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Die Ratsmitglieder waren aufgesprungen und schrien hitzig aufeinander ein. Shirls Vater eilte hinzu, aber es dauerte einige Minuten, bis es den bedächtigeren Räten gelang, die anderen zu beschwichtigen, damit die Diskussion in Ruhe fortgesetzt werden konnte. Menion hörte kurze Zeit zu, dann irrte seine Aufmerksamkeit ab, und er blickte hinüber zu den hohen Bogenfenstern.

Es war nicht mehr so dunkel wie zuvor, und auch der Regen hatte weiter nachgelassen. Bis morgen würde er vermutlich ganz aufhören, und die jenseits des angeschwollenen Mermidon lagernde Streitmacht würde versuchen, überzusetzen.

Am Ende würde ihnen das auch gelingen, selbst wenn die in Kern stationierten oder lebenden Soldaten, bei weitem in der Minderzahl, die Insel zu verteidigen versuchten. Ohne eine große, wohl organisierte Armee zum Schutz der Stadt würden die Menschen niedergemetzelt werden, und Kern mußte fallen. Er dachte an Allanon und fragte sich, was der einfallsreiche Druide an seiner Stelle nun tun würde. Die Lage sah nicht gut aus. Tyrsis wurde von einem irrationalen, ehrgeizigen Usurpator beherrscht. Kern war praktisch ohne Führung, die Meinung des Rates geteilt, und man diskutierte immer noch über Maßnahmen, die längst hätten getroffen werden müssen. Menion fühlte, wie seine Beherrschung nachließ. Es war Wahnsinn, weiter über die Alternativen zu streiten.

»Räte! Hört mich an!« schrie er mit solcher Lautstärke, daß seine Stimme von den Mauern widerhallte. Die Männer im Saal verstummten. »Nicht nur Callahorn, sondern das ganze Südland, meine Heimat und die Eure, fällt der Vernichtung anheim, wenn wir jetzt nicht handeln. Morgen nacht wird Kern in Schutt und Asche liegen, die Bewohner werden Sklaven sein. Unsere einzige Chance, zu überleben, besteht in der Flucht nach Tyrsis; unsere einzige Hoffnung, die mächtige Nordland-Armee zu besiegen, ruht auf der Grenzlegion, neu aufgestellt unter Balinor.

Die Elfen-Armeen stehen bereit, mit uns zu kämpfen. Die Zwergenvölker, seit Jahren im Kampf gegen die Gnomen, haben versprochen, uns beizustehen. Aber wir müssen getrennt dem Feind die Stirn bieten, bis wir uns vereinen und der ungeheuren Bedrohung begegnen können.«

»Gut gesprochen, Prinz von Leah«, sagte Shirls Vater, als Menion Atem holte. »Aber nennt uns eine Lösung für unser vordringliches Problem, damit unsere Menschen Tyrsis erreichen können. Der Feind lagerte unmittelbar hinter dem Mermidon, und wir sind praktisch wehrlos. Wir müssen fast vierzigtausend Menschen von dieser Insel evakuieren und sie dann sicher nach Tyrsis führen, Meilen im Süden. Zweifellos hat der Feind schon überall am Ufer Wachen aufgestellt, um zu verhindern, daß der Mermidon überschritten wird, bevor er sich auf Kern stürzt. Wie können wir solche Hindernisse überwinden?«

Menion lächelte flüchtig.

»Wir greifen an«, sagte er schlicht.

Einen Augenblick herrschte Totenstille, und man starrte ihn ungläubig an. Bevor jemand etwas erwidern konnte, hob er die Hand.

»Ein Angriff ist genau das, womit sie nicht rechnen werden - vor allem, wenn er nachts erfolgt. Ein schneller Vorstoß gegen eine Flanke wird sie, wenn er gut vorbereitet ist, verwirren und glauben machen, eine große Streitmacht habe sie angegriffen.

Dunkelheit und Verwirrung werden dazu beitragen, daß unsere wahre Stärke verborgen bleibt. Ein solcher Angriff wird ihre vorgeschobenen Posten rund um die Insel zurückholen. Ein kleiner Trupp kann sehr viel Lärm machen, ein paar Brände legen und sie stundenlang festhalten. Inzwischen kann die Stadt evakuiert werden.«

Einer der Räte schüttelte den Kopf.

»Einige Stunden werden nicht genügen, auch wenn Euer Plan tollkühn genug ist, um die Nordländer zu überraschen, junger Mann. Selbst wenn wir alle vierzigtausend von der Insel ans Südufer übersetzen könnten, müssen sie danach noch nach Tyrsis geführt werden - fast fünfzig Meilen Weg. Die Frauen und Kinder brauchen Tage für diese Entfernung, selbst unter normalen Bedingungen, und sobald der Feind entdeckt, daß Kern verlassen worden ist, wird er der Bevölkerung nach Süden folgen. Wir können nicht hoffen, schneller zu sein. Warum sollten wir es auch nur versuchen?«

»Ihr braucht nicht schneller zu sein«, sagte Menion sofort.

»Ihr bringt die Menschen nicht über Land nach Süden, sondern den Mermidon hinunter! Setzt sie in kleine Boote, auf Flöße, auf alles, was Ihr habt oder bis heute nacht bauen könnt. Der Mermidon reicht weit nach Callahorn hinein, bis zehn Meilen vor Tyrsis. Dort geht Ihr an Land und könnt bis Tagesanbruch die Stadt erreichen, lange bevor die schwerfällige Nordland-Armee Euch folgen kann.«

Der ganze Rat erhob sich wie ein Mann und schrie seine Zustimmung hinaus, erfaßt vom Feuer und der Entschlossenheit des jungen Hochländers. Wenn es irgendeine Möglichkeit gab, die Bewohner von Kern zu retten, sogar wenn die Insel selbst den feindlichen Horden überlassen werden mußte, dann hatte man die Pflicht, es zu versuchen. Der Rat vertagte sich nach kurzer Besprechung, um die arbeitende Bevölkerung zu organisieren.

Von jetzt bis zum Einbruch der Dunkelheit sollten alle, die dazu fähig waren, beim Bau großer Holzflöße helfen, auf denen jeweils mehrere hundert Menschen Platz hatten. Es gab bereits Hunderte von kleinen Booten rings um die Insel, mit denen die Leute ans andere Ufer gelangt waren. Dazu kam noch eine Reihe größerer Fähren, die man ebenfalls einsetzen konnte. Menion empfahl, der Rat möge die bewaffneten Soldaten der Stadt als Streifen am Ufer einsetzen, damit niemand die Insel verlasse. Alle Einzelheiten der geplanten Massenflucht mußten so lange wie möglich geheimgehalten werden. Die größte Sorge Menions war es, daß jemand sie dem Feind verriet, bevor sie Gelegenheit hatten, zu handeln. Jemand hatte Shirl in ihrem eigenen Haus überfallen, sie aus der dichtbevölkerten Stadt gebracht und den Trollen übergeben - eine Aufgabe, die von keinem zu bewältigen gewesen wäre, der nicht mit der Umgebung vertraut war. Wer diese Person auch sein mochte, sie war frei und unentdeckt geblieben.

Wenn sie die Einzelheiten des Evakurierungsplanes erfuhr, mochte sie versuchen, die Nordland-Armee zu warnen.

Der Rest des Tages verging für Menion sehr schnell. Für den Augenblick waren Shea und seine Begleiter der letzten Wochen vergessen. Zum ersten Mal, seitdem Shea ihn im Hochland aufgesucht hatte, stand der Prinz von Leah vor einem Problem, das er voll und ganz begriff, das Fähigkeiten verlangte, die er einzusetzen wußte. Der Feind war nicht länger der Schädelkönig oder seine Geisterwesen, der Feind war aus Fleisch und Blut - Wesen, die nach denselben Regeln wie andere Menschen lebten und starben und deren Drohung der Hochländer verstand. Vor allem kam es auf die Zeit an, und er stürzte sich entschlossen in die Arbeit, eine ganze Stadt zu retten.

Gemeinsam mit den Räten überwachte er den Bau der riesigen Holzflöße, mit denen die Mehrheit der belagerten Bevölkerung auf dem noch immer angeschwollenen Mermidon nach Tyrsis gebracht werden sollte. Bestiegen werden sollten sie am Südwestufer, unmittelbar unterhalb der Stadt. Es gab eine breite, aber gut geschützte Bucht, von der aus die Flöße und kleineren Boote im Schutz der Dunkelheit ablegen konnten. Dem Einschnitt unmittelbar gegenüber standen am anderen Ufer niedrige Hügel, die bis zum Wasser hinabreichten. Menion glaubte, eine Handvoll Männer könne den Fluß überqueren, wenn der Hauptangriff auf das feindliche Lager in der Nacht begann, und den kleinen Vorposten überwältigen. Danach konnten die Flöße und Boote ablegen und sich von der Strömung flußabwärts tragen lassen, dem Südarm des Mermidon nach Tyrsis folgend.

Wenn der Himmel bewölkt blieb, wenn die vorgeschobenen Posten zurückgezogen wurden, sobald die Attacke begann, wenn die Menschen auf ihren Flößen still blieben, mochte die Evakuierung gelingen.

Aber am späten Nachmittag hörte der Regen ganz auf, und die Wolken rißen auf, so daß man schmale, blaue Streifen Himmel erkennen konnte. Der Sturm zog ab, und es hatte den Anschein, als werde der Nachthimmel wolkenlos sein und das Land unter dem entlarvenden Licht des Mondes und Tausender heller Sterne liegen. Menion saß in einem der kleineren Räume des Ratsgebäudes, als er sah, wie es aufklarte, und seine Aufmerksamkeit wurde von der großen Landkarte auf dem Tisch vorübergehend abgelenkt.