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Sein rötlich schimmerndes Auge musterte jeden von ihnen eingehend und heftete sich anschließend so eindringlich auf Petrov, daß der Pockennarbige unwillkürlich einen Schritt zurück machte. Bis ihn ein festgezurrter Kistenstapel in seinem Rücken aufhielt.

»Mr. Stanford und Frenchy haben also geschossen«, brummte Raven nachdenklich. Laut und schnell fragte er dann: »Warum?«

Die Frage traf Petrov wie ein Stück heißes Blei.

»Weil. weil die Gefangenen gemeutert haben«, stotterte er.

»Und wen wollten Sie mit Ihrem Prügel treffen, Mr. Petrov?«

»Den da!« Die zitternde Linke des Pockennarbigen zeigte auf Jacob. »Er hat Mr. Stanford und Frenchy angegriffen und zu Boden geschleudert.«

Die buschige schwarze Braue über dem Auge des Kapitäns hob sich vor Erstaunen, während das Auge auf Jacob ruhte.

»Der Mann hat das getan?« vergewisserte sich Raven.

»Aye, Käpten.«

Petrov nickte beflissen.

»Aber er ist doch gefesselt!« stieß Raven überrascht hervor. »Er kann seine Hände nicht bewegen!«

Sein jetzt wieder auf Petrov gerichtetes Auge machte klar, daß er eine Erklärung von dem Untergebenen erwartete.

Was der Pockennarbige herausbrachte, klang kläglich. Sowohl inhaltlich als auch in Bezug auf seine zitternde Stimme. Anscheinend war er sich bewußt, daß er und seine beiden Begleiter im Auge des Kapitäns ein jämmerliches Bild abgaben.

»Aye, Sir, er ist gefesselt.«

»Dann muß er entweder ein besonders mutiger oder ein besonders verrückter Mann sein«, stellte John Raven mit einer gewissen Anerkennung in der Stimme fest.

»Weder noch«, sagte Jacob, während er seinen Oberkörper mühsam aufrichtete und gegen ein großes Faß lehnte. »Ich sehe nur nicht gern dabei zu, wie ein wehrloser Mann in Fetzen geschlagen wird!«

Ravens Auge wanderte weiter zu dem unentwegt stöhnenden Elihu Brown.

»Ein Freund von dir?«

»Nein. Ich habe ihn erst hier kennengelernt. Ich hätte es für jeden getan.«

»Nein, Käpten!« verbesserte John Raven den shanghaiten Mann und blickte ihn auffordernd an.

»Nein, Käpten«, keuchte Jacob, während er gegen eine neue Schmerzwelle aus seiner Schulter ankämpfte.

Raven wandte sich wieder an Petrov und fragte, was sich abgespielt hatte.

Der Pockennarbige antwortete wahrheitsgetreu.

Jacob spürte den Blick des blutunterlaufenen Auges auf sich und hörte auch schon die Frage des Kapitäns: »Wie heißt du?«

»Jacob Adler. Käpten.« »Holländer?«

»Deutscher, Käpten.«

»Hast du der Aussage des Steuermannsmaates Petrov etwas hinzuzufügen, Adler?«

»Nein, Käpten. Genauso hat es sich abgespielt.«

Raven seufzte kaum hörbar und fragte: »Adler, kennst du das schwerste Verbrechen auf See?«

»Ich bin kein Seemann.«

»Meuterei!« Ravens ausgezehrte Züge verhärteten sich. »Wenn ein Kapitän sich nicht auf den unbedingten Gehorsam seiner Untergebenen verlassen kann, sind alle in Gefahr: Offiziere, Mannschaften und das Schiff. Deshalb ist es die oberste Aufgabe eines Kapitäns und seiner Offiziere, jeden Anflug von Meuterei rigoros zu ersticken. Genau das hat Mr. Stanford getan, als er diesen Aufrührer bestrafte. Und indem du dich gegen den Ersten Steuermann meines Schiffes wandtest, Adler, hast du dich ebenfalls der Meuterei schuldig gemacht!«

»Meuterei?« kreischte Jacob entrüstet. »Meutern können nur Ihre Seeleute, Käpten. Aber dazu gehören weder Mr. Brown noch ich. Wir wurden entführt und an Bord Ihres Schiffes verschleppt.«

Raven legte den schmalen Kopf ein wenig schief.

»Du gibst also zu, dich an Bord meines Schiffes zu befinden, Adler?«

Jacob zog die Stirn in Falten. Er verstand den Sinn der Frage nicht.

»Natürlich, Käpten. Warum sollte ich die Tatsachen leugnen?«

»Dann gibst du gleichfalls zu, ein Meuterer zu sein!« Das war keine Frage, sondern eine Feststellung des Kapitäns. »Auf diesem Schiff reisen keine Passagiere, nur der Kapitän und seine Mannschaft. Da du dich an Bord der LUCIFER befindest und ich ihr Kapitän bin, gehörst du zwangsläufig zur Mannschaft, Adler. Und damit fällt dein Verhalten unzweifelhaft unter den Begriff der Meuterei!«

Ein dünnes, kaltes Lächeln umspielte Ravens Lippen. Nur im linken Mundwinkel, nahe der großen Narbe, blieben die Lippen unbewegt.

»Dieser Brown hat seine Strafe bereits erhalten«, fuhr der Kapitän fort. »Mit dir will ich nachsichtig sein, Adler. Ich halte dir deine Erregung und Unerfahrenheit zugute. Aber natürlich muß ich ein abschreckendes Exempel statuieren, um die anderen Männer von einer möglichen Nachahmung abzuhalten. Ich denke, fünfundzwanzig Peitschenhiebe auf den nackten Rücken sollten genügen.«

Raven wandte sich an seinen Ersten Steuermann, der sich gerade vom Boden erhob und seine schmerzende Stirn rieb.

»Mr. Stanford, sind Sie bereit, das Urteil an dem Besatzungsmitglied Adler zu vollstrecken?«

Ein böses Glitzern trat in Stanfords Augen.

»Aye, Käpten, mit dem größten Vergnügen.«

»Gut«, nickte der Mann mit der Augenklappe. »Dann schaffen Sie den Delinquenten an Bord und rufen Sie die gesamte Mannschaft zusammen!«

*

San Francisco, am selben Vormittag.

Daß sich der Dreimastsegler ALBANY zum Auslaufen bereitmachte, fiel in dem überfüllten Hafen der überfüllten Stadt am Golden Gate kaum auf.

In den frühen Morgenstunden hatten immer wieder Wagen auf dem Kai gehalten, um Kisten und Fässer mit Proviant abzuladen. Jetzt, rechtzeitig zur Flut, war alles verstaut.

Eine Dampfbarkasse hatte sich vor die schwere Bark gesetzt, in deren Bauch stählerne Geschütze und die dazugehörige Munition lagerten.

Quietschend drehte sich die Ankerwinde der ALBANY, und die schwere Ankerkette rasselte nach oben.

Zwischen dem kleinen Seitenraddampfer und dem gegen ihn mächtig wirkenden Segler wurden Signale ausgetauscht. Klar zum Auslaufen, lautete die Botschaft von der ALBANY.

Die Dampfpfeife des Schleppers tutete unternehmungslustig, und die beiden Schaufelräder begannen sich zu drehen, wühlten das brackige Hafenwasser auf.

Erst sah es aus wie ein hoffnungsloses Unterfangen. Die dicken Schleppleinen, die beide Wasserfahrzeuge miteinander verbanden, spannten sich zwar, aber sonst tat sich nichts. Trotz der gewaltigen schwarzen Rauchfahne, die der Dampfer jetzt ausstieß, schien ihn das immer schnellere Drehen der Schaufelräder nicht von der Stelle zu bringen.

War für ihn die Fracht zu schwer, die im Bauch der ALBANY lagerte?

Da ging ein Ruck durch den hölzernen Rumpf des Dreimasters. In majestätisch wirkender Langsamkeit glitt er an der Vielzahl von Schiffen vorbei, die in der großen Bucht vor Anker langen.

»Hat lange gedauert, bis sich die ALBANY bewegte«, brummte Piet Hansen. »Die gute alte Dame ist ziemlich schwer beladen.«

Er stand neben Joe Weisman, der das Steuer führte, auf dem Achterdeck.

Der gedrungene Deutsch-Amerikaner war vom Zweiten zum Ersten Steuermann aufgerückt, nachdem Georg Möller, der bisherige Erste, es vorgezogen hatte, in den Spelunken von Frisco oder irgendwo auf den Goldfeldern sein Glück zu versuchen.

Hansen war darüber nicht im mindesten gram. Der ehemalige Vertrauensmann des verbrecherischen Geschäftemachers Arnold Schelp war kein Schiffsoffizier gewesen, dem Hansen seinen Pott mit ruhigem Gewissen anvertraute.

Dumm war nur, daß so viele Männer das Weite gesucht hatten, um goldene Nuggets zu finden.

Die Männer, die Captain Levander Driscoll in aller Eile als Ersatz zusammengetrommelt hatten, war recht abgerissene Gestalten. Unter normalen Umständen hätte Hansen mindestens der Hälfte von ihnen den Eintrag in die Musterrolle verweigert. Aber aufgrund der gebotenen Eile, deren genauen Grund der alte Seebär nicht kannte, durfte man nicht wählerisch sein.