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Die ganze Menschenmenge strömte durch das Herz von Tyrsis, drängte sich unter den riesigen Bögen und Quergängen über den Straßen, schob sich durch die Engstellen vorbei an hohen, weißgestrichenen Gebäuden und kleineren Wohnhäusern zur Brücke von Sendic, die sich über die unteren Bereiche der Parkanlagen wölbte. Am anderen Ende befanden sich die Palasttore, dunkel und geschlossen. Auf dem Scheitelpunkt der weitgeschwungenen Brücke blieb der Prinz von Callahorn plötzlich stehen und wandte sich der Menge zu. Er hob die Arme. Die Menschen blieben stehen und verstummten.

»Meine Freunde - meine Landsleute.« Die stolze Stimme tönte in die Dunkelheit hinein und hallte donnernd wider. »Ich habe dieses Land und seine tapferen Bürger vermißt, aber jetzt bin ich wieder zu Hause - und ich gehe nicht mehr fort. Es besteht kein Anlaß zur Furcht. Dieses Land wird alles überdauern. Wenn es in der Monarchie Schwierigkeiten geben sollte, stelle ich mich ihnen. Ihr müßt jetzt zu euren Häusern zurückkehren und auf den Morgen warten, der euch in besserem Licht zeigen wird, daß alles gut steht. Bitte, geht jetzt nach Hause, wie ich.«

Ohne die Reaktion der Menge abzuwarten, drehte er sich um und ging über die Brücke auf die Palasttore zu. Die Elfen-Brüder eilten ihm nach. Die Stimmen der Menschen erhoben sich wieder, aber die Menge folgte ihnen nicht. Gehorsam kehrte man um und ging in die Stadt zurück, düster vor sich hinmurrend. Die drei Männer verloren die Menge rasch aus den Augen, als sie das Gefälle hinunterschritten. Nach wenigen Minuten erreichten sie die hohen, in Eisen gefaßten Tore des Buckhannah-Palastes.

Balinor zögerte nicht, sondern griff nach dem riesigen Eisenring und ließ ihn donnernd auf das Tor krachen. Einen Augenblick lang war nichts zu hören als das Echo, während die Männer in der Dunkelheit standen und lauschten. Dann verlangte eine halblaute Stimme aus dem Inneren, sie sollten ihre Namen nennen. Balinor tat es und befahl mit scharfer Stimme, sofort das Tor zu öffnen. Die schweren Riegel wurden zurückgezogen, die Torflügel öffneten sich. Balinor trat in den Gartenhof, ohne der Wachen zu achten, die Augen auf das prachtvolle Gebäude mit den Säulen gerichtet. Die hohen Fenster waren dunkel, mit Ausnahme derjenigen im Erdgeschoß des linken Flügels. Durin warf hastig einen Blick in die Schatten, wo er ein Dutzend schwer bewaffneter Wachen entdeckte. Sie trugen alle das Abzeichen des Falken.

Der wachsame Elfe wußte sofort, daß sie in eine Falle liefen, wie er es seit dem Betreten der Stadt schon vermutet hatte. Zunächst wollte er Balinor aufhalten und ihn warnen, aber er begriff, daß der Prinz ein zu erfahrener Kämpfer war, um nicht zu wissen, worauf er sich einließ. Durin wünschte sich erneut, seinen jüngeren Bruder vor der Stadt zurückgelassen zu haben, aber das war nicht mehr zu ändern. Sie gingen durch den Garten zu den Palasttüren. Dort gab es keine Wächter, und die Türen öffneten sich unter Balinors Händen sofort. Die Halle mit den riesigen Wandgemälden schimmerte im Licht von Fackeln. Die Holztäfelung war alt und kostbar, dunkel verfärbt und teilweise bedeckt mit schönen Gobelins und Schildwappen von Generationen der herrschenden Familien. Während die Brüder hinter Balinor durch diese Halle und die daran anschließenden schritten, entsannen sie sich ihres Aufenthaltes in Paranor. Auch dort hatte sie inmitten der historischen Pracht eines anderen Zeitalters eine Falle erwartet.

Sie bogen nach links ein in eine andere Halle, Balinor noch immer einige Schritte voraus. Einen Augenblick lang erinnerte er Durin an Allanon, riesig, aufgebracht, gefährlich. Durin tastete nach seinem Dolch. Wenn sie wieder in eine Falle geraten sollten, würde es nicht ohne seinen Widerstand abgehen.

Dann blieb Balinor vor einer offenen Tür stehen. Die Elfen-Brüder hasteten ihm nach und starrten an ihm vorbei in den hell beleuchteten Raum. Ein Mann stand an der Rückwand des elegant eingerichteten Zimmers - ein großer Mann, blond und bärtig, die breite Gestalt in eine lange, purpurne Robe mit dem Abzeichen eines Falken gehüllt. Er war einige Jahre jünger als Balinor, hatte aber dieselbe aufrechte Haltung. Er verschränkte die Hände hinter dem Rücken. Die Elfen wußten sofort, daß er Palance Buckhannah war. Balinor trat einige Schritte in das Zimmer, ohne etwas zu sagen, den Blick auf das Gesicht seines Bruders gerichtet. Die Elfen folgten ihm und schauten sich argwöhnisch um. Es gab zu viele Türen, zu viele schwere, bodenlange Vorhänge, hinter denen Wachen lauern mochten. Einen Augenblick später bewegte sich hinter ihnen etwas. Dayel drehte sich ein wenig zur Seite. Durin duckte sich und griff nach seinem Messer, während er ein paar Schritte von den anderen fort machte.

Balinor tat nichts, sondern stand stumm vor seinem Bruder, starrte in das vertraute Gesicht und entdeckte betroffen den Haß in Palances Augen. Er hatte gewußt, daß eine Falle auf ihn wartete, daß sein Bruder vorbereitet sein würde, aber immer noch geglaubt, sie würden miteinander reden können, von Bruder zu Bruder, offen und frei, trotz ihrer Meinungsverschiedenheiten.

Aber als er in diese Augen blickte und das haßerfüllte Funkeln sah, begriff er, daß sein Bruder der Vernunft nicht mehr zugänglich war, daß er vielleicht sogar den Verstand verloren hatte.

»Wo ist mein Vater?«

Balinors knappe Frage wurde beantwortet von einem Rauschen, als verborgene Schnüre ein großes Netz aus Leder und Stricken auslösten, das unbemerkt über den drei Eindringlingen gehangen hatte und nun auf sie herabfiel. Die am Netz befestigten Gewichte rissen sie alle zu Boden, und ihre Waffen waren nutzlos gegen die starken Stricke. Auf allen Seiten wurden Türen aufgerissen, die schweren Vorhänge glitten zur Seite, und mehrere Dutzend Wachen stürzten sich auf die Gefangenen, die Keine Möglichkeit zu entkommen hatten und nicht einmal vermochten, sich zum Kampf zu stellen. Man nahm ihnen die Waffen ab, fesselte ihre Hände hinter dem Rücken und legte ihnen Augenbinden um. Dann stellte man sie auf die Beine und hielt sie fest. Es blieb kurze Zeit still, als jemand herankam und vor ihnen stehenblieb.

»Du bist ein Narr gewesen, hierher zurückzukommen, Balinor«, sagte eine kalte Stimme. »Du hast gewußt, was geschehen würde, wenn ich dich wiederfinde. Du bist ein dreifacher Verräter und ein Feigling dazu - ein Verräter am Volk, an meinem Vatcr und nun sogar an mir. Was hast du mit Shirl getan? Was hast Du mit ihr gemacht? Dafür wirst du sterben, Balinor, das schwöre ich. Führt sie hinunter!«

Hände rissen sie herum und stießen sie durch die Halle, durch eine Tür, eine lange Treppe hinunter, wieder durch eine Halle, in einen Gang, der zusammen mit anderen einem verschlungenen Labyrinth glich. Ihre Stiefel hallten auf glitschigen Steinen in schwarzer, ungebrochener Stille. Plötzlich ging es wieder eine Treppe hinunter und in einen anderen Korridor. Sie rochen die muffige, kalte Luft und spürten die Feuchtigkeit an den Wänden und am Boden. Kreischend wurden alte Riegel zurückgeschoben, eine Tür ging knarrend auf. Die Hände drehten sie ruckartig herum und stießen sie nach vorn, so daß sie auf den Steinboden fielen, noch immer gefesselt und blind. Die Tür fiel zu, die Riegel wurden vorgeschoben. Sie hörten Schritte in der Ferne verklingen, dann klirrte Metall, als Türen verriegelt wurden, eine immer weiter entfernt als die anderen, bis sie schließlich in der Stille ihres Gefängnisses nur noch ihre eigenen Atemzüge hörten. Balinor war nach Hause gekommen.