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Balinor, der wieder als letzter den Zug beschloß, dachte ebenfalls über den geheimnisvollen Mann aus Paranor nach, den Historiker, der so viel wußte, was anderen nie in den Sinn gekommen, den Wanderer, der überall gewesen zu sein schien und von dem man doch so wenig zu berichten verstand. Er kannte Allanon schon seit vielen Jahren, während er im Reich seines Vaters aufgewachsen war, besaß aber keine deutliche Erinnerung an ihre Begegnungen. Die weisen Männer in allen Ländern kannten Allanon als Gelehrten und Philosophen ohne seinesgleichen. Andere kannten ihn nur als Reisenden, der mit gutem Rat nicht geizte und eine Art grimmigen klaren Menschenverstands besaß, dem Irrtümer nicht nachzuweisen waren. Balinor hatte von ihm gelernt und zu ihm ein Vertrauen gefaßt, aus dem ein beinahe blinder Glaube geworden war. Trotzdem war ihm der riesige schwarze Wanderer stets ein Rätsel geblieben, und beinahe zufällig ging ihm auf, dass er in der ganzen Zeit keine Anzeichen des Alterns an ihm hatte wahrnehmen können.

Der Weg führte wieder aufwärts und wurde schmaler, als sich die hohen Bäume und das Dickicht wie eine Wand um die Wanderer schlössen. Menion hatte sich an die Stoffstreifen gehalten und zweifelte nicht, auf dem richtigen Weg zu sein. Es war beinahe Mittag, als der Weg sich unerwartet gabelte.

Menion blieb erstaunt stehen.

»Das ist seltsam. Eine Gabelung und keine Markierung — ich kann nicht begreifen, warum Allanon uns hier keinen Hinweis hinterlassen haben sollte.«

»Es muß irgend etwas damit geschehen sein«, meinte Shea grübelnd. »Welchen Weg nehmen wir?«

Höndel suchte den Boden ab. Auf dem Pfad, der zum Grat hinaufführte, sah man Spuren geknickter Zweige und abgefallener Blätter. Auf dem unteren Weg gab es dagegen Fußspuren, wenn auch sehr undeutliche. Instinktiv wußte er, dass Gefahr auf einem, wenn nicht auf beiden der Wege drohte.

»Gefällt mir nicht«, knurrte er. »Da ist etwas nicht in Ordnung.

Die Hinweise sind wirr, vielleicht mit Absicht.«

»Vielleicht war das Gerede, das Land hier sei tabu, doch nicht so falsch«, sagte Flick trocken und setzte sich auf einen umgestürzten Baum.

Balinor kam heran und besprach sich mit Höndel; der Zwerg gab zu, daß es über den unteren Weg schneller gehen würde. Aber nichts deutete darauf hin, welchen Weg Allanon genommen hatte. Schließlich warf Menion die Hände in die Luft und verlangte eine Entscheidung.

»Wir wissen alle, daß Allanon hier nicht weitergegangen wäre, ohne einen Hinweis zu hinterlassen, also muß mit den Zeichen entweder etwas geschehen oder Allanon etwas zugestoßen sein. Wir können aber nicht hier sitzenbleiben. Er hat gesagt, wir wollten uns am Jade-Paß oder in den Wäldern dahinter treffen, also stimme ich für den unteren Weg — wo es am schnellsten geht.«

Höndel trug wieder seine Bedenken vor, Balinor und die anderen diskutierten erregt miteinander und schlössen sich dann der Meinung Menions an. Sie gedachten, dem schnelleren Weg zu folgen, aber besonders wachsam zu sein, bis sie das rätselhafte Gebirge hinter sich gelassen hatten.

Sie bildeten wieder eine Reihe, und Menion ging voran. Sie eilten den abfallenden Weg hinunter, der sie in ein von hohen Bäumen beschirmtes Tal zu führen schien. Nach kurzer Zeit begann der Weg sich zu verbreitern, Bäume und Unterholz wichen zurück, und das Gefalle wurde weniger steil. Ihre Ängste legten sich, als der Marsch geringere Anstrengung erforderte, und es war erkennbar, daß hier einmal vor langer Zeit eine wichtige Verbindungsstraße durch die Landschaft geführt hatte. Sie waren kaum eine Stunde unterwegs, als sie den Talboden erreichten. Die Bäume hinderten sie, sich genau zu orientieren, weil man nichts sah als den Weg vor und den wolkenlosen blauen Himmel über sich.

Nach kurzer Zeit entdeckte die Gruppe ein ungewöhnliches Gefüge, das sich wie ein riesiger Rahmenbau aus dem Wald erhob. Es schien Teil des Waldes selbst zu sein, wenn man von der geometrischen Ausrichtung der Glieder absah, und nach Augenblicken waren sie nahe genug herangekommen, um eine Reihe von Riesentragbalken zu erkennen, bedeckt mit Rost, quadratische Ausschnitte des Himmels einrahmend.

Die Wanderer gingen langsamer und schauten sich vorsichtig um, ob das nicht eine Art Falle für unvorsichtige Reisende sein mochte. Aber nichts rührte sich, so daß sie weitergingen, angelockt von dem Bau, der vor ihnen wartete.

Plötzlich hörte die Straße auf, und der fremdartige Rahmenbau stand ganz vor ihnen, mit vor Alter verfallenden riesigen Metallbalken, aber noch immer aufrecht und stabil. Sie waren Teil einer frühen, alten Stadt, aus einer Zeit, an die niemand sich mehr erinnerte, die vergessen war wie das Tal und die Berge, in denen sie gestanden hatte — ein letztes Denkmal für eine Zivilisation längst verschwundener Wesen. Das Metallgerüst war eingelassen in Fundamente wie aus Stein, die nun zerfielen, zernagt von der Zeit und dem Wetter. An manchen Stellen sah man Überreste von Mauern. Eine große Anzahl dieser verfallenden Bauten war zusammengedrängt, reichte einige hundert Meter weit und endete an der Waldwand, die dem Eindringen des Menschen in die unzerstörbare Natur ein Ende gesetzt hatte. In den Bauten und durch Fundamente und Gerüste wuchsen Buschwerk und kleine Bäume in solchem Überfluß, daß die Stadt eher zu ersticken als zu verfallen schien. Die Gruppe starrte stumm auf die fremdartigen Zeugen einer anderen Zeit.

»Was ist das für ein Ort?« fragte Shea schließlich leise.

»Die Überreste irgendeiner großen Stadt«, sagte Höndel achselzuckend und sah den jungen Talbewohner an. »Seit Jahrhunderten ist hier niemand mehr gewesen.«

Balinor trat auf das am nächsten stehende Gerüst zu und kratzte an dem Metallträger. Große Rost- und Schmutzkrusten lösten sich ab, und darunter sah man eine stumpfe, stahlgraue Farbe, die anzeigte, wieviel Kraft noch in dem Bau steckte. Die anderen folgten ihm, als er umherging und die Fundamente prüfte, die aussahen wie Stein. Er blieb an einer Ecke stehen und wischte Sehmutz und Staub weg. In der verfallenden Wand war ein Datum zu lesen. Sie beugten sich alle vor.

»Diese Stadt war schon vor den Großen Kriegen hier«, sagte Shea verblüfft. »Ich kann es nicht glauben — das muß das älteste noch vorhandene Bauwerk sein.«

»Ich weiß noch, was Allanon uns von den Menschen dieser Zeit erzählt hat«, erklärte Menion. »Das große Zeitalter, hat er gesagt — und was hat es uns zu zeigen? Nichts als ein paar Eisenträger.«

»Rasten wir ein paar Minuten, bevor wir weitergehen?« sagte Shea. »Ich möchte mir die anderen Bauten noch schnell ansehen.«

Balinor und Höndel tauschten besorgte Blicke aus, erklärten sich dann aber mit einer kurzen Rast einverstanden, vorausgesetzt, alle blieben eng beisammen. Shea ging, begleitet von Flick, zur nächsten Ruine. Höndel setzte sich und blickte argwöhnisch auf die hohen Strukturen; jeder Augenblick, den sie in diesem Metalldschungel zu lange verweilten, erschien ihm gefährlich. Nach wenigen Minuten hing Höndel einem Tagtraum nach, in dem Culhaven und seine Familie vorkamen. Er ermahnte sich, wachsam zu sein. Alle waren in Sichtweite, aber Shea und Flick hatten sich ein Stück entfernt, um die Überreste der alten Zivilisation zu studieren. Im selben Augenblick bemerkte Höndel, daß es im Wald ringsum totenstill geworden war. Nicht einmal der Wind regte sich mehr im friedlichen Tal, kein Vogel flog darüber hinweg, kein, einziges Insekt konnte man summen hören. Der eigene Atem klang laut in seinen Ohren.

»Da geht etwas nicht mit rechten Dingen zu«, sagte er und griff instinktiv nach seinem schweren Streitkolben.

In diesem Moment entdeckte Flick etwas Schmutzig-Weißes am Boden neben dem Bau, den er und Shea betrachteten, vom Fundament halb verborgen. Neugierig näherte er sich den Gegenständen, bei denen es sich um Stöcke und Teile verschiedener Größe zu handeln schien, die wahllos verstreut herumlagen. Shea bemerkte vom Interesse seines Bruders nichts und entfernte sich von dem Gebäude, um gebannt die Überreste eines anderen anzustarren. Flick trat näher, konnte aber immer noch nicht erkennen, was die weißen Stöcke sein mochten. Erst als er vor ihnen stand und sie auf der dunklen Erde in der hellen Mittagssonne schimmern sah, erkannte er sie mit einem eisigen Schauer als Gebeine.