»Der Inhalt muß für unseren kleinen Freund wichtig sein«, meinte Panamon grinsend und griff nach dem Sack.
Shea trat an seine Seite und blickte über die breite Schulter, als Panamon die Lederschnur öffnete und in den Sack hineingriff.
Er überlegte es sich plötzlich anders, zog die Hand wieder heraus, kippte den Sack und leerte den Inhalt auf den Boden. Die anderen starrten den Fund an.
»Wertloses Zeug«, knurrte Panamon. »Der Gnom ist auch noch zu dumm, Wertvolles zu erkennen.«
Shea betrachtete die Sammlung, ohne zu antworten. Nichts als Dolche, Messer und Schwerter, manche noch in ihren Lederscheiden.
Im verblassenden Sonnenlicht glitzerten ein paar billige Schmuckstücke und zwei oder drei Gnomenmünzen. Es schien wahrhaftig nur wertloses Zeug zu sein, dem aber Orl Fane offenbar einen beträchtlichen Wert beigemessen hatte. Er hatte alles verloren, als er zum Deserteur geworden war, und vorweisen konnte er dafür nur ein paar Waffen und billigen Schmuck.
Jetzt lief er überdies Gefahr, sein Leben einzubüßen, weil er Panamon Creel angelogen hatte.
»Kaum lohnend, dafür zu sterben, Gnom«, knurrte Panamon und nickte Keltset zu, der den Streitkolben hob, um dem Gefangenen den Garaus zu machen.
»Nein, nein, wartet, bitte!« schrie der Gnom in höchster Verzweiflung.
»Ich habe nicht gelogen, was das Schwert angeht – ich schwöre es! Ich kann es Euch beschaffen! Begreift Ihr nicht, was das Schwert von Shannara dem Schwarzen Lord wert ist?«
Shea streckte die Hand aus, um Keltsets massiven Arm festzuhalten.
Der Riesentroll schien zu begreifen. Er ließ den Streitkolben langsam sinken und sah Shea prüfend an. Panamon Creel öffnete aufgebracht den Mund, zögerte dann aber. Er wollte die Wahrheit über Sheas Hiersein erfahren, und das Geheimnis des Schwertes hatte offenkundig viel damit zu tun. Er starrte den Talbewohner kurz an, dann wandte er sich Keltset zu und zuckte die Achseln.
»Wir können dich auch später immer noch töten, Orl Fane, wenn du uns wieder zu täuschen versuchst. Keltset, schling ihm einen Strick um den Hals und nimm ihn mit. Shea, wenn ich mich ein wenig auf dich stützen kann, schaffe ich es wohl bis zum Wald. Keltset wird auf unseren verschlagenen, kleinen Deserteur gut aufpassen.«
Shea half dem Verwundeten auf die Beine und versuchte ihn zu stützen, als er ein paar Schritte machte. Keltset fesselte Orl Fane und legte einen Strick um seinen Hals, um ihn wie an einer Leine führen zu können. Der Gnom wehrte sich nicht, obwohl seine innere Unruhe unverkennbar war. Shea war der Ansicht, der Bursche habe auch jetzt die Unwahrheit gesagt und warte nur verzweifelt auf eine Gelegenheit, die Flucht zu ergreifen, bevor man ihm auf die Schliche kam und ihn umbrachte. Shea selbst hätte den Gnomen zwar nicht getötet und auch seine Zustimmung verweigert, daß er niedergemacht werde, aber Mitgefühl für das verschlagene Wesen empfand er kaum. Orl Fane war ein Feigling, ein Deserteur, ein Leichenfledderer - ein Mann ohne Volk und Land. Shea war jetzt davon überzeugt, daß das winselnde, unterwürfige Verhalten nur eine Tarnung für den heimtückischen, verzweifelten Charakter war. Orl Fane hätte ihnen bedenkenlos die Kehlen durchgeschnitten, wenn er der Meinung gewesen wäre, das ohne Gefahr für sich selbst tun zu können.
Panamon gab ein Zeichen, daß sie sich auf den Weg machen konnten, aber nach wenigen Schritten erhob Orl Fane ein klägliches Geschrei. Der Gnom weigerte sich, mitzugehen, wenn man ihm nicht seinen Sack mit den Schätzen lasse. Er heulte und tobte so erbärmlich, daß Panamon nahe daran war, ihm den Schädel einzuschlagen.
»Was macht das schon, Panamon?« sagte Shea schließlich ungeduldig.
»Laßt ihm seinen Tand, wenn ihn das glücklich macht.
Wir können den Dreck später wegwerfen, wenn er sich beruhigt hat.«
Panamon schüttelte gereizt den Kopf, gab aber endlich nach.
»Nun gut, dieses eine Mal«, sagte er. Orl Fane wurde auf der Stelle still. »Wenn er aber noch einmal einen solchen Spektakel macht, schneide ich ihm die Zunge ab. Keltset, sorg dafür, dass er den Sack nicht in die Hände bekommt. Ich möchte nicht, dass er nach einer Waffe greift, sich befreit und uns umbringt! Die schartigen Klingen taugen zwar nicht viel, aber ich möchte nicht an Blutvergiftung sterben.«
Shea mußte wider Willen lachen. Die Waffen sahen wirklich armselig aus, wenngleich ihm das schmale, große Schwert mit der im Griff eingeritzten brennenden Fackel gefiel. Auch diese Waffe sah aber ziemlich mitgenommen aus, der billige goldene Anstrich blätterte ab, und der Griff wirkte abgeschabt. Wie manche andere steckte sie in einer alten Lederscheide, so daß man schwer sagen konnte, in welchem Zustand sich die Klinge befand. In den Händen des verschlagenen Gnoms mochte sie aber durchaus gefährlich sein. Keltset füllte den Sack und schwang ihn über die Schulter, dann setzten sie den Marsch zum Wald fort.
Es war eine nicht sehr weite Entfernung, aber bis sie den Waldrand erreichten, war Shea, der den verwundeten Räuber hatte stützen müssen, erschöpft. Auf Panamons Befehl hin blieben sie stehen; er schickte Keltset zurück, damit er ihre Spur verwische und eine Anzahl falscher Fährten lege. Shea erhob keinen Einwand. Er hoffte zwar, daß Allanon und die anderen nach ihm suchten, aber es bestand die große Gefahr, daß auch Gnomenjäger oder gar ein Schädelträger auf ihre Fährte stießen.
Nachdem der Troll Orl Fane an einen Baumstamm gebunden hatte, kehrte er auf das Schlachtfeld zurück, um ihre Spur zu verwischen.
Panamon sank an einer Ulme nieder, und Shea legte sich auf eine kleine, grasbewachsene Anhöhe, zerstreut in die Baumwipfel blickend, während er die Waldluft tief in sich einsog. Die Sonne sank immer tiefer, und die ersten Vorboten des Abends erschienen als purpurne und tiefblaue Streifen am Himmel. Sie hatten nur noch mit einer Stunde Tageslicht zu rechnen, und die Nacht würde sie vor ihren Feinden verbergen. Shea wünschte sich verzweifelt die Gesellschaft seiner Genossen, die starke, weise Führerschaft Allanons, den Mut der anderen - Balinor, Höndel, Durin, Dayel und des wilden Menion Leah. Vor allem sehnte er sich nach Flick mit seiner unwandelbaren Treue und seinem grenzenlosen Vertrauen. Panamon Creel war ein guter Verbündeter, aber eine engere Beziehung bestand zwischen Shea und ihm nicht. Und Keltset war ein Rätsel, selbst für Panamon.
»Panamon, Ihr habt vorhin gesagt, Ihr wolltet mich über Keltset aufklären«, sagte Shea leise. »Der Schädelträger hat ihn gekannt.«
Es blieb eine Weile still, und Shea hob den Kopf, um zu sehen, ob der andere ihn gehört hatte. Panamon starrte ihn prüfend an.
»Schädelträger? Du scheinst von dem Ganzen viel mehr zu wissen als ich. Was meinst du zu meinem Begleitriesen, Shea?«
»Ihr habt mir nicht die Wahrheit gesagt, als Ihr mich vor den Gnomen gerettet habt, nicht wahr?« meinte Shea. »Er war kein Außenseiter, der von seinen eigenen Leuten aus dem Dorf vertrieben worden ist. Er hat sie nicht getötet, weil sie ihn überfielen, nicht?«
Panamon lachte und kratzte sich mit seinem Eisenhaken am Schnurrbart.