Ich weiß, wer es hat. Nur ich.«
»Ich glaube, er verliert den Verstand«, murmelte Panamon Creel und befahl Keltset, den Gnomen wieder zu knebeln.
»Morgen früh werden wir herausfinden, was er weiß. Wenn er Kenntnisse über das Schwert von Shannara hat, was ich ernsthaft bezweifle, wird er sie uns verraten oder es bedauern!«
»Glaubt Ihr, er weiß, wer es hat?« fragte Shea. »Das Schwert könnte so viel bedeuten, nicht nur für uns, sondern für alle Völker der vier Länder. Wir müssen versuchen, herauszubekommen, was er wirklich weiß.«
»Mit deinem Einsatz für die Völker treibst du mir die Tränen in die Augen«, spottete Panamon. »Sie können sich meinetwegen alle aufhängen. Für mich haben sie nichts getan - außer allein, unbewaffnet und mit dicken Börsen unterwegs zu sein, und das auch sehr selten.« Er sah Shea in das enttäuschte Gesicht und zuckte lässig die Achseln. »Aber das Schwert macht mich neugierig, also wäre ich vielleicht bereit, dir zu helfen. Schließlich stehe ich in deiner Schuld, und ich vergesse so etwas nicht.«
Keltset hatte den Gnomen inzwischen geknebelt und kehrte an das kleine Feuer zurück. Orl Fane gluckste in sich hinein und lallte ab und zu etwas vor sich hin. Shea warf unsicher einen Blick auf den kleinen Gefangenen und sah, wie der gelbe, verkrümmte Körper sich wand, als sei er von einem Dämonen besessen, während die dunklen, grünen Augen hin- und herrollten. Panamon achtete geraume Zeit nicht auf das Stöhnen, aber endlich verlor er die Geduld, sprang auf und riß seinen Dolch heraus, um dem Gnomen die Zunge abzutrennen.
Orl Fane beruhigte sich sofort, und sie vergaßen ihn für einige Zeit.
»Warum glaubte das Nordlandwesen wohl, wir hätten das Schwert von Shannara versteckt?« sagte Panamon nach einer Pause. »Es war seltsam, daß er sich davon nicht abbringen lassen wollte. Er spüre, daß wir es hätten, sagte es. Wie erklärst du dir das?«
Shea dachte eine Weile nach und hob dann hilflos die Schultern.
»Es müssen die Elfensteine gewesen sein.«
»Du könntest recht haben.« Panamon rieb sich mit der gesunden Hand das Kinn. »Ich verstehe, offen gesagt, überhaupt nichts. Keltset, was hältst du davon?«
Der Riesentroll betrachtete sie einen Augenblick ernsthaft, dann machte er mit den Händen Zeichen. Panamon verfolgte sie aufmerksam und sah Shea dann enttäuscht an.
»Er meint, das Schwert sei sehr wichtig, und der Dämonen-Lord sei für uns alle eine große Gefahr.« Der Dieb lachte dumpf.
»Eine große Hilfe, das muß ich schon sagen.«
»Das Schwert ist wirklich sehr wichtig!« sagte Shea. Er verstummte, und sie saßen gedankenverloren da.
Es war später Abend, und die Nacht lagerte schwarz um den schwachen Feuerschein. Der Wald war eine Mauer, die sie in der kleinen Lichtung einschloß, mit den scharfen Lauten der Insektenwelt umgab und ab und zu den Schrei eines fernen Wesens zu ihnen dringen ließ. Der Himmel zeigte sich zwischen den Ästen der Eichen in schwarzblauen Flecken mit ein paar funkelnden Sternen. Panamon sprach noch eine Weile, während das Feuer erlosch. Dann stand er auf, zertrat die Glut und wünschte seinen Begleitern eine gute Nacht. Keltset war in eine Decke gewickelt und schlief, bevor Shea sich auch nur einen geeigneten Schlafplatz ausgesucht hatte. Der Talbewohner fühlte sich von dem langen Tagesmarsch und dem Kampf mit dem Schädelträger völlig erschöpft. Er breitete seine Decke aus, legte sich auf den Rücken, zog die Jagdstiefel aus und starrte leer in die Schwärze, vor der sich ganz undeutlich das Gewirr der Äste abzeichnete, darüber die Schatten des Himmels.
Shea dachte an alles, was ihm widerfahren war, und durchlebte noch einmal seine schier endlose Reise von Shady Vale hierher.
So vieles war noch immer rätselhaft. Er war so weit gelangt, hatte so vieles ertragen und wußte immer noch nicht, worum es eigentlich ging. Das Geheimnis des Schwertes von Shannara, der Dämonen-Lord, sein eigenes Erbe - alles so unergründlich wie zuvor.
Er drehte sich auf die Seite und blickte in der Dunkelheit zur schlafenden Gestalt Panamon Creels hinüber. Auf der anderen Seite der Lichtung konnte er die schweren Atemzüge Keltsets hören, die sich mit den Lauten des Waldes vermischten. Orl Fane saß mit dem Rücken an der Eiche, an die er gefesselt worden war, und seine Augen leuchteten wie die einer Katze, unverwandt auf Shea gerichtet. Der Talbewohner konnte sich zunächst von dem Blick nicht lösen, zwang sich dann aber auf die andere Seite, schloß die Augen und schlief im Nu ein. Als letztes erinnerte er sich, den kleinen Lederbeutel mit den Elfensteinen an seiner Brust unter dem Rock fest umklammert zu haben, während er sich fragte, ob ihre Macht ihn auch in den folgenden Tagen schützen werde.
Shea erwachte plötzlich im grauen Licht eines frühen Waldmorgens, geweckt von gräßlichen Flüchen, die der wutentbrannte Panamon Creel ausstieß. Der Dieb stapfte in höchstem Zorn in der Lichtung herum, schreiend und fluchend. Shea wußte zunächst nicht, was geschehen war, und es dauerte eine Weile, bis er sich den Schlaf aus den Augen gerieben hatte. Er stützte sich auf einen Ellenbogen und starrte ins Zwielicht. Es kam ihm vor, als habe er nur wenige Minuten geschlafen. Seine Muskeln waren steif und schmerzten ihn, in seinem Gehirn schien ein Nebel zu hängen. Panamon stürmte noch immer in der Lichtung herum, während Keltset an einer der mächtigen Eichen kniete. Dann begriff Shea, daß Orl verschwunden war. Er sprang auf und stürzte hinüber. Seine schlimmsten Befürchtungen bestätigten sich; die Fesseln, mit denen der Gnom am Baumstamm festgebunden worden war, lagen zerschnitten am Boden. Der Gnom war entkommen, und Shea hatte damit seine einzige Gelegenheit eingebüßt, das Schwert zu finden.
»Wie ist das möglich gewesen?« rief Shea zornig. »Ich dachte, ihr hättet ihn angebunden, fern von allem, womit er seine Fesseln durchtrennen konnte.«
Panamon sah ihn an wie einen Schwachsinnigen.
»Sehe ich aus wie ein Narr? Natürlich habe ich ihn fern von allen Waffen angebunden. Ich habe ihn sogar an den verdammten Baum gebunden und noch dazu knebeln lassen. Wo warst du? Der kleine Teufel hat die Stricke und den Knebel nicht durchgeschnitten. Er hat sie durchgekaut!«
Shea starrte ihn verblüfft an.
»Das ist mein voller Ernst, kann ich dir versichern«, fuhr Panamon wütend fort. »Die Stricke sind durchgenagt. Die kleine Ratte war raffinierter, als ich dachte.«
»Oder verzweifelter«, sagte Shea nachdenklich. »Ich möchte wissen, warum er nicht versucht hat, uns zu töten. Er hatte Grund genug, uns zu hassen.«
»Sehr unfreundlich von dir, so etwas anzudeuten«, erklärte der andere mit höhnischer Ungläubigkeit. »Ich will dir sagen, warum nicht. Er hatte Angst, daß es ihm nicht gelingen könnte. Der Kerl war ein Deserteur - ein Feigling von der niedrigsten Sorte. Er hatte nicht den Mut, etwas anderes zu tun als die Flucht zu ergreifen.
Was ist, Keltset?«
Der riesenhafte Berg-Troll war lautlos herangekommen, gestikulierte und wies nach Norden. Panamon schüttelte angewidert den Kopf.
»Die rückgratlose Kreatur muß schon vor Stunden entwischt sein. Schlimmer noch, der Narr ist nach Norden geflohen, und es wäre nicht ratsam für uns, ihn in dieser Richtung zu verfolgen.
Seine eigenen Leute werden ihn vermutlich entdecken und niedermachen.
Einem Deserteur gewähren sie keine Schonung. Bah, laßt ihn gehen! Wir können froh sein, daß wir ihn los sind, Shea.
Wahrscheinlich hat er gelogen, was das Schwert von Shannara angeht.«
Shea nickte zweifelnd, nicht ganz überzeugt davon, daß der Gnom in allem gelogen haben sollte. Wenn er nun auf dem Weg zum Schwert war? Wenn er nun wußte, wo es sich befand?
»Vergessen wir das Ganze, Shea«, sagte Panamon resigniert.
»Der Gnom hatte eine Todesangst vor uns; er dachte nur an Flucht. Die Geschichte vom Schwert war nur ein Versuch, uns zu hindern, daß wir ihn töteten, bevor er Gelegenheit fand, das Weite zu suchen. Schau dir das an! Er hatte es so eilig, daß er sogar seinen kostbaren Sack vergessen hat.«