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Am späten Vormittag wandten sich die drei Wanderer auf der Ebene von Streleheim nach Süden, entlang des Westrandes der Wälder um Paranor. Die Spur, der sie gefolgt waren, vereinte sich hier mit anderen, die von Norden kamen und südlich nach Callahorn weiterzogen. Die Fährte war breit und ohne Tarnung; man hatte sich nicht bemüht, Zahl oder Richtung zu verbergen. Memon schätzte, daß wenigstens einige tausend Mann vor wenigen Tagen hier vorbeigezogen waren- Die Fußabdrücke stammten von Gnomen und Trollen - offenbar Teile der Horden, die der Uamonen-Lord ausgeschickt hatte- Für Allanon stand nun fest daß sich auf den Ebenen über Callahorn eine riesige Armee sammelte, um durch das Südland vorzustoßen und die freien Länder und ihre Armeen zu trennen. Die Fährte war durch die Vereinigung mit vielen Trupps so unübersichtlich geworden, daß man nicht mehr erkennen konnte, ob sich irgendwo eine kleine Gruppe abgespalten hatte. Shea und das Schwert hätte an irgendeiner Stelle in eine andere Richtung gebracht worden sein können, ohne daß ihre Freunde das zu erkennen vermochten.

Sie gingen den ganzen Tag nach Süden und machten nur selten kurz Rast, bemüht, die große Marschsäule einzuholen. Die Fährte der Invasionsarmee war so deutlich, daß Menion nur noch von Zeit zu Zeit gewohnheitsmäßig auf den staubigen Boden blickte. An die Stelle der nackten Streleheim-Ebene trat grünes Grasland. Flick kam es beinahe so vor, als seien sie wieder auf dem Heimweg, und als ob hinter dem nächsten Berg die vertraute Heimat auftauchen müßte. Sie waren von Callahorn noch einiges entfernt, aber unverkennbar ließen sie das trostlose Nordland hinter sich und gelangten in das Grün und die Wärme ihrer Heimat.

Der Tag verging schnell, und das Gespräch zwischen den Wanderern lebte wieder auf. Auf Flicks Drängen erzählte Allanon vom Rat der Druiden. Er berichtete in Einzelheiten von der Geschichte des Menschen seit den Großen Kriegen und erläuterte, wie ihre Rasse zu ihrer jetzigen Daseinsform gelangt war Menion sagte wenig, hörte zu und achtete auf die Umgebung.

Anfangs war die Sonne hell und warm, der Himmel klar gewesen. Am Nachmittag änderte sich das Wetter rasch, graue, tiefhängende Regenwolken zogen sich zusammen, die Luft wurde schwul und feucht. Es gab kaum Zweifel, daß ein Gewitter bevorstand.

Sie waren inzwischen in der Nähe der Südgrenze des Undurchdringlichen Waldes, und die schroffen Gipfel der Drachenzahne wurden am dunklen Horizont im Süden sichtbar.

Von der großen Armee, die ihnen vorauszog, war immer noch nichts zu sehen, und Menion begann sich zu fragen, wie weit nach Süden sie schon vorgestoßen sein mochte. Sie selbst hatten nicht mehr weit bis zur Grenze von Callahorn, das unmittelbar hinter den Drachenzähnen lag. Wenn die Armeen aus dem Norden Callahorn bereits erobert hatten, war das Ende wahrhaftig gekommen. Das graue Licht des Nachmittags verblaßte, und der Himmel färbte sich dunkel.

Es dämmerte, als sie das Dröhnen aus der Nacht aufsteigen hörten, widerhallend von den Riesengipfeln vor ihnen. Menion erkannte es sofort - er hatte das in den Wäldern des Anar schon gehört. Es war das Geräusch von Hunderten Gnomentrommeln, deren Rhythmus in der stillen, feuchten Luft vibrierte und die Nacht mit unheimlicher Spannung erfüllte. Die Erde erzitterte unter dem Getrommel, und alles Leben war vor Furcht und Vorahnung verstummt. Menion erkannte, daß es viel mehr Trommeln waren als zuletzt am Jade-Paß. Die drei Männer eilten weiter, eingehüllt in das hallende Dröhnen. Die grauen Wolken des Spätnachmittags bedeckten noch immer den nächtlichen Himmel, und die drei sahen sich von tintiger Dunkelheit umgeben. Menion und Flick fanden den Weg nicht mehr allein, aber der Druide führte sie mit unheimlicher Sicherheit in das rauhe Tiefland unterhalb von Paranor. Keiner sagte etwas, jeder war erfaßt von äußerster Anspannung. Sie wußten, daß das feindliche Lager vor ihnen lag.

Dann veränderte sich die Landschaft abrupt. An die Stelle der niedrigen Hügel und des Buschwerks traten steile Hänge, übersät mit Felsblöcken und gefährlichen Felssimsen. Allanon schritt unbeirrt weiter, seine hohe Gestalt unübersehbar selbst in der fast undurchdinglich gewordenen Dunkelheit, und die beiden anderen folgten ihm gehorsam. Menion vermutete, daß sie die kleineren Berge und Vorberge oberhalb der Drachenzähne erreicht hatten und daß Allanon diesen Weg gewählt hatte, um zufällige Begegnungen mit Soldaten der Nordland-Armee zu vermeiden.

Wo sich das feindliche Lager genau befand, war immer noch nicht auszumachen, aber dem Trommelklang nach mußte es sich unmittelbar in ihrer Nähe befinden. Sie tappten fast eine Stunde lang zwischen Felsblöcken und Büschen dahin, die Kleidung zerschrammt und aufgerissen, die Arme verkratzt und blutig, aber der stumme Druide verlangsamte seine Schritte nicht.

Nach Ablauf der Stunde blieb er stehen, drehte sich nach ihnen um und legte warnend den Finger an die Lippen. Vorsichtig führte er sie dann in ein Gewirr riesiger Felsbrocken. Die drei kletterten minutenlang aufwärts, ohne ein Geräusch zu machen, plötzlich sahen sie vor sich Lichter - trübe, flackernde Lichter, die von brennenden Lagerfeuern stammten. Sie krochen auf Händen und Knien zum Rand der Felsblöcke. An einem schräg hängenden Felsen hoben sie langsam die Köpfe und starrten atemlos hinunter.

Was sie sahen, war unheimlich und erschreckend. So weit das Auge reichte, meilenweit in alle Richtungen, loderten die Feuer der Nordland-Armee in die Nacht, wie Tausende gelber, gleißender Punkte in der Schwärze der Ebenen, und in ihrem hellen Licht eilten die undeutlichen Gestalten drahtiger, knorriger Gnomen und massiger, schwerer Trolle umher. Es waren Tausende, alle bewaffnet, alle bereit, auf das Königreich Callahorn hinabzustoßen. Flick und Menion konnten sich nicht vorstellen, daß selbst die legendäre Grenzlegion Aussicht haben mochte, einer solch gewaltigen Streitmacht standzuhalten. Es war, als sei die gesamte Gnomen- und Troll-Bevölkerung dort unten auf der Ebene versammelt. Allanon hatte jede Begegnung mit Spähern und Wachen vermieden, indem er am Westrand der Drachenzähne entlanggegangen war, und nun hockten die drei Männer in einem Krähennest von Felsblöcken hoch über dem feindlichen Lager. Aus dieser Höhe konnten die entsetzten Südländer die Gesamtheit der riesigen Streitmacht überblicken, die sich gesammelt hatte, um in die schlecht verteidigte Heimat der Südländer einzudringen. Die Trommeln der Gnome klangen immer lauter, während die Männer hinunterstarrten und ihre Augen ungläubig von einem Ende des Lagers zum anderen schweiften. Zum ersten Mal begriffen sie ganz, womit sie es zu tun hatten. Zuvor waren es nur Allanons Worte gewesen, die versucht hatten, die Invasion zu beschreiben; nun konnten sie den Feind sehen und selbst ein Urteil fällen. Jetzt spürten sie das dringende Bedürfnis nach dem geheimnisvollen Schwert von Shannara, nach der einzigen Macht, die das böse Wesen, welches diese Armee gegen sie aufgestellt hatte, vernichten konnte. Aber nun war es schon zu spät.

Minutenlang blieben sie stumm, dann berührte Menion Allanon an der Schulter und wollte etwas sagen, aber der Druide preßte seine Hand schnell auf den Mund des erstaunten Hochländers und deutete den Hang hinunter. Menion und Flick reckten die Köpfe ein wenig vor und sahen erschrocken, daß unter ihrem Versteck Gnomenwachen auf- und abgingen. Sie hatten beide nicht geglaubt, daß der Feind sich die Mühe machen würde, so weit vom eigentlichen Lager entfernt Wachen aufzustellen, aber offenbar ließ man sich auf kein Risiko ein. Allanon bedeutete den beiden durch eine Handbewegung, sich zurückzuziehen, und sie gehorchten schnell und folgten ihm hinab über die hohen Steinquadern. Unten angekommen, sicher vor allen neugierigen Augen, setzten sie sich zur Beratung zusammen. »Wir müssen ganz leise sein«, warnte Allanon flüsternd. »Eure Stimmen wären von den Felsen hinabgedrungen zur Ebene. Die Gnomenwachen hätten uns gehört!«

Menion und Flick nickten.