« Er begann so heftig zu lachen, daß sogar der stumme Troll kurz herüberblickte. Shea ärgerte sich so, daß ihm das Blut ins Gesicht schoß, und er kaute das Fleisch grimmiger. Das Gelächter minderte sich schließlich zu einem Kichern, und der Räuber schüttelte belustigt den Kopf, während er weiteraß. Schließlich setzte er seinen Bericht mit leiserer Stimme fort. »Keltset hat eine andere Geschichte zu erzählen als ich, das möchte ich betonen.
Ich hatte keinen Anlaß, dieses Leben zu ergreifen, aber er jeden. Er war von Geburt an stumm, und die Trolle schätzen derlei Behinderungen nicht. Sie machten ihm das Leben schwer, stießen ihn herum und schlugen ihn, wenn sie sich über irgend etwas ärgerten, an dem sie nicht direkt ihren Zorn auslassen konnten. Er wurde zur Zielscheibe aller schlechten Scherze, wehrte sich aber nie, weil das die einzigen Wesen waren, die er hatte. Dann wurde er groß, so groß und stark, daß alle anderen Angst vor ihm bekamen. Eines Nachts versuchten ein paar von den jungen Leuten, ihn schwer zu mißhandeln, so schwer, daß er fortgehen sollte, vielleicht sogar sterben mochte. Sie trieben es zu weit, er wehrte sich und tötete drei von ihnen. Dafür wurde er aus dem Dorf vertrieben, und ein verstoßener Troll hat außerhalb seines eigenen Stammes kein Zuhause. Er streifte allein herum, bis ich ihn fand.« Der Scharlachrote lächelte schwach und blickte hinüber zu dem massiven, stillen Gesicht, das über die letzten Fleischstücke gebeugt war. »Er weiß aber, was wir tun, und ist sich wohl auch im klaren darüber, daß das keine ehrliche Arbeit ist. Er ist aber wie ein Kind, das so gemein behandelt wurde, daß es keine Achtung vor anderen hat, weil ihm nie jemand etwas Gutes zuteil werden ließ. Außerdem bleiben wir in diesem Gebiet, wo es nur Gnomen und Zwerge gibt - die natürlichen Feinde eines Trolls. Wir halten uns fern vom zentralen Nordland und stoßen auch nie sehr weit nach Süden vor. Wir kommen ganz gut zurecht.« Er kaute sein Fleisch und starrte in das erlöschende Feuer. Shea aß stumm zu Ende und fragte sich, was er tun konnte, um die Elfensteine wieder an sich zu bringen; wenn er nur gewußt hätte, wo seine Kameraden waren! Der Scharlachrote erhob sich und zertrat die Reste des Feuers. Der Berg-Troll stand ebenfalls auf und wartete geduldig auf die nächste Entscheidung seines Freundes. Auch Shea raffte sich endlich auf und sah, wie Panamon Creel ein paar Waffen und kleine Schmuckstücke in einen Sack warf, den er Keltset zum Tragen gab. Dann wandte er sich Shea zu und nickte kurz.
»Es war interessant, dich kennenzulernen, Shea, und ich wünsche dir viel Glück. Wenn ich an die kleinen Edelsteine in ihrem Beutel denke, werde ich mich an dich erinnern. Schade, daß du sie nicht hast behalten können, aber wenigstens hast du dein Leben gerettet - oder vielmehr ich habe es dir gerettet. Stell dir die Steine als Geschenk für geleistete Dienste vor. Dann erträgt sich der Verlust leichter. Und jetzt mach dich lieber auf den Weg, wenn du in den nächsten Tagen das sichere Südland erreichen willst. Die Stadt Varfleet erreichst du südwestlich von hier, und dort erhältst du Hilfe. Bleib nur im offenen Gelände.« Er wandte sich ab und winkte Keltset, ihm zu folgen. Nach ein paar Schritten schaute er sich noch einmal um. Shea hatte sich nicht gerührt, sondern sah den beiden wie in Trance nach. Panamon Creel schüttelte angewidert den Kopf, ging ein Stück weiter, blieb verärgert stehen und fuhr herum, weil er wußte, daß der andere sich noch immer nicht vom Fleck gerührt hatte.
»Was ist mit dir?« fragte er aufgebracht. »Erzähl mir nicht, dass du auf den dummen Gedanken gekommen bist, uns nachzugehen und zu versuchen, die Steine wieder an dich zu bringen. Das würde das gute Verhältnis zwischen uns sehr stören, weil ich dir dann die Ohren abschneiden müßte - wenn nichts Schlimmeres! Los jetzt, verschwinde!«
»Ihr versteht nicht, was diese Steine bedeuten!« schrie Shea verzweifelt.
»Ich glaube schon. Sie bedeuten, daß Keltset und ich für eine Weile mehr sein werden als armselige Räuber. Sie bedeuten, daß wir geraume Zeit nicht stehlen oder betteln müssen. Sie bedeuten Reichtum, Shea.«
Shea lief den Räubern unvermittelt nach, nichts anderes im Sinn, als die kostbaren Elfensteine zurückzuholen. Panamon Creel sah ihn verblüfft herankommen, überzeugt davon, daß der Junge den Verstand verloren hatte. Shea kam in zwei Metern Abstand zum Stehen, keuchend und außer sich, obwohl er dumpf begriff, daß er sich selbst das Todesurteil sprechen mochte, und stieß hervor:
»Ich habe Euch vorher nicht die Wahrheit gesagt. Ich konnte nicht... ich kenne sie selbst nicht ganz. Aber die Steine sind überaus wichtig - nicht nur für mich, sondern für jedermann, in allen Ländern. Sogar für Euch, Panamon.«
Der Scharlachrote sah ihn mit einer Mischung von Verwunderung und Mißtrauen an. Er blieb stumm und wartete.
»Ihr müßt mir glauben!« schrie Shea. »An der Sache hängt mehr, als Ihr ahnt!«
»Du scheinst das offenbar wirklich zu glauben«, gab der andere zurück. Er warf einen Blick auf Keltset, der ungerührt dabeistand, und zuckte die Achseln. Der Troll trat auf Shea zu, und der Talbewohner zuckte erschrocken zurück, aber Panamon Creel hielt seinen Begleiter mit einer Handbewegung zurück.
»Hört, tut mir wenigstens einen Gefallen«, flehte Shea verzweifelt, nach jedem Strohhalm greifend, um Zeit zum Nachdenken zu gewinnen. »Nehmt mich mit nach Paranor.«
»Du mußt verrückt sein!« rief der Räuber entsetzt. »Was für einen Anlaß könntest du haben, dich in die schwarze Festung zu wagen? Das ist ein höchst unfreundliches Gebiet. Du würdest dort keine fünf Minuten überleben! Geh nach Hause, Junge. Geh zurück ins Südland und laß mich in Frieden.«
»Ich muß unbedingt nach Paranor«, sagte Shea gepreßt.
»Dorthin wollte ich, als die Gnomen mich überfielen. Ich habe Freunde dort - Freunde, die nach mir suchen. Ich muß sie in Paranor treffen!«
»Paranor ist ein böser Ort, ein Platz für Nordland-Wesen, denen zu begegnen sogar mir nicht angenehm wäre«, sagte Panamon hitzig. »Außerdem, wenn du dort Freunde hast, willst du Keltset und mich vermutlich in eine Falle locken, damit du dir die Steine wiederholen kannst. Das ist doch dein Plan, nicht wahr? Vergiß ihn. Hör auf meinen Rat und geh nach Süden, solange du noch kannst.«
»Ihr habt Angst, nicht wahr?« stieß Shea hervor. »Ihr habt Angst vor Paranor und meinen Freunden. Ihr habt nicht den Mut...« Er verstummte, als der Scharlachrote vom Zorn übermannt wurde. Panamon Creel stand einen Augenblick regungslos da und bebte vor Wut, während er den kleinen Talbewohner anfunkelte. Shea wich und wankte aber nicht, nachdem er alles auf diese letzte Karte gesetzt hatte.
»Wenn Ihr mich nicht mitnehmen wollt - nur bis Paranor - dann versuche ich es auf eigene Faust«, sagte er. »Ich verlange nur, bis zur Grenze von Paranor gebracht zu werden. Ich bestehe nicht darauf, daß Ihr sie überschreitet. Ich locke Euch nicht in eine Falle.«
Panamon Creel schüttelte wieder ungläubig den Kopf. Der Zorn in seinen Augen war plötzlich erloschen, und um seine zusammengepressten Lippen spielte ein schwaches Lächeln, als er den Blick auf den riesigen Berg-Troll richtete. Er zuckte die Achseln und nickte kurz.
»Warum sollten wir uns den Kopf zerbrechen?« meinte er spöttisch. »Es ist dein Hals. Komm mit, Shea.«
19
Die drei seltsamen Weggenossen zogen nordwärts durch das rauhe Hügelland, bis sie mittags kurz Rast machten, um ein paar Bissen zu essen. Das Gelände war unverändert geblieben, eine Aneinanderreihung schroffer Erhebungen und tiefer Senken, die das Fortkommen beträchtlich erschwerten. Selbst der bärenstarke Keltset mußte mit den beiden anderen zusammen klettern und hinabrutschen, ohne ebenen Boden zu finden, auf dem aufrechtes Gehen möglich gewesen wäre. Das Land war nicht nur bucklig und mißgestaltet, sondern auch ziemlich unfruchtbar und trostlos. Die Hügel waren grasbewachsen und von Büschen und kleinen Bäumen bepflanzt, wirkten aber einsam und verwildert.