Bis es Spätnachmittag wurde, schwitzten alle drei stark, und die Laune wurde in der unbarmherzigen Hitze immer schlechter.
Keltset schritt ein wenig abseits von den anderen dahin, das plumpe Gesicht ausdruckslos. Panamon war verstummt und schien nur noch darauf bedacht zu sein, den Weg hinter sich zu bringen und Shea loszuwerden, den er als Bürde zu betrachten begonnen hatte. Shea war müde und litt an Schmerzen. Die drei Männer gingen geradewegs der Sonne entgegen, ungeschützt im freien Gelände, die Augen zusammengekniffen vor dem grellen Glanz. Es wurde immer schwerer, das Land vor sich zu erkennen, als die Sonne zum westlichen Horizont hinab sank, und Shea gab es schließlich auf und verließ sich auf Panamons Geschicklichkeit, sie nach Paranor zu bringen. Die Wanderer näherten sich dem Ende der Bergkette rechts auf der Nordseite, und wo die Berge aufhörten, schien die Ebene sich in eine unendliche Weite zu öffnen. Sie war so riesig, daß Shea den Horizont sehen konnte, wo der Himmel die vertrocknete Erde berührte. Als er schließlich fragte, ob das die Ebenen von Streleheim seien, schwieg Panamon, nickte dann aber kurz.
Sie verließen das auf drei Seiten eingeschlossene Tal und gingen hinaus auf den Ostteil der Streleheim-Ebenen, eine weite, flache Landschaft, die sich nach Norden und Westen erstreckte.
Das Land vor ihnen, parallel zu den Felswänden und Wäldern zu ihrer Linken, war überraschend hügelig. Vom Tal aus war das nicht wahrzunehmen, man sah es erst, wenn man die Gegend selbst erreichte. Es gab sogar kleine Baumhaine und Gebüsch, und... noch etwas anderes, dem Land Fremdes. Alle drei Wanderer entdeckten es gleichzeitig, und Panamon gebot abrupt Halt, um argwöhnisch in die Ferne zu starren. Shea kniff die Augen zusammen und beschattete sie mit der Hand. Er sah eine Reihe seltsamer Stangen in der Erde, und auf mehrere hundert Meter in alle Richtungen verstreut Haufen von farbigem Stoff und glänzenden Metall- oder Glasstücken. Er konnte kaum die Bewegung einer Anzahl kleiner, schwarzer Objekte zwischen und an den Haufen ausmachen. Schließlich rief Panamon laut diejenigen an, die vor ihnen waren. Zu ihrem Schrecken rauschten rabenschwarze Schwingen, begleitet von dem gräßlichen Gekreisch gestörter Aasfresser, als die schwarzen Objekte sich plötzlich in riesige Geier verwandelten, die langsam und widerwillig emporschwebten und davonflatterten. Panamon und Shea blieben vor Verwunderung wie angewurzelt stehen, während Keltset ein Stück vorausging. Nach kurzer Zeit kam er zurück und winkte seinem Begleiter. Der Scharlachrote nickte.
»Es hat einen Kampf gegeben«, sagte er. »Da vorne liegen Tote!«
Die drei Männer schritten auf den Kampfplatz zu. Shea blieb ein wenig zurück, aus Angst, die regungslosen Gestalten könnten seine Freunde sein. Die seltsamen Stangen wurden endlich erkennbar: es waren Lanzen und Fahnenstangen. Die glänzenden Teile waren die Klingen von Schwertern und Messern, manche von Flüchtenden weggeworfen, andere noch von den Händen der Toten umklammert. Aus den Kleiderbündeln wurden Männer, blutdurchtränkte Leichname, die regungslos in der glühenden Sonne lagen. Shea würgte es, als der Leichengestank zu ihm drang und er die Fliegen surren hörte. Panamon schaute sich um und lächelte grimmig. Er wußte, daß der Talbewohner den Tod aus solcher Nähe noch nie gesehen hatte.
Shea kämpfte gegen die aufsteigende Übelkeit an und zwang sich, die anderen zum Schlachtfeld zu begleiten. Mehrere hundert Leichen lagen dort am Boden. Nirgends war eine Bewegung zu erkennen; hier gab es nur Tote. Man hatte keinen Pardon gegeben und keinen erwartet. Ein langer, erbitterter Kampf bis zum Ende. Er erkannte sofort die Gnomen-Standarten, und auch die gelblichen Leiber waren leicht unterscheidbar. Erst als er sich jedoch einige der Leichname näher angesehen hatte, entdeckte er, daß ihre Gegner Elfensoldaten gewesen waren.
Panamon blieb in der Mitte des Feldes stehen. Shea starrte die Szene voll Grausen an, und sein Blick glitt fassungslos von einem Leichnam zum anderen, von Gnom zu Elf. In diesem Augenblick wußte er, was der Tod wirklich bedeutete, und er wurde von Angst übermannt. Da war nichts von Abenteuer, nichts von Wahlfreiheit und Hingabe, sondern nichts als Ekel und Entsetzen.
Alle diese Männer waren für eine sinnlose Sache gestorben, vielleicht, ohne je zu wissen, wofür sie gekämpft hatten. Nichts war es wert, ein solches Gemetzel zu veranstalten - gar nichts.
Eine plötzliche Bewegung Keltsets veranlaßte ihn, wieder auf seine Begleiter zu achten, und er sah, daß der Troll eine Standarte aufhob. Die Flagge war zerfetzt, die Stange abgebrochen. Auf der Flagge war eine Krone über einem Baumwipfel zu sehen, umgeben von einem Kranz aus gewundenen Zweigen. Keltset wirkte erregt und gestikulierte heftig mit Panamon. Der andere zog die Brauen zusammen und sah sich hastig die Gesichter der in der Nähe liegenden Toten an. Keltset schaute sich sorgenvoll um, und seine Augen richteten sich auf Shea. Augenblicke danach kam Panamon zurück, mit grimmiger Miene.
»Wir haben hier ernsthafte Probleme, Freund Shea«, sagte er.
»Die Standarte ist das Banner des königlichen Elfenhauses Elessedil - Eventines persönliche Fahne. Ich kann seine Leiche unter den Toten nicht finden, aber das beruhigt mich nicht.
Wenn dem Elfenkönig etwas zugestoßen ist, könnte das zu einem Krieg von unfaßbaren Ausmaßen führen. Das ganze Land wird in Flammen aufgehen!«
»Eventine!« entfuhr es Shea. »Er schützte die Nordgrenzen von Paranor für den Fall,..« Shea verstummte plötzlich, aus Angst, sich verraten zu haben, aber Panamon Creel hatte weiter gesprochen und anscheinend nichts gehört.
»Das ergibt keinen Sinn - Gnomen und Elfen im Kampf hier in der Wildnis. Was kann Eventine so weit von seinem Land fortgeführt haben? Es muß um etwas Besonderes gegangen sein.
Ich kann nicht ver-« Er brach plötzlich ab und starrte Shea an.
»Was hast du eben gesagt? Was war das mit Eventine?«
»Nichts«, stammelte Shea. »Ich habe nichts...«
Der hochgewachsene Räuber packte Shea am Rock und zog ihn mit einem Ruck zu sich heran.
»Versuch nicht, mir etwas vorzumachen, kleiner Mann!« fauchte der Scharlachrote. »Du weißt etwas - heraus damit! Ich habe mir schon die ganze Zeit gedacht, daß du mehr über die Steine und den Anlaß für die Gnomen, dich einzufangen, gewußt hast, als du zugeben wolltest. Jetzt ist Schluß mit diesen Heimlichkeiten! Heraus damit!«
Aber Shea erfuhr nie, wie er geantwortet hätte. Während er hilflos im Griff des starken Räubers zappelte, fiel plötzlich ein riesiger, schwarzer Schatten über sie und fegte mit einem machtvollen Rauschen weiter, als ein monströses Wesen vom Himmel herabstieß. Entsetzt riß Shea die Augen auf. Panamon Creel, noch immer zornig, aber nun auch verwirrt, ließ Shea los und drehte sich dem fremdartigen Wesen zu. Shea stand auf schwankenden Beinen, das Blut zu Eis erstarrt. Das Wesen war einer der furchtbaren Schädelträger des Dämonen-Lords. Es blieb keine Zeit mehr zur Flucht; sie hatten ihn endlich gefunden.
Die grausamen roten Augen des Wesens huschten über den Troll, der regungslos an seinem Platz stand, richteten sich kurz auf den scharlachroten Dieb und erreichten endlich den kleinen Talbewohner, saugten sich in ihn hinein, erforschten seine wirren Gedanken. Panamon Creel starrte verwirrt auf das Ungeheuer, geriet aber keineswegs in Panik. Er wandte sich dem bösartigen Wesen ganz zu und begann grimmig zu grinsen, während er einen Arm hob.
»Was für ein Wesen du auch sein magst, bleib mir vom Leib«, sagte er scharf. »Es geht allein um diesen Mann hier und nicht...«