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Stenmin hatte sich in einer Beziehung verrechnet, als er dafür gesorgt hatte, daß Balinor und Eventines Vettern eingesperrt wurden. Sein ursprünglicher Plan war einfach genug gewesen.

Hauptmann Sheelon war festgenommen worden, unmittelbar nachdem er mit Balinor gesprochen hatte, um zu verhindern, daß er die Anweisungen des Prinzen ausführte. Mit Balinor, den Elfen-Brüdern und den engen Freunden des Prinzen, Acton und Messaline, im Gefängnis, schien gesichert zu sein, daß es in der Stadt keine Probleme mehr geben würde. Man hatte bereits ausgestreut, daß Balinor zu einem kurzen Besuch eingetroffen und schon wieder fortgegangen sei, um sich erneut mit Allanon zu treffen, mit jenem Mann, der, wie Stenmin bezeugt hatte, ein Gegner und eine Bedrohung des Landes Callahorn war. Sollten andere Freunde Balinors auftauchen und Zweifel an den Behauptungen äußern, würden sie wohl zuerst in den Palast gehen, um mit Palance zu sprechen, und es würde ein leichtes sein, auch sie unbemerkt verschwinden zu lassen. Zweifellos wäre das bei fast allen möglich gewesen, nur eben nicht bei Höndel. Der schweigsame Zwerg kannte Stenmins tückische Art gut genug und argwöhnte, daß es dem hageren Mystiker gelungen war, den verstörten Palance völlig in die Hand zu bekommen. Höndel dachte nicht daran, sich offen zu zeigen, bevor er herausgefunden hatte, was mit seinen vermißten Begleitern geschehen war.

Was ihn nach Tyrsis geführt hatte, war eine sonderbare Entwicklung.

Nachdem er sich im Wald nördlich der Festung von Balinor und den Elfen verabschiedet hatte, war er entschlossen gewesen, sofort nach Varfleet zu gehen und von dort aus den Rückweg nach Culhaven anzutreten. In seinem eigenen Land angelangt, wollte er bei der Mobilisierung der Zwergenarmeen helfen, um die südlichen Gebiete des Anar gegen die Invasion des Dämonen-Lords zu verteidigen. Er war die ganze Nacht durch die Wälder nördlich von Varfleet gewandert und hatte am Morgen die Stadt erreicht, um auf der Stelle alte Freunde aufzusuchen und sich nach einem kurzen Gespräch schlafen zu legen. Bis er wach wurde, war es Nachmittag, und nachdem er sich gewaschen und gegessen hatte, wollte er den Weg nach Hause antreten. Er war noch nicht an den Stadttoren, als ein erschöpfter Trupp von Zwergen durch die Straßen wankte und verlangte, sofort vor den Rat geführt zu werden. Höndel begleitete sie und fragte einen der Zwerge aus. Zu seinem Schrecken erfuhr er, daß eine mächtige Armee von Trollen und Gnomen vom Gebirge her direkt auf Varfleet zumarschierte und in den nächsten Tagen zuschlagen werde. Die Zwerge gehörten zu einer Patrouille, der es gelungen war, die Armee zu entdecken, und die versucht hatte, die Südländer zu warnen. Bedauerlicherweise waren sie entdeckt worden, und bei einem Gefecht hatten die meisten von ihnen den Tod gefunden.

Nur der kleine Trupp hatte die ahnungslose Stadt zu erreichen vermocht.

Höndel wußte, daß eine noch größere Streitmacht gegen Tyrsis unterwegs sein mußte, wenn eine andere Armee sich Varfleet näherte. Er war überzeugt davon, daß der Geister-Lord die Städte Callahorns mit einem Streich niederwerfen wollte, um sich den Zugang zum ganzen Südland zu öffnen. Höndels erste Pflicht war es, sein eigenes Volk zu warnen, aber der Weg nach Culhaven erforderte zwei Tage, der Rückweg natürlich ebenso viele.

Er kam schnell dahinter, daß Balinor sich in der Meinung getäuscht hatte, sein Vater sei noch der König. Wenn Balinor von seinem eifersüchtigen Bruder getötet oder eingesperrt worden war, den der bösartige Stenmin immer mehr anstachelte, bevor Balinor den Thron übernehmen und die Grenzlegion unter sein Kommando stellen konnte, war Callahorn zum Untergang verurteilt.

Jemand mußte zu dem Prinzen gelangen, bevor es zu spät war, und niemand anderer als Höndel stand zur Verfügung. Allanon suchte das Nordland noch immer nach dem vermißten Shea ab, begleitet von Flick und Menion Leah. Er traf seine Entscheidung schnell und befahl einem der erschöpften Zwerge, noch in dieser Nacht nach Culhaven zurückzueilen. Was immer auch sonst geschehen mochte, die Ältesten der Zwergennation würden erfahren, daß die Invasion des Südlandes begonnen hatte und die Zwergenarmeen Varfleet zu Hilfe kommen mußte. Die Städte Callahorns durften nicht fallen, oder Allanons schlimmste Befürchtungen würden sich bewahrheiten. Wenn das Südland erobert wurde, lag ein Keil zwischen den Zwergen- und den Elfenarmeen, und der Dämonen-Lord konnte sich seines Sieges über alle Länder sicher sein. Der Zwerg versprach Höndel hoch und heilig, sich umgehend auf den Weg zu machen und auch seine Kameraden mitzunehmen.

Höndel brauchte viele Stunden, um nach Tyrsis zurückzugelangen.

Der Weg war gefährlich, da es in den Wäldern von Gnomenjägern wimmelte, deren Aufgabe es war, jede Verständigung zwischen den Städten Callahorns zu unterbinden. Mehr als einmal hatte Höndel sich verbergen müssen, bis eine große Patrouille vorbeigezogen war, und immer wieder sah er sich gezwungen, weite Umwege zu machen. Das Netz der Vorposten war viel enger als in den Drachenzähnen, für den erfahrenen Granzlandkämpfer ein Beweis dafür, daß der Angriff kurz bevorstand.

Wenn die Nordländer Varfleet in den nächsten Tagen angreifen wollten, würde auch Tyrsis mit einer Attacke zu rechnen haben. Die kleinere Inselstadt Kern mochte bereits gefallen sein. Es wurde Tag, bis es dem Zwerg gelang, die letzte Postenkette zu durchbrechen und die Ebenen oberhalb von Tyrsis zu erreichen.

Erbetrat die erwachende Stadt Tyrsis, unauffällig in der Mitte einer Schar von Händlern und Reisenden. Stundenlang wanderte er durch die fast verlassenen Kasernen der Grenzlegion, sprach mit Soldaten und suchte Hinweise auf seine Freunde. Endlich konnte er in Erfahrung bringen, daß sie vor zwei Tagen abends erschienen und direkt zum Palast gegangen seien. Man habe sie nicht wieder auftauchen sehen, aber man nehme allgemein an, Balinor habe nur kurz seinen Vater besucht und sei dann wieder fortgegangen. Höndel wußte, was das bedeutete, und postierte sich für den Rest des Tages in der Nähe des Palastbereiches. Er bemerkte, daß der Palast gut bewacht wurde, von Soldaten mit dem Abzeichen eines Falken, das er nicht kannte. Sie standen an den Haupttoren und in der ganzen Stadt, und andere Einheiten schien es offenbar nicht zu geben. Selbst wenn er Balinor am Leben fand und ihn zu befreien vermochte, würde es nicht einfach sein, die Herrschaft über die Stadt wiederzuerlangen und die Grenzlegion zusammenzurufen. Der Zwerg hörte nichts von einer Invasion aus dem Norden, und es hatte ganz den Anschein, daß die Bevölkerung völlig ahnungslos war. Höndel konnte nicht begreifen, daß Palance Buckhannah sich weigerte, die Stadt gegen eine so ungeheuerliche Bedrohung wie jene durch den Dämonen-Lord zu verteidigen. Wenn Tyrsis fiel, würde der jüngere Sohn Ruhl Buckhannahs keinen Thron mehr besitzen. Höndel betrachtete das Gelände im Volkspark unter der Brücke von Scendicgenau, und als es dunkel wurde, setzte er seinen Plan in die Tat um.

Er blieb nun in dem dunklen Raum kurz stehen, um das Fenster fest zu schließen. Er befand sich in einem kleinen Arbeitszimmer.

An den Wänden standen gefüllte Bücherregale. Es war die Privatbibliothek der Buckhannah-Familie, ein Luxus in diesen Zeiten, da kaum noch Bücher geschrieben wurden und nur wenige lesen konnten. Die Großen Kriege hatten jede Art von Literatur nahezu beseitigt. Eine Privatbibliothek zu besitzen, mit Hunderten von Bänden, und sie lesen zu können, war ein Vorzug, den nur wenige genossen.

Aber Höndel befaßte sich nicht mit dem Raum, als er auf katzenleisen Sohlen zur Tür schlich, unter der er einen Lichtschein erkannte. Vorsichtig starrte der Zwerg hinaus. Niemand zeigte sich, aber er sah plötzlich ein, daß er sich über den nächsten Schritt noch keine genauen Gedanken gemacht hatte. Balinor und die Elfen mochten überall im Palast sein. Nachdem er sich schnell die Alternativen überlegt hatte, kam er zu dem Schluß, daß sie, wenn sie noch am Leben waren, in den Kellern unter dem Palast eingeschlossen sein mußten. Dort gedachte er zuerst zu suchen. Er lauschte noch einen Augenblick, atmete tief ein und trat dann in den beleuchteten Korridor hinaus.