Lange Sekunden regte sich keiner. Shea und Keltset starrten auf das kleine Aschenhäufchen, als befürchteten sie, es könnte wieder zum Leben erwachen. Panamon Creel lag auf den Knien und versuchte vergeblich zu erfassen, was geschehen war.
Schließlich trat Keltset vor und fuhr mit der Stiefelspitze in die Asche des Schädel-trägers. Shea sah ihm zu und steckte mechanisch die drei Elfensteine in den Lederbeutel, bevor er ihn in seinem Rock verwahrte. Als ihm plötzlich Panamon einfiel, drehte er sich hastig um, aber der Südländer richtete sich bereits auf und sah den Talbewohner mit seinen braunen Augen verwundert an.
Keltset eilte herbei und half seinem Begleiter hoch. Panamon war angesengt und verwundet, er schien sich aber nichts gebrochen zu haben. Er schüttelte Keltsets Arm ab und wankte auf Shea zu.
»Ich hatte also recht mit dir«, knurrte er und schüttelte den Kopf. »Du hast viel mehr gewußt, als du sagen wolltest - vor allem, was die Steine angeht. Warum hast du mir nicht gleich die Wahrheit gesagt?«
»Ihr wolltet ja nicht hören«, sagte Shea schnell. »Außerdem habt Ihr mir die Wahrheit auch nicht gesagt, über Euch so wenig wie über Keltset.« Er warf einen Blick auf den Troll-Riesen. »Ich glaube, Ihr wißt nicht sehr viel über ihn.«
Das zerschundene Gesicht starrte Shea ungläubig an, dann begann es zu grinsen.
»Du magst recht haben«, sagte Panamon Creel unerwartet.
»Ich gelange langsam auch zu der Meinung, daß ich nichts über ihn weiß.« Er begann zu lachen, sah den Berg-Troll scharf an und wandte sich Shea wieder zu. »Du hast uns das Leben gerettet, Shea, und das können wir nie wieder gutmachen. Aber ich möchte damit beginnen, daß ich dir sage, die Steine gehören dir.
Ich werde nie mehr darüber streiten. Mehr noch, du hast mein Versprechen, daß mein Schwert und meine Geschicklichkeit, so weit vorhanden, dir zu Diensten stehen, sollte die Notwendigkeit sich je noch einmal ergeben.« Er holte tief Luft und schwankte. Shea wollte ihm zu Hilfe kommen, aber der hochgewachsene Dieb schüttelte den Kopf. »Ich glaube, wir werden gute Freunde, Shea«, murmelte er. »Das können wir aber nicht sein, wenn wir voreinander etwas verbergen. Ich meine, du schuldest mir eine Erklärung, was die Steine betrifft, ebenso das Wesen, das meine ruhmreiche Laufbahn beinahe beendet hätte, und das verflixte Schwert, von dem ich nie etwas gehört habe.
Dafür werde ich dir reinen Wein über ein paar, äh, Mißverständnisse einschenken, was Keltset und mich angeht. Bist du einverstanden?«
Shea sah ihn argwöhnisch an und runzelte die Stirn, nickte aber dann und lächelte sogar schwach.
»Brav, Shea«, lobte Panamon und schlug dem Talbewohner auf die schmale Schulter. Im nächsten Augenblick brach der scharlachrote Mann zusammen, geschwächt vom Blutverlust und der Überanstrengung. Die anderen beiden sprangen ihm bei, und trotz seiner Behauptung, mit ihm sei alles in Ordnung, zwangen sie ihn, liegen zu bleiben, während Keltset ihm mit einem feuchten Tuch das Gesicht abwischte. Shea war verwundert über die schnelle Verwandlung des Troll-Riesen von einer Kampfmaschine in einen sanften, ruhigen Pfleger. Er hatte etwas ganz Besonderes an sich, und Shea war überzeugt davon, daß Keltset im Zusammenhang stand mit dem Dämonen-Lord und der Suche nach dem Schwert von Shannara. Es war kein Zufall gewesen, daß der Schädelträger den Troll gekannt hatte. Die beiden waren einander schon vorher begegnet und hatten sich nicht in Freundschaft getrennt.
Panamon war nicht bewußtlos, aber es stand außer Zweifel, daß er noch nicht in der Verfassung war, den Marsch fortzusetzen.
Er versuchte mehrmals vergeblich, aufzustehen, aber Keltset schob ihn immer wieder zurück. Panamon fluchte gräßlich und verlangte, aufstehen zu dürfen, aber es nützte nichts.
Schließlich sah er ein, daß er nichts erreichte, und bat, für eine Zeit aus der Sonne getragen zu werden, damit er sich ausruhen könne. Shea schaute sich auf der nackten Ebene um und kam schnell zu dem Schluß, daß sie hier keinen Schatten finden würden.
Der einzige Ort in vernünftiger Entfernung, wo es Schatten gab, war der Wald im Süden, rings um die Druidenfestung, innerhalb der Grenzen von Paranor. Panamon hatte zwar vorher erklärt, er wolle nicht in die Nähe von Paranor, aber nun lag die Entscheidung nicht mehr allein bei ihm. Shea deutete nach Süden, zu dem ungefähr eine Meile entfernten Wald, und Keltset nickte zustimmend. Der Verwundete sah, was Shea vorschlug, und rief, er wolle um keinen Preis in den Wald getragen werden, selbst wenn er hier an Ort und Stelle sterben müsse. Shea versuchte ihn zu beruhigen und erklärte, von seinen Kameraden habe er nichts zu befürchten, falls sie auf sie stoßen sollten, aber der Räuber schien beunruhigter zu sein von den sonderbaren Gerüchten über Paranor, die er gehört hatte. Shea mußte lachen, als er an Panamons prahlerische Erzählungen und bestandene Abenteuer dachte. Keltset war inzwischen aufgestanden und ließ den Blick über die Landschaft gleiten. Die beiden anderen sprachen noch miteinander, als er sich bückte und Panamon abrupt ein Zeichen gab. Der Räuber zuckte zusammen, und sein Gesicht wurde bleich, dann nickte er kurz. Shea wollte erschrocken aufstehen, aber Panamon hielt ihn zurück.
»Keltset hat im Gebüsch südlich von uns eine Bewegung entdeckt.
Von hier aus kann er nicht sagen, was es ist. Gerade am Rand des Schlachtfeldes, auf halbem Weg zwischen uns und dem Wald.«
Shea wurde kreideweiß.
»Halt deine Steine bereit, für alle Fälle«, sagte Panamon leise.
»Was sollen wir tun?« fragte Shea angstvoll, den Lederbeutel umklammernd.
»Zuschlagen, bevor der andere es kann - was sonst?« sagte Panamon gereizt und winkte Keltset, ihn aufzuheben.
Der Riese bückte sich und hob den Scharlachroten hoch. Shea griff nach dem Breitschwert Panamons und folgte langsam dem Berg-Troll, der mit ruhigen, mühelosen Schritten nach Süden ging. Panamon redete unaufhörlich, trieb Shea zur Eile an und rügte Keltset wegen seines zu rauhen Umgangs mit Verwundeten.
Shea drehte argwöhnisch den Kopf hin und her und suchte vergeblich nach einem Ursprung der Gefahr. Mit der rechten Hand umklammerte er den Lederbeutel, in dem die unschätzbaren Elfensteine lagen, ihre einzige Waffe gegen die Macht des Dämonen-Lords. Sie hatten etwa hundert Meter zurückgelegt, als Panamon plötzlich anhalten ließ und sich bitter über seine verletzte Schulter beklagte. Keltset ließ seine Last auf den Boden gleiten und richtete sich auf.
»Meine Schulter hält diese ungebührliche Mißachtung von Knochen und Gewebe nicht aus«, knurrte Panamon Creel gereizt und sah Shea bedeutungsvoll an.
Der Talbewohner begriff, daß dies die Stelle sein mußte, und er öffnete mit zitternden Händen den Beutel, um die Steine herauszunehmen.
Dann schaute er sich hastig um und richtete den Blick auf ein Dickicht. Sein Herz schlug bis zum Hals hinauf, als er dort eine ganz schwache Bewegung wahrnahm.
Keltset fuhr plötzlich herum, sprang in das Dickicht und war verschwunden.
20
Was folgte, war ein chaotisches Durcheinander. Ein gräßlicher, schriller Schrei tönte aus dem Gebüsch, und das ganze Dickicht schien zu erbeben. Panamon schob sich mühsam auf die Knie und schrie Shea zu, er möge ihm das Breitschwert geben, das der angstbetäubte Talbewohner mit der linken Hand noch immer fest umklammerte. Shea stand erstarrt, in der Rechten die Elfensteine, entsetzt den Angriff erwartend, der aus dem Dickicht hervorbrechen mußte. Panamon fiel erschöpft zurück. Aus dem hohen, dichten Strauchwerk ertönte wieder ein Kreischen, es klatschte und rauschte darin, dann wurde es still. Augenblicke später trat Keltset heraus, den schweren Streitkolben in der Hand. Mit der anderen schleppte er den sich windenden Körper eines Gnomen. Der verkrümmte, gelbe Leib wirkte neben dem Riesen kindlich. Der Gnom war ein Jäger mit Lederrock, Jagdstiefeln und Schwertgürtel. Das Schwert fehlte; Keltset mußte es dem Gegner abgenommen haben. Keltset ging auf Panamon zu, der sich inzwischen wieder aufgesetzt hatte, und hielt ihm den strampelnden Gefangenen hin.