Zu ihrer Entgeisterung war der Raum leer. Es gab hohe Fenster und lange, fließende Vorhänge, meisterhafte Gemälde an den Wänden und sogar ein paar kleine, reichgeschmückte Möbelstücke.
Aber nirgends war eine Spur von dem begehrten Schwert zu sehen. Entsetzt und ungläubig blickten die fünf Männer sich um. Durin fiel erschöpft auf die Knie, geschwächt vom Blutverlust, einer Ohnmacht nahe. Dayel stürzte zu ihm und riß ein paar Stoffstreifen ab, um die offenen Wunden zu verbinden, dann half er seinem Bruder zu einem der Stühle, wo der Verwundete in sich zusammensank. Menion suchte die Wände nach einem anderen Ausgang ab. Balinor, der hin- und hergegangen war und den Marmorboden abgesucht hatte, stieß einen Laut aus. Ein Teil des Bodens, genau in der Mitte des Raumes, war verfärbt und zerschründet, trotz eines schwachen Versuches zu verbergen, daß dort viele Jahre lang etwas Großes, Quadratisches gestanden haben mußte.
»Der Block aus Tre-Stein!« rief Menion.
»Aber wenn er weggeschafft worden ist, muß das erst vor kurzer Zeit gewesen sein«, meinte Balinor. »Weshalb haben die Gnome dann versucht, uns fernzuhalten... ?«
»Vielleicht wußten sie nicht, daß er weggeschafft worden war«, sagte Menion.
»Vielleicht ein Ablenkungsmanöver?« sagte Höndel. »Aber warum damit Zeit verlieren, wenn nicht...?«
»Sie wollten uns hier beschäftigen, weil das Schwert noch in der Burg war und sie es noch nicht fortgeschafft hatten!« stieß Balinor erregt hervor. »Sie hatten keine Zeit gehabt, es wegzubringen, deshalb wollten sie uns hinhalten! Aber wo ist das Schwert jetzt - wer hat es?«
Die drei sahen einander bestürzt an. Hatte der Dämonen-Lord gewußt, daß die Männer im Anmarsch waren, wie der Schädelträger es am Feuerofen behauptet hatte? Wenn ihr Angriff überraschend gekommen war, was konnte aus dem Schwert geworden sein, seitdem Allanon es zuletzt in seiner Kammer gesehen hatte?
»Wartet!« sagte Durin mit schwacher Stimme und stand langsam auf. »Als ich die Treppe heraufkam, war an einer anderen Treppe zu hören, daß Leute heraufliefen.«
»Der Turm!« schrie Höndel und hetzte zur Tür. »Sie haben das Schwert im Turm eingeschlossen!«
Balinor und Menion stürmten dem Zwerg nach; die ganze Müdigkeit war vergessen. Das Schwert von Shannara lag noch immer in Reichweite. Durin und Dayel folgten ihnen langsamer, Durin noch immer geschwächt und gestützt auf seinen jüngeren Bruder, aber mit dem Glanz der Hoffnung im Blick. Nur Sekunden danach war die Kammer leer.
Flick raffte sich nach einigen Minuten Rast mühsam auf und entschied, daß ihm nichts anderes übrigblieb, als einfach einen der Tunnel auszuwählen und dort weiterzugehen, in der Hoffnung, er werde ihn zu einer Treppe führen, die den Zugang zur eigentlichen Festung erschloß. Er dachte kurz an die anderen, die irgendwo in den oberen Gängen waren, vielleicht das Schwert schon im Besitz hatten. Sie konnten nichts wissen von Allanons Sturz in den Feuerofen, nichts von seinem eigenen Schicksal. Er hoffte, daß sie nach ihm suchen würden, begriff aber auch, dass sie, wenn sie das Schwert wirklich fanden, keine Zeit vergeuden durften. Sie würden die Flucht ergreifen müssen, bevor der Dämonen-Lord die Schädelträger schicken konnte, um ihnen die begehrte Waffe wieder abzujagen. Er fragte sich, was aus Shea geworden sein mochte, ob man ihn lebend gefunden, ihn gerettet hatte. Er wußte, daß Shea Paranor nicht verlassen würde, solange Flick am Leben war, aber sein Bruder konnte nicht wissen, dass er im Feuerofen nicht umgekommen war. Flick mußte deshalb zugeben, daß seine Lage völlig hoffnungslos zu sein schien.
In diesem Augenblick erhob sich in einem der Tunnels lauter Lärm, Stiefel knallten, Leute stürmten direkt auf die Rotunda zu.
Flick huschte durch den Raum und verbarg sich in einem anderen Gang, im Schatten an die Felswand gepreßt, das Jagdmesser in der Hand. Sekunden später stürmte ein Schwärm flüchtender Gnome in den Raum und verschwand ohne Aufenthalt in einem anderen Korridor. Die Geräusche ihrer Flucht verloren sich bald in den Biegungen und Windungen des Felstunnels. Flick hatte keine Ahnung, wovor sie flohen oder wohin sie wollten, aber dort, wo sie gewesen waren, wollte er sein. Vieles sprach dafür, daß sie aus den oberen Räumen der Druidenfestung gekommen waren, und genau dorthin mußte Flick gelangen. Er trat vorsichtig hinaus in die beleuchtete Kammer und ging zu dem Tunnel, aus dem die Gnome gestürzt waren. Er hielt das Messer vor sich und tastete sich durch die Dunkelheit bis zur ersten Fackel, die er an sich nahm, bevor er tiefer in den Tunnel eindrang, mit dem Blick die Wände nach einer Tür oder offenen Treppe absuchend.
Er war kaum hundert Meter weit gekommen, als ohne Vorwarnung eine Steinplatte fast direkt neben ihm zur Seite glitt und ein einzelner Gnom heraustrat.
Es war eine Frage, welcher von den beiden vom Auftauchen des anderen überraschter war. Der Gnom war ein Nachzügler der Gruppe, die der Kampfstätte in der Halle entkommen war, und der Anblick eines weiteren Eindringlings hier in den Gängen verblüffte ihn. Er war zwar kleiner als Flick, aber drahtig und bewaffnet mit einem Kurzschwert. Nach kurzer Besinnung griff er an. Flick wich instinktiv aus, das Schwert verfehlte ihn, und der Talbewohner stürzte sich auf den Gnomen, bevor dieser sich fangen konnte, riß ihn zu Boden, versuchte aber vergeblich, seinem gewandten Gegner das Schwert zu entreißen. Sein Messer hatte er verloren. Flick war im Kampf von Mann gegen Mann nicht erfahren, aber der Gnom war das, und das verlieh dem kleinengelben Burschen einen Vorteil. Er hatte früher schon getötet und würde es ohne Bedenken erneut tun, während Flick nur bemüht war, den Gegner zu entwaffnen und das Weite zu suchen.
Sie rollten lange Minuten hin und her über den Boden, bevor der Gnom sich befreien konnte und wild auf seinen Gegner einhieb, ihn nur knapp verfehlend. Flick warf sich nach hinten und suchte verzweifelt nach seinem Messer. Der kleine Wächter stürzte sich auf Flick, gerade als dessen tastende Finger sich um das schwere Holz der Fackel schlössen, die er beim ersten Ansturm hatte fallen lassen. Das Kurzschwert sauste herunter, glitt von Flicks Schulter ab und schnitt schmerzhaft in die nackte Haut seines Arms. Im selben Augenblick riß Flick die Fackel hoch und hieb sie dem Gnomen mit aller Kraft auf den Schädel. Der Wächter sank zusammen und regte sich nicht mehr. Flick stand schwerfällig auf und holte sich sein Messer, das er nach kurzem Suchen fand. Sein Arm pulsierte qualvoll, und das Blut war in seinen Jagdrock gedrungen, lief den Arm und die Hand hinunter. Da er befürchtete zu verbluten, riß er Stoffstreifen von der Kleidung des Gnomen und verband sich den verletzten Arm, bis die Blutung aufhörte. Er hob das Schwert seines Gegners auf und trat an den halb geöffneten Steinblock, um zu sehen, wohin der Weg führte.
Zu seiner Erleichterung entdeckte er eine Wendeltreppe, die nach oben führte. Er schlüpfte durch die Öffnung und zog die Steinplatte mit dem gesunden Arm hinter sich zu. Die Treppe wurde vom Licht der Fackel schwach erhellt, und erstieglangsam und vorsichtig hinauf. Alles war still im Schacht, während er wachsam hinaufkletterte. Er gelangte an eine geschlossene Tür, blieb stehen und lauschte, das Ohr am Spalt zwischen den Eisenbeschlägen. Stille. Er drückte die Tür vorsichtig auf und starrte hinaus in die alten Hallen Paranors. Er hatte sein Ziel erreicht. Er öffnete die Tür weiter und trat hinaus.
Dann packte eine schmale, dunkle Hand seinen Schwertarm und riß ihn ins Freie.
Höndel blieb unten an der Treppe, die zum Turm der Druidenfestung führte, zögernd stehen und starrte hinauf in die Düsternis.