfügen können, statt die furchtbare Kraft der Geisterwelt freizulegen, die sich gierig von ihren ungeschützten Gemütern nährte, bis sie verschlungen waren. Der menschliche Geist ist nicht ausgerüstet, den Wirklichkeiten körperlosen Daseins in dieser Sphäre standzuhalten. Es ist zuviel, als daß ein Sterblicher das lange ertragen könnte.« Wieder verfiel er in ein bedeutungsschwangeres Schweigen. Die Zuhörer begriffen nun, was für einen Gegner sie zu übertölpeln versuchten. Sie standen gegen einen Mann, der nicht länger ein Mensch war, sondern die Projektion einer ungeheuren Kraft jenseits ihres Fassungsvermögens, einer so grenzenlosen Macht, daß Allanon befürchtete, sie könne dem menschlichen Geist etwas anhaben.
»Den Rest kennt ihr schon«, sagte Allanon mit scharfer Stimme. »Das Wesen namens Brona, das nichts Menschliches mehr an sich hat, war die lenkende Kraft hinter beiden Rassen-Kriegen. Die Träger der Totenschädel sind die Anhänger ihres alten Oberherren Brona, jene Druiden, die einst menschliche Gestalt hatten und zum Rat von Paranor gehörten.
Sie können ihrem Schicksal ebensowenig entrinnen wie er. Die Erscheinungen, die sie annehmen, sind selbst eine Verkörperung des Bösen, das sie vertreten. Aber was für unsere Absichten noch wichtiger ist, sie stellen für die Menschheit, für die Völker aller vier Länder, ein neues Zeitalter dar.