Wenn ein einzelner Wassertropfen von den Stalaktiten herabfiel, lief eine Kräuselung über die Oberfläche und verschwand.
Die Männer traten vorsichtig an den Rand der Plattform und blickten hinab auf den hohen Steinaltar am Fuß der Treppe vor dem See; das uralte Gestein war zerschrundet und an manchen Stellen sogar bröckelig. Die Höhle wurde düster erhellt von phosphoreszierendem, streifen förmigem Licht, das über die Felswände zuckte.
Langsam stiegen die Männer die Treppe hinunter, und ihre Augen richteten sich auf das einzelne Wort, das in den Altar gemeißelt war. Ein paar kannten seine Bedeutung. Valg- ein Wort aus der alten Gnomensprache. Es bedeutete >Tod<. Ihre Schritte hallten dumpf durch die Riesenhöhle. Nichts regte sich. Alles war eingehüllt in Alter und Schweigen. Als sie unten ankamen, zögerten sie einen Augenblick, die Blicke auf den reglosen See gerichtet. Allanon winkte Höndel und seine Schutzbefohlenen ungeduldig nach rechts, dann ging er mit Menion und Balinor auf den linken Gang hinaus. Ein Fehltritt hätte den Untergang bedeutet. Von der anderen Seite des Sees verfolgte Shea, wie die drei Gestalten sich an der rauhen Steinwand entlang tasteten. Im Wasser blieb alles ruhig. Sie hatten bald die Hälfte des Weges zurückgelegt, und Shea wagte zum ersten Mal zu atmen.
Dann wölbte sich die Oberfläche des Sees hoch, und aus den Tiefen schoß ein Alptraum herauf. Schlangenförmig im Aussehen, schien das ekelhafte Ungeheuer die ganze Höhle auszufüllen, als sein schleimumhüllter Körper hinaufstieg und die alten Stalaktiten bersten ließ. Ein Wutschrei gellte durch die Höhle.
Der Riesenleib wand und bog sich. Lange Vorderbeine mit tödlichen Krallen griffen in die leere Luft, und die Riesenkiefer krachten lärmend zusammen, die schwarzen, spitzen Zähne knirschten. Die großen, starren Augen leuchteten rot zwischen Knollen und verkümmerten Hörnern auf dem mißgestalteten Kopf. Die ganze Masse des Wesens war umhüllt von einer Reptilhaut, tropfend vor Unflat und Schmutz aus den schwärzesten Gruben der Unterwelt. Aus dem Maul quoll Gift, das ins Wasser klatschte und dort dampfend aufzischte. Das Monster funkelte die drei Menschen auf dem Seitenweg an und fauchte haßerfüllt.
Mit aufgerissenen Kiefern, kreischend vor Erwartung, stürzte es sich auf sie.
Alle reagierten auf der Stelle. Menion Leahs großer Bogen sirrte unablässig, als die vergifteten Pfeile mit tödlicher Genauigkeit hinausflogen und sich tief in das ungeschützte innere Fleisch des klaffenden Schlangenmauls bohrten. Das Wesen bäumte sich vor Schmerzen auf, und Balinor ergriff sofort die Initiative. Der riesenhafte Mann aus dem Grenzland trat an den Rand des Laufgangs und hieb mit Wucht auf den Unterarm des Wesens ein. Zu seinem Entsetzen glitt das mächtige Schwert an der dicken Schleimschicht der Schuppenhaut ab. Der zweite Unterarm schlug nach dem Angreifer und verfehlte nur knapp, als Balinor zur Seite sprang. Auf der anderen Seite hetzte Höndel zum offenen Tunnel am anderen Ende des Sees und trieb die Talbewohner und die Elfen-Brüder vor sich her. Einer von ihnen löste jedoch einen versteckten Hebel aus, und eine schwere Steinplatte kippte in die Öffnung und versperrte den Weg. Verzweifelt warf Höndel sich dagegen, aber die Steinbarrikade rührte sich nicht.
Das Ungeheuer war vom Krachen des stürzenden Steins angezogen worden. Es zog sich vom Kampf mit Menion und Balinor zurück und rauschte auf die kleineren Feinde zu. Das wäre das Ende gewesen, hätte der kampferfahrene Zwerg nicht schnell reagiert. Er ließ den Steinblock sein und stürzte sich ohne Rücksicht auf seine eigene Sicherheit auf das Riesenungeheuer, um den schweren, eisernen Streitkolben mit Wucht in eines der glühenden Augen zu stoßen. Die Waffe traf mit solcher Kraft, daß das Auge barst. Das Ungeheuer fuhr in Todesqual hoch und krachte an die spitzen Stalaktiten, während es sich hin- und her warf. Tödliche Gesteinsbrocken regneten überall herab. Flick wurde am Kopf getroffen und stürzte zu Boden. Höndel blieb unter einem Regen von Steinklumpen begraben. Die anderen drei wichen zurück an den blockierten Fluchtweg, während der riesige Angreifer vor ihnen hochfuhr.
Endlich griff Allanon in den ungleichen Kampf ein. Er hob beide Arme, streckte die schmalen Hände aus, und seine Finger schienen aufzuleuchten. Blendende, blaue Flammen schössen aus den Fingerspitzen und trafen den Schädel des tobenden Wesens.
Die Gewalt dieses neuen Angriffs betäubte den Drachen, und er zuckte kreischend vor Wut und Schmerz im brodelnden Wasser des Sees. Der Druide trat schnell ein paar Schritte vor und schlug ein zweites Mal zu, ließ die blauen Flammen an den Schädel der außer sich geratenen Bestie zucken und riß das ganze Ungeheuer herum. Der zweite Treffer schleuderte den schuppigen Riesenleib an die Höhlenwand, wo er, hilflos von Zuckungen gepeitscht, die Steinplatte lockerte, die den Fluchtweg versperrte.
Shea und die Elfen-Brüder hatten den bewußtlosen Flick kaum noch wegziehen können, um ihn davor zu bewahren, von dem massigen Leib erdrückt zu werden. Sie hörten die Steinplatte herausfallen, entdeckten den offenen Tunnel und brüllten den anderen die Nachricht zu. Balinor hatte das wild zuckende Ungeheuer erneut angegriffen, als es in Reichweite gekommen war, vergeblich nach dem Kopf zielend, der herabstieß, immer noch halb betäubt von Allanons Flammenblitzen. Allanon hatte den Blick auf den Drachen gerichtet, und nur Menion sah, wovon die anderen brüllten. Er winkte sie mit heftigen Bewegungen zur Öffnung. Dayel und Shea hoben Flick auf und trugen ihn in den Tunnel. Durin wollte ihnen folgen, zögerte jedoch, als er den bewußtlosen Höndel unter der Geröllawine sah. Er kehrte um, rannte zu ihm hin, packte den schlaffen Arm des Zwerges und versuchte vergeblich, ihn unter dem Gestein herauszuziehen.
»Hinaus!« brüllte Allanon, der den Elf plötzlich bemerkte.
Der Drache nützte diesen Augenblick, um zurückzuschlagen.
Mit einem gewaltigen Hieb seines Krallenarmes wischte er Balinor beiseite und schleuderte ihn an die Höhlenwand. Menion sprang auf das Ungeheuer zu, aber der Prinz von Leah wurde umgeworfen und war nicht mehr zu sehen. Der Drache, von seinen Wunden immer noch gepeinigt, hatte nichts anderes im Sinn, als die hochgewachsene Gestalt im schwarzen Gewand zu erreichen und zu zerquetschen. Das Untier hatte noch eine Waffe in Reserve und setzte sie nun ein. Die giftgeifernden Kiefer klafften weit beim Anblick der einsam und verloren wirkenden Gestalt, und mächtige Flammen fauchten hinaus und hüllten den Druiden völlig ein. Durin, der von seinem Platz aus alles verfolgen konnte, ächzte vor Entsetzen. Shea und Dayel, die gleich hinter dem Eingang zum Fluchttunnel standen, waren vor Schrecken keines Gedankens mehr fähig, als sie Allanon von den Flammen umzüngelt sahen. Aber eine Sekunde später erloschen sie, und Allanon stand unberührt vor den entgeisterten Beobachtern.
Seine Hände hoben sich, die blauen Flammenblitze zuckten aus den ausgestreckten Fingern, trafen den Drachenschädel mit ungeheurer Kraft und schleuderten den schuppigen Körper wieder zurück. Dampf stieg in großen Wolken aus dem aufgepeitschten Wasser und vermischte sich mit Staub und Rauch des Kampfes zu einem dichten Nebel, der alles zu verhüllen begann.
Dann tauchte Balinor aus dem Dunst neben Durin auf, die Kleidung zerrissen und zerfetzt, den schimmernden Kettenpanzer verkratzt, das Gesicht von Schweiß und Blut gezeichnet. Gemeinsam zogen sie Höndel unter dem Geröll hervor. Der Prinz von Callahorn hob die schlaffe Gestalt auf seine Schulter und winkte Durin vor sich in den Gang, wo Dayel und Shea mit dem bewußtlosen Flick warteten. Balinor befahl ihnen, den Ohnmächtigen aufzuheben, und ohne sich zu vergewissern, ob sie es taten, verschwand er im dunklen Korridor, Höndel auf der Schulter, das große Breitschwert in der freien Hand. Die Elfenbrüder gehorchten sofort, aber Shea zögerte und hielt sorgenvoll Ausschau nach Menion. Die große Höhle sah verwüstet aus, die langen Reihen von Stalaktiten waren zerschmettert, die Ufergänge bedeckt von Geröll und alles verhüllt von Staub und Dampf. Auf der einen Seite der Kaverne konnte man den Riesenleib des Drachen noch erkennen, der sich in Zuckungen an der Wand hin- und her warf, eine Masse von Schuppen und Blut.