Während die alten Wissenschaften in unserer Geschichte verschwunden sind, so vergessen wie die Jahre, als Maschinen das Himmelsgeschenk eines leichten Lebens waren, ist an ihre Stelle der Bann der Zauberei getreten — eine mächtigere, gefährlichere Bedrohung des menschlichen Lebens als jede andere davor. Wir leben im Zeitalter des Hexenmeisters, und seine Macht droht uns alle zu verschlingen.«
Es blieb einen Augenblick still. Auf dem nächtlichen Wald lastete tiefes Schweigen, als Allanons Worte zwischen den Bäumen verhallt waren.
»Was ist das Geheimnis des Schwertes von Shannara?« fragte Shea schließlich mit leiser Stimme.
»Im Ersten Krieg der Rassen war die Macht des Druiden Brona begrenzt«, erwiderte Allanon beinahe flüsternd. »Die vereinigte Macht der anderen Rassen, zusammen mit dem Wissen des Druiden-Rates, besiegte deshalb seine Menschenarmee und trieb ihn in ein Versteck. Er hätte vielleicht auf gehört zu sein, und das Ganze wäre ein abgeschlossenes Kapitel mehr in der Geschichte gewesen — ein historischer Krieg mehr zwischen Sterblichen —, wäre es ihm nicht gelungen, das Geheimnis zu entschlüsseln, seine geistige Essenz zu bewahren, lange nachdem seine sterblichen Überreste zu Staub hätten zerfallen sollen. Auf irgendeine Weise erhielt er seinen eigenen Geist, nährte ihn mit der Macht der mystischen Kräfte, die er nun besaß, verlieh ihm ein Leben abseits des Materiellen, abseits des Sterblichen. Er war nun fähig, eine Brücke zwischen den beiden Welten zu schlagen — der Welt, in der wir leben, und der Geisterwelt dahinter, wo er die schwarzen Schatten rief, die Jahrhunderte geschlummert hatten, und auf die Zeit wartete, in der er zurückschlagen konnte. Während er wartete, sah er die Rassen sich auseinanderleben, wie er es vorausgesehen, und die Macht des Druiden-Rates abnehmen, als ihr Interesse an den Rassen verkümmerte. Wie alle bösen Dinge wartete er, bis das Maß an Haß, Neid und Habgier — die menschlichen, allen Rassen gemeinsamen Schwächen — das Gute und Freundliche überwog, und dann schlug er zu.
Er gewann leicht die Herrschaft über die primitiven, streitbaren Gebirgstrolle der Charnal-Berge, verstärkte ihre Zahl mit Wesen der Geisterwelt, der er nun diente, und seine Armee marschierte gegen die entzweiten Rassen.
Wie ihr wißt, besiegten sie den Druiden-Rat und vernichteten ihn- alle, bis auf wenige, die fliehen konnten. Einer von jenen, die entkamen, war ein alter Mystiker namens Brimen, der die Gefahr vorausgesehen und die anderen vergeblich gewarnt hatte. Als Druide war er ursprünglich Historiker gewesen und hatte in dieser Eigenschaft den Ersten Krieg der Rassen studiert und von Brona und seinen Anhängern erfahren. Angeregt von dem, was sie zu erreichen versucht hatten, und voll Argwohn, daß der rätselhafte Druide vielleicht Kräfte erworben haben könnte, die niemand kannte oder gegen die keiner aufzukommen vermochte, begann Brimen sich selbst mit den mystischen Künsten zu befassen, aber mit größerer Behutsamkeit und Angst vor den Kräften, die er möglicherweise würde freisetzen können. Nach einigen Jahren gewann er die Überzeugung, daß Brona tatsächlich noch existierte, daß der nächste Krieg gegen die Menschheit ausbrechen und zuletzt von den Mächten der Zauberei und schwarzen Magie entschieden werden würde. Ihr könnt euch vorstellen, wie man auf diese Theorie reagierte — er wurde aus Paranor praktisch hinausgeworfen. Danach meisterte er die mystischen Künste auf eigene Paust und war nicht zugegen, als die Burg von Paranor der Troll-Armee erlag. Als er erfuhr, daß der Rat besiegt war, wußte er, daß die Rassen dem Zauber wehrlos gegenüberstehen würden, wenn er nicht handelte.
Brona beherrschte Kräfte, von denen Sterbliche nichts ahnten.
Brimen stand vor dem Problem, eine Kreatur zu besiegen, die von keiner Waffe aus sterblicher Hand berührt werden konnte, eine Kreatur, die mehr als fünfhundert Jahre überlebt hatte. Er ging zur größten Nation seiner Zeit — den Elfen unter der Führung eines tapferen jungen Königs namens Jerle Shannara — und bot seine Unterstützung an. Das Elfen-Volk hatte Brimen stets geachtet, weil es ihn besser verstand, als das seine Genossen taten. Er hatte seit Jahren vor dem Fall Paranors bei ihnen gelebt und die Wissenschaft des Mystischen studiert.«
»Einen Punkt verstehe ich nicht«, sagte Balinor. »Wenn Brimen ein Meister der mystischen Künste war, warum konnte er nicht selbst die Macht des Dämonen-Lords herausfordern?«
Allanons Antwort wirkte ausweichend:
»Er stellte sich Brona schließlich auf den Ebenen von Streleheim, wenn auch dieser Kampf für sterbliche Augen nicht sichtbar war, und beide verschwanden. Man nahm an, Brimen habe den Geister-König besiegt, aber die Zeit hat erwiesen, daß dem nicht so war, und nun...« Er zögerte nur einen Augenblick, bevor er den Faden wiederaufnahm, aber die Bedeutung der Pause war seinen Zuhörern klar. »Jedenfalls begriff Brimen eines: Was man brauchte, war ein Talisman als Schild gegen die mögliche Rückkehr eines Brona zu einer anderen Zeit, in der niemand mit den mystischen Künsten mehr vertraut sein mochte, um den Völkern der vier Länder Hilfe zu gewähren. So entwickelte er die Idee von einem Schwert, einer Waffe mit der Macht, den Dämonen-Lord zu besiegen.
Brimen schmiedete das Schwert von Shannara mit Hilfe seiner eigenen mystischen Fähigkeiten, formte es mit mehr als dem bloßen Metall unserer eigenen Welt, verlieh ihm die besondere schützende Eigenschaft aller Talismane gegen das Unbekannte. Das Schwert sollte seine Kraft aus dem Geist von Sterblichen beziehen, für die es als Schild wirkte — die Macht des Schwertes war ihr eigenes Bestreben, frei zu sein, sogar ihr Leben dafür hinzugeben, diese Freiheit zu bewahren.
Das war die Macht, die es Jerle Shannara ermöglichte, die von Geistern beherrschte Nordland-Armee zu besiegen; es ist dieselbe Macht, die nun dazu gebraucht werden muß, den Dämonen-Lord in die Höllenwelt zurückzuschicken, wohin er gehört, ihn dort für alle Zeit festzubannen, ihm den Rückweg in diese Welt für ewig zu versperren. Aber solange das Schwert in seinem Besitz ist, bleibt ihm die Möglichkeit, zu verhindern, daß seine Macht gegen ihn gebraucht wird, und das, meine Freunde, darf nicht sein.«
»Aber woher kommt es, daß nur ein Sohn des Hauses Shannara.«, begann Shea stockend.
»Das ist die größte Ironie von allem!« rief Allanon. »Wenn ihr alles verfolgt habt, was ich über die Wandlungen des Lebens nach den Großen Kriegen berichtet habe, werdet ihr verstehen, was ich nun erklären will — die seltsamste Erscheinung von allen. Während die alten Wissenschaften nach praktischen Theorien wirkten, aufgebaut auf Dingen, die man sehen, berühren und fühlen konnte, wirkt die Zauberei unserer eigenen Zeit nach einem völlig anderen Prinzip. Ihre Macht ist nur dann wirksam, wenn an sie geglaubt wird, denn sie ist Macht über den Geist, die man mit menschlichen Sinnen weder berühren noch sehen kann. Wenn der Geist nicht wirklich eine Grundlage für den Glauben an ihr Vorhandensein finden kann, besitzt sie keine echte Wirkung. Der Dämonen-Lord weiß das, und die Angst und der Glaube an das Unbekannte — die Welten, die Wesen, alle die Geschehnisse, die von den begrenzten Sinnen der Menschen nicht begriffen werden können — bieten ihm als Grundlage mehr als genug, um seine mystischen Kräfte zu praktizieren. Darauf verläßt er sich seit über fünfhundert Jahren. Ebenso kann das Schwert von Shannara keine wirksame Waffe sein, wenn derjenige, der es gebraucht, nicht an seine Kraft glaubt. Als Brimen Jerle Shannara das Schwert gab, beging er den Fehler, es direkt einem König und einem Königshaus zu übergeben — er übergab es nicht dem Volk. Daraus erwuchs durch menschliches Mißverständnis und historische Fehlbeurteilung der allgemeine Glaube, daß das Schwert allein die Waffe des Elfen-Königs sei, und nur jene, die von ihm abstammten, das Schwert gegen den Dämonen-Lord erheben konnten. So kommt es, daß jetzt, wenn es nicht von einem Sohn des Hauses Shannara ergriffen wird, die Person nie ganz an ihr Recht glauben kann, es zu gebrauchen. Die uralte Tradition, daß nur ein solcher es führen kann, wird alle anderen zweifeln lassen — und es darf keinen solchen Zweifel geben, sonst wirkt es nicht und wird nur ein Stück Metall sein. Nur das Blut und der Glaube eines Nachkommen von Shannara können die schlummernde Kraft des großen Schwertes wecken.« Er war zum Schluß gekommen. Das Schweigen danach schien auf allen zu lasten. Allanon bedachte noch einmal, was er sich selbst versprochen hatte. Er hatte ihnen nicht alles erzählt, sondern bewußt das zurückgehalten, das für sie das Maß des Entsetzens vollgemacht hätte. Er fühlte sich innerlich hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, alles auszusprechen, und der nagenden Erkenntnis, daß es jede Aussicht auf Erfolg zunichte machen würde.