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»Die ganze Reise ist ein Risiko«, fuhr Allanon fort. »Wir wußten alle, welche Gefahren uns drohten, bevor wir aufbrachen. Wollt ihr an dieser Stelle umkehren, oder führen wir die Sache zu Ende?«

»Wir folgen Euch«, erklärte Balinor nach kurzem Zögern.

»Das habt Ihr gewußt. Das Risiko lohnt sich, wenn wir das Schwert in unsere Hände bekommen.«

Allanon lächelte schwach, und seine tiefliegenden Augen glitten über die Gesichter der anderen, erwiderten jeden Blick mit durchdringender Schärfe und blieben schließlich an Shea haften. Der Talbewohner sah ihn unverwandt an, auch wenn sich Angst und Zweifel in ihm regten, während die Augen des schwarzen Wanderers sich in seine innersten Gedanken zu bohren schienen.

»Nun gut.« Allanon nickte. »Geht jetzt und ruht euch aus.« Er drehte sich um und schritt zum Dorf zurück. Balinor hastete ihm nach, offenbar entschlossen, weitere Fragen zu stellen. Die anderen sahen den beiden nach, bis sie verschwunden waren. Shea bemerkte erstmals, daß es fast dunkel geworden war. Augenblicke lang regte sich niemand, dann standen sie langsam auf und kehrten in den friedlichen Ort zurück, um bis Mitternacht zu schlafen.

Shea kam es vor, als sei er eben eingeschlafen, als er eine kräftige Hand an seiner Schulter spürte, die ihn wachrüttelte.

Das Licht einer Fackel flackerte im dunklen Zimmer, und er kniff die Augen zusammen. Durch den Nebel des Halbschlafs sah er das entschlossene Gesicht Menion Leahs, dessen Augen ihm verrieten, daß die Zeit für den Aufbruch gekommen war. Er stand in der kalten Nachtluft schwankend auf und zögerte kurz, bevor er sich anzog. Flick war schon wach und halb angezogen. Sein ruhiges Gesicht verbreitete Zuversicht.

Shea fühlte wieder Kraft, so viel Kraft, daß er den langen Marsch durch die Rabb-Ebenen zu den Drachenzähnen und weiter durchhalten zu können glaubte.

Minuten später gingen die drei Männer durch das schlafende Stör-Dorf, um sich mit den anderen zu treffen. Die dunklen Häuser waren schwarze, geduckte Gebilde im schwachen Licht eines Nachthimmels, der überzogen war von einer dicken, sich träge dahinbewegenden Wolkendecke.

Es war eine gute Nacht, geeignet, um im offenen Gelände zu marschieren, und Shea fühlte sich beruhigt von dem Gedanken, daß Abgesandte des Dämonen-Lords es schwer haben würden, sie zu finden. Alles schien zu ihren Gunsten zu stehen.

Als sie die Westgrenze von Storlock erreichten, stießen sie auf die anderen, nur Allanon fehlte. Durin und Dayel wirkten in der Dunkelheit wie formlose Schatten, während sie schweigend auf und ab gingen und auf die Nachtgeräusche lauschten. Shea kam an ihnen vorbei und wunderte sich wieder über ihre Elfen-Züge, die seltsamen spitzen Ohren und die dünnen, steil aufsteigenden Brauen. Er fragte sich, ob ihn andere Menschen auch so betrachteten wie er die Elfen-Brüder? Waren sie wirklich andere Wesen ? Er dachte wieder über die Geschichte der Elfen nach, die Allanon einmal als bemerkenswert bezeichnet, aber nicht weiter geschildert hatte. Ihre Geschichte war seine eigene; er wußte jetzt, was er immer vermutet hatte. Er wollte noch mehr darüber erfahren, vielleicht nur, um sein eigenes Erbe und die Geschichte des Schwertes von Shannara besser zu verstehen.

Er blickte hinüber zur hochgewachsenen, breitschultrigen Gestalt Balinors, der wie eine Statue im Dunkeln stand. Balinor war im Grunde das Zuverlässigste und Beruhigendste an der ganzen Unternehmung. Selbst Allanon vermochte nicht soviel Zutrauen zu erzeugen wie der Prinz von Callahorn, auch wenn Shea ahnte, daß der Historiker mehr Macht besaß.

Vielleicht wußte Allanon, was Balinor in den anderen bewirkte, und hatte ihn deshalb mitgenommen.

»Gewiß, Shea.« Die leise Stimme ertönte so nah an seinem Ohr, daß der Talbewohner heftig zusammenzuckte. Der schwarze Wanderer glitt an ihm vorbei und winkte die anderen zu sich. »Wir müssen die Nacht nützen. Bleibt zusammen und achtet auf die Vorangehenden. Nicht sprechen.«

Ohne weitere Anweisungen führte der schwarze Riese sie auf einem schmalen Pfad, der von Storlock direkt nach Westen führte, in die Anar-Wälder. Shea reihte sich hinter Menion ein, das Herz klopfte ihm noch im Hals von dem Schrecken, den er erlitten hatte; er dachte bestürzt über die Begegnungen mit dem seltsamen Mann nach und fragte sich, ob nicht doch zutraf, was er immer schon geargwöhnt hatte.

Auf jeden Fall wollte er seine Gedanken für sich behalten, so schwer das auch sein mochte.

Die Gruppe erreichte den Westrand der Anar-Wälder und die Rabb-Ebenen früher, als Shea erwartet hatte. Trotz der Schwärze des Nachthimmels spürten die Talbewohner die Gegenwart der Drachenzähne, die in der Ferne aufragten; wortlos sahen sie einander kurz an und starrten wieder in die Dunkelheit. Allanon führte sie ohne Rast und mit schneller Gangart durch die offene Ebene. Das Rabb-Land war völlig flach und gänzlich frei von natürlichen Hindernissen und sichtbarem Leben. Das einzige Wachstum waren kleine Bäume und vereinzelte Büsche, die aber nackt und skelettartig wirkten. Der Boden war hartgepreßte Erde, an manchen Stellen so trocken, daß sie von Rissen durchzogen war.

Nichts regte sich rund um die Wanderer, als sie stumm dahinschritten, Augen und Ohren angestrengt und wachsam offenhaltend.

An einem Punkt, nachdem sie schon fast drei Stunden durch die Rabb-Ebenen marschiert waren, brachte Dayel sie mit einer warnenden Geste zum Stehen und deutete an, daß er weit hinter ihnen in der Schwärze etwas gehört hatte.

Sie kauerten einige lange Minuten lautlos und regungslos zwischen Buschwerk, aber nichts geschah, Allanon zuckte endlich die Achseln, und sie setzten ihren Weg fort.

Sie erreichten die Drachenzähne kurz vor Tagesanbruch.

Der Nachthimmel war noch immer schwarz und bewölkt, als sie am Fuß des unheimlichen Gebirges anhielten, das ihnen den Weg versperrte. Shea und Flick fühlten sich beide noch kräftig, selbst nach dem langen Marsch, und gaben den anderen zu verstehen, daß sie ohne Pause würden weitergehen können. Allanon schien es eilig zu haben, beinahe so, als gedenke er eine Verabredung einzuhalten. Er führte sie auf einen steinigen Weg direkt in die gefährlich aussehenden Berge.

Der Pfad schien sich hinaufzuwinden in eine Nische im Fels.

Flick blickte unentwegt zu den Gipfeln hinauf und verrenkte sich den Hals, um die schroffen Grate anzustarren. Der Name >Drachenzähne< paßte gut.

Die Berge schlössen sich auf beiden Seiten um sie, als sie sich der Felsnische näherten. Hinter dem engen Paß konnten sie andere Berge sehen, höhere und gewiß unüberwindbar für alles, was nicht fliegen konnte. Shea blieb einmal stehen, griff nach einem Stein auf dem Weg und betrachtete ihn neugierig, während er wieder weiterging. Zu seiner Überraschung war der Stein an den flachen Stellen glatt, beinahe glasig, und von einer tiefen, spiegelnden Schwärze, die ihn an die Kohle erinnerte, welche in manchen Gemeinden des Südlandes als Brennstoff verwendet wurde. Dieses Gestein hier schien jedoch härter zu sein als Kohle. Man konnte meinen, es sei zusammengepreßt und poliert worden. Shea gab Flick den Stein, sein Bruder warf einen Blick darauf, zuckte die Achseln und schleuderte ihn fort.

Der Pfad wand sich zwischen hohen Felsblöcken dahin, so daß die Wanderer vorübergehend von den Bergen ringsherum nichts mehr sahen. Endlich erreichten sie eine freie Stelle, wo sie von den hohen Felswänden wieder genug sehen konnten, um zu wissen, daß sie an der Nischenöffnung waren, offenbar dem höchsten Punkt des Weges nahe, von wo aus es entweder bergab oder eben durch die Berge gehen mußte. Hier unterbrach Balinor die Stille mit einem leisen Pfiff, der die anderen stoppte. Er sprach kurz mit Durin, der zusammen mit Balinor das Ende der Kolonne bildete, dann wandte er sich Allanon und den anderen zu.

»Durin ist sicher, daß er auf dem Weg hier herauf jemanden hinter uns gehört hat«, sagte er gepreßt. »Und jetzt gibt es keinen Zweifel mehr — da ist wirklich jemand.«