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Neben ihm standen zwei Angehörige der aufgelösten Grenzlegion, Janus Senpre, ein Oberstleutnant, und ein grauhaariger alter Soldat namens Fandrez. Der letztere kannte das Land rund um Kern besser als jeder andere und war hinzugezogen worden, um den Angriffstrupp zu beraten. Senpre, sein Vorgesetzter, war für seinen Rang überraschend jung, aber ein tüchtiger, entschlossener Offizier, der ein Dutzend Dienstjahre hinter sich hatte. Er war ein begeisterter Anhänger Balinors und hatte, wie Menion, erschrocken auf die Tatsache reagiert, dass von Tyrsis keine Nachricht über das Eintreffen des Prinzen gekommen war. Früher am Nachmittag hatte er zweihundert erfahrene Soldaten aus der dezimierten Legion ausgesucht, um mit ihnen das feindliche Lager anzugreifen.

Menion hatte seine Hilfe angeboten, die man dankbar annahm.

Der Hochländer war noch immer zerschlagen von seinen Strapazen, weigerte sich aber, bei den zu Evakuierenden zu bleiben.

Flick hätte seine Beharrlichkeit als ein unvernünftiges Gemisch von Halsstarrigkeit und Stolz abgetan, aber Menion Leah wollte nicht vergleichsweise ungefährdet auf der Insel bleiben, während am anderen Ufer ein Gefecht stattfand.

»Diese Stelle - hier bei der Spinn-Barre -, da muß die Landung erfolgen«, knurrte Fandrez und unterbrach Menions Gedankengänge.

Janus Senpre nickte und sah Menion fragend an. Der Hochländer stimmte zu.

»Man wird hier bei der Sandbank überall Posten aufgestellt haben«, sagte Menion. »Wenn wir sie nicht sofort überwältigen, könnten sie uns den Rückweg abschneiden.«

»Ihr müßt sie von dort fern - und den Weg freihalten«, sagte der Offizier.

Menion wollte etwas einwenden, kam aber nicht zu Wort.

»Ich weiß Euren Wunsch zu schätzen, uns zu begleiten, Menion, aber wir müssen viel schneller sein als der Feind, und Eure Füße sind noch nicht in der Verfassung, längere Anstrengungen zu ertragen. Das wißt Ihr so gut wie ich. Also übernehmt Ihr die Uferpatrouille. Haltet uns den Weg zu den Booten offen, damit leistet Ihr uns einen größeren Dienst, als wenn Ihr mit uns kommen würdet.«

Menion nickte langsam, trotz seiner Enttäuschung. Er hatte den Angriff mit anführen wollen. In einem Winkel seines Gehirns hegte er noch immer die Hoffnung, Shea als Gefangenen im feindlichen Lager zu finden. Er dachte an Allanon und Flick.

Vielleicht hatten sie den jungen Talbewohner entdeckt, wie Allanon es versprochen hatte. Er schüttelte traurig den Kopf.

Die Besprechung endete bald danach, und Menion Leah verließ bedrückt und verbittert den Raum. Fast ohne es zu merken, ging er die Steintreppen hinunter und lief durch die Straßen zurück zu Shirls Haus. Wohin sollte das alles führen? dachte er. Die Bedrohung durch den Dämonen-Lord hing über ihnen wie eine schwarze, unheimliche Wolke. Wie konnten sie jemals hoffen, ein Wesen zu besiegen, das keine Seele besaß - ein Wesen, das nach Gesetzen lebte, die der Welt, in der Menion geboren war, zur Gänze fremd waren?

Er stand plötzlich vor dem Ravenlock-Haus. Die schweren Türen waren geschlossen, die Metallbänder wirkten kalt und frostig im grauen Nebel, der sich langsam auszubreiten begann.

Er ging auf dem mit Platten ausgelegten Weg in den kleinen Garten.

Von Laub und Blumen tropfte noch der Regen, der Boden war weich und naß. Er stand versonnen da und gab für Augenblicke der Verzweiflung nach. So allein war er sich noch nie vorgekommen, nicht einmal in der dunklen Leere des Hochlands von Leah, wenn er fern von seinem Heim und allen Freunden auf der Jagd gewesen war. Eine dumpfe Stimme in ihm sagte, er werde nie mehr dorthin zurückkehren, woher er gekommen war, er werde Freunde, Heimat, Familie nie wiedersehen. Auf irgendeine Weise hatte er in den vergangenen Tagen alles verloren. Er schüttelte den Kopf und drängte die aufsteigenden Tränen zurück.

Auf den Steinplatten näherten sich plötzlich Schritte, und eine kleine, zierliche Gestalt trat zu ihm, mit großen Augen, die ihn anblickten und dann über den Garten hinwegschweiften. Sie standen lange Zeit stumm nebeneinander, und es war, als sei die übrige Welt ausgesperrt. Am Himmel drängten neue, riesige Wolken heran und verhüllten das letzte Blau des Himmels. Es wurde dunkel, und der Regen begann erneut auf das belagerte Land herabzurauschen. Menion registrierte mit zerstreuter Erleichterung, daß die Insel Kern eine schwarze, mondlose Nacht erleben würde.

Es war weit nach Mitternacht, der Regen hatte ein wenig nachgelassen, aber der Nachthimmel war noch immer tiefschwarz und drohend, als Menion Leah erschöpft auf ein kleines, primitiv gebautes Floß stolperte, das am Südufer verankert war. Zwei schlanke Arme griffen nach ihm, als er zusammensank, und er blickte verwundert in die Augen Shirl Ravenlocks. Sie hatte auf ihn gewartet, wie versprochen, obwohl er sie angefleht hatte, mit den anderen zu gehen, sobald die Evakuierung begann. Zerschlagen und blutend, ließ er sich in einen noch halbwegs trockenen Mantel hüllen und an ihre Schulter ziehen, während sie in den nächtlichen Schatten kauerten und warteten.

Andere, die mit Menion zurückgekehrt waren, stiegen auf das Floß, gezeichnet von der Anstrengung, aber stolz auf den Mut und die Opferbereitschaft, die sie in dieser Nacht auf den Ebenen nördlich von Kern bewiesen hatten. Niemals hatte der Prinz von Leah solche Tapferkeit im Angesicht einer Übermacht gesehen.

Die wenigen Männer der Legion hatten das feindliche Lager so aufgestört, daß selbst jetzt noch, an die vier Stunden nach dem Beginn des Angriffs, dort völlige Verwirrung herrschte. Die Zahl der Feinde war unfaßbar groß gewesen- Tausende und Abertausende, durcheinander stürmend, auf alles einhauend, was sich bewegte, Tod und Verwundung sogar für die eigenen Reihen säend.

Sie waren getrieben worden von mehr als Angst oder Haß, nämlich von der unmenschlichen Macht des Dämonen-Lords, dessen unermeßliche Wut sie wie irrsinnige Wesen, die kein anderes Ziel kannten als Zerstörung, in den Kampf schleuderte. Und trotzdem hatten die Männer der Legion sie aufgehalten, zurückgeworfen und immer wieder angegriffen. Viele waren gefallen. Menion wußte nicht, was sein eigenes, armseliges Leben geschont hatte, aber es grenzte an ein Wunder, daß er nicht tot war.

Die Ankertaue wurden gelöst, und er spürte, wie das Floß, von der Strömung getrieben, auf den Fluß hinausglitt. Augenblicke später befanden sie sich in der Fahrrinne, lautlos stromabwärts gleitend, der ummauerten Stadt Tyrsis entgegen, wohin die Bewohner von Kern Stunden zuvor geflohen waren. Vierzigtausend Menschen, zusammengedrängt auf Riesenflößen, in kleinen Booten, sogar in Zweimannkähnen, waren unentdeckt aus der belagerten Stadt entkommen, als die feindlichen Posten am Westufer des Mermidon sich hastig ins Hauptlager zurückbegeben hatten, wo ein Großangriff durch die vereinigten Armeen Callahorns im Gange zu sein schien. Das Klatschen des Regens, das Rauschen des Flusses und das Geschrei aus dem fernen Lager hatten die gedämpften Laute der Menschen übertönt, die, zusammengepfercht auf ihren schwankenden Untersätzen, entschlossen den Weg in die Freiheit einschlugen. Die Dunkelheit des bewölkten Himmels hatte sie verborgen, ihr Mut sie aufrechterhalten.

Zumindest vorerst waren sie dem Dämonen-Lord entkommen.

Menion döste eine Weile und spürte nichts als ein leichtes Schwanken des Floßes, das der Strom rasch südwärts trug. Seltsame Träume durchzuckten ihn, dann drangen Stimmen zu ihm durch, zwangen ihn, schnell zu erwachen, und seine Augen wurden versengt von einem ungeheuren roten Schein, der die feuchte Luft ringsum erfüllte. Er kniff die Augen zusammen und stand auf, als der Nordhimmel sich mit rotem Leuchten verfärbte.

»Sie haben die Stadt angezündet, Menion!« sagte Shirls Stimme leise an seinem Ohr. »Sie verbrennen meine Heimat, den Ort, wo ich zu Hause war.«

Menion senkte den Kopf und griff nach Shirls Arm. Die Bewohner hatten flüchten können, aber die alte Stadt Kern erlebte das Ende ihrer Tage und versank mit grandioser Pracht in Asche.