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Durch die Kälte und das Brausen des sich steigernden Windes voneinander getrennt, blieb jeder für sich, und die Unfähigkeit, sich miteinander verständigen zu können, steigerte das wachsende Gefühl der Unruhe nur noch. Höndel war der einzige, der dagegen immun zu sein schien. Seine schweigsame, einzelgängerische Natur hatte ihn abgehärtet gegen Selbstzweifel, und sein um Haaresbreite gelungenes Entkommen aus den Fängen der aufgebrachten Gnome im Jade-Paß hatte zumindest vorübergehend jede Todesfurcht in ihm ausgelöscht. Er war dem Tod nah gewesen, so nah, daß ihn am Ende nur der Instinkt gerettet hatte.

Die Gnomen waren aus allen Richtungen auf ihn losgestürzt, bedenkenlos den Hang hinaufgestürmt, so wutentbrannt, daß allein Blutvergießen ihrem Haß ein Ventil verschaffen konnte. Er war blitzschnell in die Randgebiete des Wolfsktaags entwischt und hatte sich im Dickicht verborgen, während die Gnome ihre Kräfte verausgabten, bis einer von ihnen in Reichweite gekommen war. Es hatte nur Sekunden gedauert, den Ahnungslosen zu betäuben, den Gefangenen in seine unverwechselbare Zwergkleidung zu stecken und dann um Hilfe zu schreien. Die Gnome vermochten in der Dunkelheit, geblendet durch ihre Erregung, nichts anderes zu erkennen als das Gewand. Sie rissen ihren eigenen Genossen in Stücke, ohne es zu ahnen. Höndel hatte sich weiter verborgen gehalten und war am nächsten Tag heimlich durch den Paß geschlüpft, ein weiteres Mal davongekommen.

Die Leute aus dem Tal und die Elfen verfügten nicht über Höndels starkes Selbstvertrauen. Die Prophezeiung des Schattens von Brimen hatte sie betäubt. Im Geheul des stürmischen Bergwindes schienen die Worte sich unablässig zu wiederholen.

Einer von ihnen würde sterben müssen. Gewiß, die Prophezeiung hatte es anders ausgedrückt, aber der Sinn war unverwechselbar. Eine bittere Aussicht für sie, die keiner einfach hinnehmen wollte. Auf irgendeine Weise gedachten sie einen Weg zu finden, um die Voraussage Lügen zu strafen.

Allanon, weit voraus, die riesige Gestalt vorgebeugt im Wind, sann über die Ereignisse nach, die im Tal von Shale stattgefunden hatten. Zum hundertsten Mal dachte er an die seltsame Begegnung mit dem Schatten Brimens, des uralten Druiden, der dazu verdammt war, im Zwischenreich zu wandeln, bis der Dämonen-Lord endgültig besiegt war. Es war jedoch nicht die Erscheinung des wandernden Geistes, die ihn jetzt so verstörte. Es war das entsetzliche Wissen, das er in sich trug, tief verborgen unter seinen schwärzesten Wahrheiten. Sein Fuß stieß gegen einen Felssporn, so daß er stolperte und nur mühsam das Gleichgewicht halten konnte. Ein kreisender Habicht im Grau ließ einen schrillen Schrei hören und stieß über einem fernen Grat aus dem Himmel herab. Der Druide drehte den Kopf, als die dünne Reihe hinter ihm versuchte, Anschluß zu halten. Er hatte von dem Schatten mehr erfahren als die Worte der Prophezeiung.

Davon hatte er den anderen jedoch nichts gesagt, die ganze Wahrheit jenen, die ihm vertrauten, verschwiegen, so wie er ihnen auch nicht die ganze Geschichte hinter dem legendären Schwert von Shannara erzählt hatte. Seine tiefliegenden Augen glühten vor innerer Wut über die mißliche Lage, in die er sich versetzt hatte, weil er ihnen nicht alles anvertraut hatte, und für einen Augenblick überlegte er, ob er das nicht doch nachholen sollte. Sie hatten alle so viel gegeben, und dabei war das erst der Anfang... Aber Augenblicke später schob er den Gedanken unwirsch beiseite. Die Notwendigkeit war eine mächtigere Göttin als die Wahrheit.

Das Morgengrauen ging langsam in das Grau des Mittags über, und der Marsch ins Gebirge wurde fortgesetzt. Die Grate und Hänge kamen und gingen mit einer tristen Eintönigkeit, die in den Gehirnen der erschöpften Wanderer den Eindruck erweckte, als kämen sie überhaupt nicht voran. Vor ihnen erhob sich eine riesige, hochragende Kette von Gipfeln düster vor dem nebligen Horizont im Norden, und es sah ganz so aus, als schritten sie direkt auf eine Mauer aus undurchdringlichem Gestein zu. Dann gelangten sie in eine breite Schlucht, die steil hinabführte zu einem schmalen, gewundenen Pfad zwischen zwei hohen Felswänden, wo er sich im dichten Nebel verlor. Allanon führte sie in das wirbelnde Grau, als der Horizont verschwand und der Wind erstarb. Die Stille trat schlagartig und unerwartet ein, klang beinahe wie ein gehauchtes Wispern durch die gewaltigen Felsmassive und sprach mit gedämpfter, behutsamer Stimme in die Ohren der sich dahintastenden Wanderer. Dann verbreiterte sich der Paß ein wenig, der Nebel lichtete sich und zeigte eine hohe, höhlenartige Öffnung in der Felswand, wo der Schlängelpfad aufhörte.

Der Zugang zur Halle der Könige.

Er war ehrfurchtgebietend, majestätisch, erschreckend. Auf beiden Seiten des schwarzen Eingangs stand je eine gewaltige steinerne Statue, in den Fels gehauen, weit über dreißig Meter hoch im schwarzen Gestein. Die steinernen Wächter waren in Gestalt von rüstungsbewehrten Kriegern geformt worden, wachsam im Halbdunkel stehend, die Hände auf den Knäufen riesiger Schwerter, deren Spitzen an ihren Füßen standen. Ihre verwitterten, bärtigen Gesichter waren zernarbt von Zeit und Wind, aber die Augen wirkten beinahe lebendig, starr auf die acht Sterblichen gerichtet, die an der Schwelle der uralten von ihnen bewachten Halle standen. Über dem großen Eingang dienten drei in den Fels gemeißelte Wörter in einer seit Jahrhunderten vergessenen alten Sprache als Warnung für jene, die einzutreten gedachten, mit dem Hinweis, daß dies das Grabmal der Toten sei. Hinter der riesigen Öffnung gab es nur Schwärze und Stille.

Allanon versammelte die anderen um sich und sagte:

»Vor vielen Jahren, vor dem Ersten Krieg der Rassen, diente ein Kultus von Männern, deren Ursprünge sich in der Zeit verloren haben, als Priester für die Totengötter. In diesen Höhlen begruben sie die Monarchen der vier Länder zusammen mit ihren Familien, Dienern, bevorzugten Gütern und einem großen Teil ihres Reichtums. Die Legende behauptete, daß nur die Toten in diesen Kammern überdauern konnten, und nur die Priester erhielten die Erlaubnis, die Bestattung der toten Herrscher zu sehen.

Alle anderen, die hier eindrangen, wurden nie mehr gesehen.

Mit der Zeit starb der Kult aus, aber das in der Halle der Könige eingeführte Böse blieb bestehen, blind den Priestern dienend, deren Gebeine Jahre zuvor in die Erde zurückgekehrt waren. Nur wenige gelangten je hindurch...« Er unterbrach sich, als er in den Augen seiner Zuhörer die unausgesprochene Frage las. »Ich bin durch die Halle der Könige gegangen - ich allein aus dieser Zeit, und nun ihr. Ich bin ein Druide, der letzte, der noch auf dieser Erde wandelt. Wie Brimen, wie vor ihm Brona, habe ich die schwarzen Künste studiert und bin ein Zauberer. Ich besitze nicht die Macht des Schwarzen Lords - aber ich kann uns sicher durch diese Höhlen zur anderen Seite der Drachenzähne führen.«

»Und dann?« Balinors Frage tönte leise aus dem Nebel.

»Ein schmaler Felspfad, von den Menschen >Drachenfalte< genannt, führt aus dem Gebirge hinab. Dort angelangt, werden wir Paranor vor uns sehen.«

Lange herrschte verlegenes Schweigen. Allanon wußte, was die anderen dachten, ging aber nicht darauf ein. Er fuhr fort:

»Hinter diesem Eingang gibt es eine Anzahl von Gängen und Höhlen, ein Labyrinth für den, der den Weg nicht weiß. Manche Stellen sind gefährlich, andere nicht. Bald nach dem Eintreten werden wir den Tunnel der Sphinxe erreichen, Riesenstatuen wie diese Wächter hier, aber halb Mensch, halb Tier. Wer in ihre Augen blickt, wird auf der Stelle in Stein verwandelt. Ihr müßt also Augenbinden tragen. Außerdem seilt ihr euch an. Ihr müßt euch auf mich konzentrieren, nur an mich denken, denn ihr Wille, ihr geistiger Befehl, ist stark genug, euch zu zwingen, die Binden von den Augen zu reißen und in ihre Augen zu starren.«

Die sieben Männer sahen einander betroffen an. Sie begannen an der Weisheit des ganzen Unternehmens bereits zu zweifeln, während Allanon seinen Vortrag fortsetzte:

»Hinter den Sphinxen führen einige harmlose Korridore zum Gang der Winde, einem Tunnel, bewohnt von unsichtbaren Wesen, Banshies genannt, nach den legendären Astralgeistern. Sie sind nicht mehr als Stimmen, aber diese Stimmen vermögen Sterbliche in den Wahnsinn zu treiben. Ihre Ohren werden zur Sicherheit verschlossen, aber wieder kommt es darauf an, daß ihr euch auf mich konzentriert, euren Geist von dem meinen überdecken laßt, um zu verhindern, daß er der vollen Wirkung dieser Stimmen ausgesetzt ist. Ihr müßt euch entspannen und dürft euch nicht gegen mich wehren. Versteht ihr?«