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Auch der neue Zweite Steuermann, ein gewisser Jed Cooper, war nicht ganz nach Hansens Geschmack. Sein schiefes Gesicht hatte etwas Verschlagenes, Hinterlistiges an sich. Auch in diesem Augenblick, wo er auf der Back stand und ein prüfendes Auge auf die Schleppleinen warf, kam es dem Kapitän so vor, als brüte Coopers fliehende Stirn irgendeine Untat aus.

»Hauptsache, die schwere Ladung zieht Ihr Schiff nicht auf den Meeresgrund, Käpten«, grinste der blauuniformierte Soldat, der neben Hansen und Weisman stand.

Die fast heitere Stimmung des jungen, breitschultrigen Marineoffiziers war dem Kapitän der ALBANY reichlich suspekt.

Sie waren in geheimer Mission unterwegs, um die eigentlich für die Konföderierten bestimmten Geschütze an ein Ziel zu bringen, das nicht einmal Hansen kannte. Trotz aller nötiger Geheimhaltung schien es Driscoll nicht zu kümmern, daß die schwere Ladung der ALBANY den Verdacht von zufälligen oder bewußten Beobachtern erregen konnte. Ebenso wie die blauen Uniformen an Deck.

Hansen hatte Driscoll darauf hingewiesen. Der Captain der Vereinigten Staaten hatte brüsk geantwortet, die militärische Seite des Unternehmens ginge ihn nichts an.

So boten sich alle zehn Blauuniformierten der Öffentlichkeit feil.

Gerade das Gegenteil von dem, was Hansen, wäre es nach ihm gegangen, angeordnet hätte.

Außer Driscoll befanden sich noch acht Marine-Infanteristen unter dem Kommando eines blutjungen Lieutenants namens Palmer an Bord. Anläßlich des Auslaufens hatte Palmer seine Männer unter dem Sternenbanner antreten lassen.

Sie tun alles, um aufzufallen, wo ihnen doch am Gegenteil gelegen sein müßte! dachte der Kapitän mit leichtem Kopfschütteln.

Ihm war unwohl zumute bei dem Gedanken an die bevorstehende Fahrt.

Fast noch unwohler als vor einigen Wochen beim Verlassen des Hamburger Hafens. Damals hatte Arnold Schelp ihn für seine Zwecke benutzt, wenn auch mit Hansens Wissen.

Jetzt benutzte ihn das Yankee-Militär, das wußte er. Aber er wußte nicht, wozu!

Vielleicht war das der Grund für sein Unwohlsein: die bohrende Ungewißheit!

Ein Kapitän, der das Ziel seines Schiffes nicht kannte, mußte sich einfach Sorgen machen.

In tiefen Zügen atmete er die salzige Meeresluft ein. Er hoffte, sie würde die Sorgen ein bißchen vertreiben.

Spätestens dann, wenn die ALBANY aus der San Francisco Bay heraus war.

Aber er täuschte sich.

Auch als der Schleppdampfer längst mit der dünnen Linie des Horizonts verschmolzen und seine schwarze Rauchwolke nur noch eine bloße Ahnung war, als der Dreimaster von der natürlichen Kraft des Windes, der in sein Segelwerk blies, durch die Wellen des Pazifischen Ozeans getragen wurde, wurde Piet Hansens Herz nicht leichter.

Lag es nur an der Ungewißheit?

Oder auch an dem seltsamen Blick, mit dem Jed Cooper alles und jeden an Bord musterte?

*

Etwa zehn Seemeilen südwestlich, an Bord der LUCIFER.

»Eins!« zählte der kugelbäuchige Frenchy laut und mit Freuden.

Gebannt hingen die Blicke der versammelten Mannschaft an der rechten Hand des Ersten Steuermanns. Diese schwang die Fischbeinpeitsche in einer eleganten Bewegung, die verriet, wie geübt Cyrus Stanford im Gebrauch des Instruments war.

Jacob hielt es für überaus wahrscheinlich, daß Kapitän Raven ihm stets das Auspeitschen renitenter Besatzungsmitglieder übertrug. Und er hielt es für nicht minder wahrscheinlich, daß an Bord der LUCIFER eine Menge Männer so bestraft wurden.

Es war eine gute Lektion für die Shanghaiten und auch für die anderen Seeleute. Gleich am Beginn der Reise wurde ihnen klargemacht, was ihnen bevorstand, wenn sie nicht spurten: eine gefürchtete und harte Strafe.

Sehr hart!

Das spürte Jacob schon beim ersten Schlag.

Er hätte laut schreien mögen vor Schmerz, wollte Stanford und Frenchy aber den Triumph nicht gönnen. Also biß er die Zähne zusammen und ließ nur ein unterdrücktes Stöhnen hören.

Aber das heftige, krampfartige Aufbäumen seines mit Händen und Füßen in die Unterwanten des Großmastes gebundenen Körpers war ebenso deutlich wie ein lauter Schrei.

»Das war erst der Anfang, du Ratte!« raunte Stanford in Jacobs Ohr und umhüllte dabei den Delinquenten mit einer unsichtbaren Wolke von Fäulnis, die dem Mund mit den vom vielen Tabakkauen dunkelbraun gewordenen Zähnen entströmte. »Frenchy und ich werden es hübsch langsam machen, damit du es genießen kannst!«

»Lieber nicht«, grinste Jacob ihn mit über die nackte Schulter gedrehtem Kopf frech an. »Länger als eine Minute kann ich deinen erbärmlichen Gestank nicht ertragen. Mit was spülst du dir den Mund, mit Kloakenwasser?«

»Du Hund!« zischte der Steuermann.

Sein zweiter Schlag war von seinem Zorn geführt. Er sah gefährlich aus, weil Stanford diesmal weiter ausholte. In Wahrheit aber war er nicht so gut plaziert und daher weniger schmerzhaft als der erste. Genau das hatte Jacob mit seiner gezielten Beleidigung beabsichtigt.

Für die um den Großmast versammelte Mannschaft des Walfängers aber sah es besonders brutal aus. Entsprechend bedachten sie den zweiten Schlag mit erregten Ausrufen und aufgerissenen Augen - sei es vor Schreck oder aus Sensationsgier. Jacob las beides in den Augen der Männer.

Es waren viele Männer, bestimmt an die hundert. Was ihn verwunderte. Für einen Walfänger dieser Größe hätte er weniger als die Hälfte für ausreichend erachtet. Aber er mochte sich irren, schließlich war er kein Seemann.

»Drei!« gellte Frenchys Stimme über Deck.

Der dritte Schlag war wieder wohlüberlegt und sehr schmerzhaft. Noch schmerzhafter als der erste, fand Jacob. Wahrscheinlich verstand Stanford es gut, seine Fischbeinpeitsche so zu führen, daß sich der Schmerz von Schlag zu Schlag steigerte.

Die folgenden Schläge bestätigten diese Überlegung auf für Jacob sehr unangenehme Weise.

Er versuchte sich dadurch abzulenken, daß er in die fremden Gesichter sah.

Den meisten Gesichtern waren einige Dinge gemeinsam: Sie waren noch jugendlich, und trotzdem hatte die brennende Sonne ihre Haut zu Leder werden lassen und der scharfe Wind tiefe Falten in sie gegraben.

Gesichter, Kleidung und vor allem Gesprächsfetzen, die durch den seine Sinne allmählich betäubenden Schmerzschleier zu ihm herüberwehten, zeigten Jacob, daß die Mannschaft aus den unterschiedlichsten Nationalitäten zusammengewürfelt war.

Er hörte holländische, französische, spanische und russische Wörter, verstand aber den Sinn der meisten nicht.

Und er sah exotische Gesichter, die ihn an die Indianer erinnerten, die er auf dem langen Treck nach Oregon und auf dem Weg zur Pazifikküste kennengelernt hatte. Viele Neger. Andere Mienen waren unverkennbar asiatisch.

»Fünfzehn!«

Wieder fraß sich die schlanke Gerte in Jacobs Fleisch. Diesmal war es ein Gefühl wie heißes, flüssiges Metall, das über seinen von blutigen Striemen überzogenen Rücken gegossen wurde.

Und diesmal konnte der Gepeinigte nicht verhindern, daß ein lauter, langer Schrei über seine Lippen drang. Sein Verstand wollte den Schrei nicht ausstoßen, doch sein gemarterter Körper gehorchte nicht länger.

Er war zu schwach, um Frenchy und Stanford anzublicken. Er wollte es auch gar nicht. Er konnte sich die Befriedigung nur zu gut vorstellen, die sich jetzt auf ihren Mienen abzeichnete.

Durch den Schleier vor seinen Augen, der alles verschwommen wirken ließ, suchte er den Blickkontakt zu den anderen Shanghaiten, die noch immer ihre Handfesseln trugen. Hier fand er Mitgefühl.

Nur Elihu Browns bärtiges Gesicht fehlte. Trotz seiner Bärenkräfte war der Harpunier durch Stanfords >Bestrafung< zu sehr geschwächt, um an Bord zu erscheinen.