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»Das habe ich befürchtet«, murmelte Höndel vor sich hin, als Shea hinter Dayel aus der Nische trat. »Ich hatte gehofft, daß die Gnome sich nicht so weit in das Land wagen würden, das für sie tabu ist. Hier scheint nun die Falle zu sein, in die sie uns gelockt haben.«

Shea trat hinaus in das Licht auf einen ebenen Sims, wo die anderen schon standen und wütend vor sich hin murrten. Allanon kam hinter ihm heraus, und sie betrachteten gemeinsam die Szenerie. Das Felsband, auf dem sie standen, ragte von der Öffnung des Passes etwa fünfzehn Fuß hinaus und stürzte dann senkrecht in einen viele hundert Fuß tiefen Abgrund hinab. Selbst im grellen Sonnenlicht schien dieser bodenlos zu sein. Die Felswände bildeten hinter ihnen und rund um den Abgrund einen Halbkreis, um danach schroff abzufallen und den Weg zu den dichten Wäldern freizugeben. Der Abgrund, ein Trick der Natur, sah wirklich aus wie eine unregelmäßige Schlinge. Es gab keinen Ausweg. Auf der anderen Seite der Schlucht baumelten die Überreste einer alten Brücke aus Seilen und Holz, früher der einzige Weg, den Abgrund zu überqueren.

Acht Augenpaare suchten die steilen Felswände ab, nach einem Weg, an ihnen hinauf zukommen. Aber es war nur allzu klar, daß der einzige Weg zur anderen Seite direkt über den Abgrund führte.

»Die Gnome wußten, was sie taten, als sie die Brücke zerstört haben«, fauchte Menion. »Wir sitzen zwischen ihnen und diesem bodenlosen Loch fest. Sie brauchen uns nicht einmal zu folgen. Sie können warten, bis wir verhungern. Wie unsinnig...«

Er verstummte empört. Sie wußten alle, daß sie dumm gewesen waren, sich in eine solche einfache, aber wirksame Falle locken zu lassen. Allanon trat an den Rand des Abgrunds, starrte in die Tiefe und richtete dann den Blick auf die andere Seite.

»Wenn es etwas schmaler wäre oder ich mehr Anlauf hätte, könnte ich hinüberspringen«, sagte Durin. Shea schätzte die Entfernung auf mindestens fünfunddreißig Fuß. Er schüttelte zweifelnd den Kopf. Selbst wenn Durin der beste Weitspringer der Welt gewesen wäre, hätte Shea einem Versuch unter solchen Umständen wenig Aussicht gegeben.

»Augenblick!« rief Menion, trat zu Allanon und deutete nach Norden. »Was ist mit dem alten Baum, der dort aus der Felswand ragt?«

Alle schauten hinüber, ohne sich erklären zu können, was der Hochländer meinte. Der Baum, den er bezeichnete, wuchs im Fels, fast hundertfünf zig Meter von ihnen entfernt.

Sein grauer Umriß zeichnete sich gegen den Himmel ab. Die Äste waren nackt und ohne Laub, sie hingen tief hinab wie die müden Glieder eines Riesen, der mitten im Schritt erstarrt war. Es war der einzige Baum, den man entlang des mit Steinen übersäten Weges sehen konnte, bevor dieser den Wald erreichte. Shea blickte hinüber, sah aber dort keine Hilfe.

»Wenn ich einen Pfeil in den Baum schieße, mit einer Schnur daran, könnte jemand, der leicht ist, sich hinüberhangeln und ein Seil für uns anbringen«, schlug der Prinz von Leah vor und packte seinen Bogen.

»Der Schuß geht über hundert Meter«, erwiderte Allanon gereizt. »Mit der zusätzlichen Belastung durch eine Schnur müßtet Ihr den großartigsten Treff er der Welt erzielen, ganz zu schweigen davon, ihn so tief in den Stamm zu setzen, daß er das Gewicht eines Mannes tragen würde. Ich glaube nicht, daß das möglich sein wird.«

»Nun, einfallen muß uns etwas, sonst können wir das Schwert von Shannara und alles andere vergessen«, knurrte Höndel mit zorngerötetem Gesicht.

»Ich habe eine Idee«, erklärte Flick plötzlich und trat einen Schritt vor. Alle sahen ihn an, als begegnete er ihnen zum erstenmal.

»Nun gut, dann behalt sie nicht für dich!« rief Menion ungeduldig.

»Also, Flick?«

»Wenn es in unserer Gruppe einen hervorragenden Schütten gäbe«, sagte er und warf Menion einen giftigen Blick zu, »könnte er einen Pfeil mit der Schnur in die Holzstücke der Brücke schießen, die dort hängen, und sie auf unsere Seite herüberziehen.«

»Das zu versuchen, lohnt sich!« sagte Allanon sofort.

»Und wer...?«

»Ich kann das«, sagte Menion selbstbewußt und lächelte Flick an.

Allanon nickte knapp, und Höndel zog eine starke Kordel heraus, die Menion Leah an einem Pfeil befestigte, bevor er das andere Ende um seinen breiten Ledergürtel knotete. Er legte den Pfeil in den großen Bogen und zielte. Alle Augen starrten über die Kluft zu dem Seil, das auf der anderen Seite baumelte. Menions Augen folgten dem Seil nach unten in die Dunkelheit, bis er ein Stück Holz etwa dreißig Fuß tiefer hängen sah. Alle warteten atemlos, als er den mächtigen Bogen spannte, schnell visierte und den Pfeil surren ließ, der hinüberschoß und sich in das Holz bohrte.

»Gut gemacht, Menion«, lobte Durin. Menion lächelte.

Vorsichtig wurde gezogen, bis man die durchtrennten Seilenden wieder beisammen hatte. Allanon suchte vergeblich nach einer Verankerung, aber die Pflöcke waren von den Gnomen entfernt worden. Höndel und Allanon stemmten sich am Rand des Abgrunds ein und spannten das Brückenseil, während Dayel sich Hand über Hand über dem gähnenden Abgrund hinüberhangelte, ein zweites Seil um die Hüften geschlungen. Es gab ein paar unbehagliche Augenblicke, als der schwarzgekleidete Riese und der stumme Zwerg ihre ganzen Kräfte aufbieten mußten, um das Seil zu halten, aber am Ende stand Dayel sicher auf der anderen Seite. Balinor erschien wieder und teilte mit, daß der Waldbrand nachließ und die Gnomenjäger wohl bald auftauchen würden. Hastig wurde Dayels Seil herübergeworfen, nachdem er es auf seiner Seite befestigt hatte. Man zog das längere Ende zwischen die herausragenden Felsen am Paßeingang und verankerte es. Die anderen Angehörigen der Gruppe hangelten sich Hand über Hand nach drüben, bis alle sicher auf der anderen Seite standen.

Dann wurde das Seil durchgeschnitten und in den Abgrund geworfen, zusammen mit dem Rest der alten Brücke, um sicherzustellen, daß man ihnen nicht folgen konnte.

Allanon befahl, lautlos weiterzugehen, damit die herannahenden Gnome nichts merkten. Bevor sie sich auf den Weg machten, trat er auf Flick zu und legte die Hand auf seine Schulter.

»Heute hast du dir das Recht verdient, dieser Gemeinschaft anzugehören, mein Freund«, sagte er, »ein Recht, das über die Beziehung zu deinem Bruder hinausgeht.« Er wandte sich ab und gab Höndel ein Zeichen. Shea blickte in Flicks rotes, glückliches Gesicht und schlug ihm auf die Schulter. Flick hatte sich wahrlich das Recht verdient, neben den anderen zu stehen — ein Recht, das Shea sich vielleicht noch nicht erworben hatte.

11

Sie rückten zehn Meilen in die Wolfsktaag-Berge vor, ehe Allanon haltmachen ließ. Der Paß und die Gefahr, von den Gnomen angegriffen zu werden, lagen weit zurück, und sie befanden sich nun tief in den Wäldern. Ihr Marsch war bis dahin schnell und unbehindert vor sich gegangen, die Wege waren breit und gut begehbar gewesen, das Terrain flach, wiewohl sie sich im hohen Gebirge befanden. Die Luft war frisch und kühl, so daß die Wanderung beinahe angenehm war, und die warme Nachmittagssonne schien auf sie herunter. Die Wälder waren in diesen Bergen durch Felsflanken und nackte, schneebedeckte Gipfel zerrissen. Obschon dies historisch ein verbotenes Land war, selbst für die Zwerge, fand niemand einen Hinweis auf etwas Außergewöhnliches, das eine Gefahr angezeigt hätte. Alle normalen Geräusche des Waldes waren vernehmbar, vom Zirpen der Insekten bis zu den fröhlichen Liedern einer Vielzahl bunter Vögel.

»In einigen Stunden machen wir Rast für die Nacht«, sagte Allanon, nachdem er die anderen um sich versammelt hatte.

»Ich verlasse euch aber am frühen Morgen, um jenseits des Wolfsktaag nach Spuren des Dämonen-Lords und seiner Gehilfen zu suchen. Sobald wir unseren Weg durch das Gebirge und eine kurze Strecke des Anar-Waldes bewältigt haben, müssen wir noch die Ebenen jenseits des Drachenzahns überqueren, kurz vor Paranor. Wenn die Wesen des Nordlands oder ihre Verbündeten den Zugang gesperrt haben, muß ich das jetzt wissen, damit wir uns schnell für einen anderen Weg entscheiden können.«