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»Vielleicht hast du recht, Höndel«, sagte Balinor. »Aber er ist mein Bruder, und ich liebe ihn.«

»Das macht ihn so gefährlich«, erklärte der Zwerg. »Er liebt Dich nicht mehr.«

Balinor starrte stumm vor sich hin. Die anderen schwiegen ebenfalls einige Minuten, bis er sich umdrehte und sie ruhig ansah, so, als sei nichts geschehen.

»Es wird Zeit für uns. Wir müssen die Stadtmauern erreichen, bevor es dunkel wird.«

»Ich gehe nicht weiter mit, Balinor«, warf Höndel hastig ein.

»Ich muß in mein eigenes Land zurückkehren und mithelfen, die Zwergen-Armeen auf eine Invasion gegen sie vorzubereiten.«

»Nun, Ihr könnt heute nacht in Tyrsis schlafen und morgen weitergehen«, sagte Dayel, weil er wußte, wie erschöpft sie alle waren.

Höndel lächelte und schüttelte den Kopf.

»Nein, ich muß in dieser Gegend nachts unterwegs sein. Wenn ich in Tyrsis übernachte, verliere ich einen ganzen Reisetag, und die Zeit ist kostbar für uns alle. Das ganze Südland steht und fällt damit, wie schnell wir unsere Armeen zu einer gemeinsamen Streitmacht vereinigen können, um gegen den Dämonen-Lord loszuschlagen. Wenn Shea und das Schwert von Shannara für uns verloren sind, bleiben uns nur die Armeen. Ich werde nach Varfleet gehen und dort rasten. Seid auf der Hut, Freunde. Ich wünsche Euch viel Glück.«

»Und wir dir auch, tapferer Höndel.« Balinor streckte die Hand aus. Höndel drückte sie, schüttelte den Elfen-Brüdern die Hände und verschwand winkend im Wald.

Balinor und die Elfen-Brüder warteten, bis sie ihn zwischen den Bäumen nicht mehr sehen konnten, dann marschierten sie über die Ebene auf Tyrsis zu Die Sonne war hinter dem Horizont versunken, der Himmel dunkelgrau geworden. Sie waren auf halbem Wege, als der Himmel völlig dunkel wurde und die ersten Sterne auftauchten. Als sie sich der ruhmreichen Stadt näherten, beschrieb der Prinz von Callahorn den Elfen-Brüdern die Geschichte der Entstehung von Tyrsis.

Die Stadt war erbaut auf einem Hochplateau, das zu einer Reihe von hohen, senkrechten Felswänden führte. Diese grenzten das Plateau im Süden ganz, im Westen und Osten teilweise ein. Sie waren zwar bei weitem nicht so hoch oder schroff wie die Drachenzähne oder das Charnal-Gebirge im fernen Norden, aber unfaßbar steil. Die Nordseite hinter der Stadt ragte nahezu senkrecht empor, und es war noch niemandem gelungen, sie zu ersteigen. Im Rücken war die Stadt also gut gesichert, und eine Abwehr im Süden hatte sich nie als nötig erwiesen. Das Plateau, auf dem die Stadt stand, war an der breitesten Stelle knapp über drei Meilen breit und fiel steil ab zur Ebene, die sich offen nach Norden und Westen zum Mermidon-Fluß und nach Osten zu den Wäldern von Callahorn erstreckte. In Wahrheit stellte der breite Strom die erste Verteidigungslinie gegen Angriffe dar, und es war nur wenigen Armeen gelungen, das Plateau selbst und die Stadtmauern zu erreichen. Derjenige, dem es gelang, den Mermidon zu überschreiten, stand bald danach vor der steilen Mauer des Plateaus, das von oben verteidigt werden konnte. Der wichtigste Weg zu dieser Anhöhe war eine große Straßenrampe aus Eisen und Stein, die man durch das Herausklopfen von Bolzen in den Stützen einstürzen lassen konnte.

Aber selbst wenn es dem Feind gelang, die Hochebene zu erklimmen und sich dort festzusetzen, erwartete ihn die dritte Abwehrlinie - eine, die noch kein Feind je überwunden hatte. Kaum dreihundert Meter vom Plateaurand entfernt, erhob sich, die ganze Stadt in einem Halbkreis einschließend, dessen Ende bis zu den Felswänden reichten, die gigantische Außenmauer. Erbaut aus mächtigen Steinblöcken, mit Mörtel zusammengefügt, war die Oberfläche glattgeschliffen worden, so daß ein Erklimmen nahezu ausgeschlossen war. Sie ragte über dreißig Meter in die Höhe, massiv, steil, unbezwingbar. Auf der Mauer waren Brustwehren für die innerhalb der Stadt kämpfenden Männer erbaut, mit Schießscharten, durch die verborgene Bogenschützen auf die Angreifer schießen konnten. Die Mauer war in Stil und Form, grob und unbehauen, aber sie hatte seit über tausend Jahren jeden Gegner ferngehalten.

Innerhalb der Mauer war die Grenzlegion in einer Reihe langer, schräg abfallender Kasernen untergebracht, zwischen Gebäuden für die Verwahrung von Vorräten und Waffen. Annähernd ein Drittel der Streitmacht war stets im Dienst, während die anderen zu Hause bei ihren Familien wohnten und ihren Berufen als Arbeiter, Handwerker und Ladenbesitzer nachgingen.

Die Kasernen konnten im Bedarfsfalle die ganze Armee fassen, wie das schon bei mehr als einer Gelegenheit geschehen war, aber im Augenblick waren sie nur teilweise besetzt. Hinter den Kasernen, den Arsenalen und Exerzierplätzen gab es eine zweite Mauer, welche die Unterkünfte der Soldaten von der eigentlichen Stadt trennte. Hinter dieser zweiten Mauer standen an den oberen, gewundenen Straßen die Wohn- und Geschäftshäuser der Stadtbevölkerung von Tyrsis, mit Sorgfalt gebaut und gepflegt.

Die Stadt erstreckte sich nahezu über das ganze Plateau, von dieser zweiten Steinmauer bis fast zu den Klippen. An der innersten Stelle war eine dritte, niedrige Mauer errichtet worden, mit Zugang zu den Regierungsbauten und dem Königspalast, komplett mit Forum und Parklandschaft. Die Parks um der Palast bildeten das einzige ländliche Element auf der Plateaufläche.

Die dritte Mauer diente keinen Verteidigungszwecken, sondern bildete die Demarkationslinie für Staatsbesitz, der dem Gebrauch durch den König vorbehalten war und, was die Parks anging, der Nutzung durch die ganze Bevölkerung. Balinor unterbrach seine Schilderung und wies die Elfen-Brüder darauf hin, daß das Reich von Callahorn eine der wenigen aufgeklärten Monarchien der Welt darstellte. Theoretisch eine Monarchie, beherrscht von einem König, bestand die Regierung auch aus einer parlamentarischen Körperschaft, deren Repräsentanten vom Volk gewählt wurden und für die Verabschiedung der Gesetze verantwortlich waren. Die Bevölkerung war sehr stolz auf ihren Staat und die Grenzlegion, in der nahezu jeder Mann gedient hatte oder noch diente. Es war ein Land, in dem sie freie Menschen sein konnten, und dafür lohnte es, zu kämpfen.

Callahorn war ein Land, das die Vergangenheit ebenso widerspiegelte wie die Zukunft. Auf der einen Seite waren die Städte in erster Linie als Festungen erbaut worden, um die häufigen Angriffe kriegerischer Nachbarn abzuwehren. Die Grenzlegion war ein Überbleibsel früherer Zeiten, als die neu entstandenen Staaten unaufhörlich miteinander Krieg geführt hatten, als ein nahezu fanatischer Stolz auf nationale Unabhängigkeit zu einer fortwährenden Auseinandersetzung über eifersüchtig bewachte Landesgrenzen geführt hatte, als Brüderschaft zwischen den Völkern der vier Länder noch undenkbar war. Die rustikale, altmodische Gestaltung und Architektur war in den schnell wachsenden Städten des tiefen Südlandes nirgends zu finden - Städte, in denen aufgeklärte Kulturen und weniger kriegerische Grundsätze sich durchzusetzen begannen. Aber es war Tyrsis, das mit seinen barbarischen Steinmauern und eisernen Kriegern das Südland geschützt und ihm Gelegenheit gegeben hatte, sich in eine neue Richtung zu entwickeln. Es gab auch Anzeichen für das Kommende in diesem pittoresken Land, Anzeichen, die von einer anderen Ära und einer nicht zu fernen Zeit sprachen.

Tyrsis war die Wegkreuzung der vier Länder, und durch seine Mauern und Landschaften strömten Angehörige aller Nationen, die den Einwohnern Gelegenheit gaben, zu sehen und zu begreifen, daß die Unterschiede in Gesicht und Körper bei den einzelnen Rassen unwichtig waren. Die Menschen hatten gelernt, die innere Person zu beurteilen. Ein riesiger Berg-Troll wurde nicht angestarrt und seiner bizarren Erscheinung wegen gemieden; Trolle kamen oft in dieses Land. Gnomen, Elfen und Zwerge aller Arten und Gattungen zogen regelmäßig hindurch, und wenn sie Freunde sein wollten, wurden sie willkommen geheißen. Balinor lächelte, als er von dieser neuen, sich ausbreitenden Erscheinung sprach, die endlich überall in den Ländern die Oberhand zu gewinnen schien, und er empfand Stolz darüber, daß sein Volk zu den ersten gehörte, die alte Vorurteile fallen ließen und nach gemeinsamen Grundlagen für Verständnis und Freundschaft suchten. Durin und Dayel lauschten in stummem Einverständnis. Die Elfen wußten, was es hieß, allein zu sein in einer Welt, die nicht über ihre eigenen Beschränkungen hinauszublicken vermochte.