»Das ist Astaroth«, sagte Trautman mit einer Geste auf den Kater.
Mason ächzte. »Eine Katze?« keuchte er. »Sie wollen, daß wir uns der Führung einer Katze anvertrauen? Das ist nicht Ihr Ernst!«
»Er ist ein Kater, keine Katze«, sagte Mike hastig.
»Außerdem sieht er nur aus wie ein normaler Kater, keine Sorge. Er weiß genau, was er tut. « »Aber du anscheinend nicht, Junge«, sagte einer der beiden anderen Männer kopfschüttelnd. »Ich werde ganz bestimmt nicht -«
»Sie können ja hierbleiben«, unterbrach ihn Trautman grob. »Wir verschwinden jetzt jedenfalls. Astaroth
- los. «
Selbst Mike war über Trautmans barschem Ton ein wenig erstaunt, denn das war normalerweise gar nicht seine Art. Aber normalerweise befanden sie sich auch nicht inmitten einer Armee von zwei Meter großen Dinosauriern und von Echsenwesen, die nahe daran waren, sie zu entdecken und gefangenzunehmen. Ohne weiter auf die Proteste des Mannes zu achten, verließen sie das Zelt und kauerten sich in der schützenden Dunkelheit vor dem Eingang zusammen. Mike sah sich mit klopfendem Herzen um. Nur wenige Meter neben ihnen glomm die rote Glut eines vor noch nicht langer Zeit erloschenen Feuers in der Nacht, und er glaubte vage, ein paar langgestreckte Umrisse davor wahrzunehmen. Aber wenn es Dinosauroiden waren, so schliefen sie tief und fest. Wie es schien, hatten sie zumindest im Augenblick das Glück gepachtet. Leider schien es nur so.
Hinter ihm verließen Trautman, Singh und die anderen das Zelt. Als letzter folgte Annies Vater, auch er vollkommen lautlos und auf Händen und Füßen kriechend
-genauer gesagt, auf einer Hand und den Knien. In der anderen hielt er nämlich noch immer die Lampe. Und sie war noch immer eingeschaltet. Mike hatte das Gefühl, von einer eisigen Hand im Nacken berührt zu werden. Der Lichtkegel der Lampe, in der Dunkelheit gleißend und grell wie einer der großen Scheinwerfer der NAUTILUS, strich über Trautman und Singh, blendete für einen Moment Mike und riß kurz Astaroths schlichtweg entsetztes Katzengesicht aus der Dunkelheit, ehe Mason endlich begriff, was er tat, und die Lampe hastig ausschaltete. Natürlich war es zu spät. Einige der Schatten, die Mike bemerkt hatte, begannen sich träge zu regen, und nur eine halbe Sekunde später hörte er nun wirklich das, worauf er mit klopfendem Herzen die ganze Zeit gewartet hatte: einen schrillen, zischelnden Schrei, dessen Bedeutung ihm trotz all seiner Fremdartigkeit sofort klar war. »Los!« brüllte Trautman. »Lauft!«
Mike sprang mit einem Ruck auf die Füße und stürmte hinter Astaroth her, der vor ihnen im Zickzack durch das Lager schoß und ihnen den Weg wies. Die anderen folgten ihm dichtauf. Mike verschwendete keine Zeit damit, zu ihnen zurückzusehen, aber er hörte sehr wohl, daß es nicht nur ihre Schritte waren, die die bisherige Stille des Lagers durchbrachen. Von der Sicherheit ihres Baumes aus beobachtet, hatte das Lager schon groß ausgesehen. Jetzt schien es kein Ende zu nehmen. Astaroth schoß nach rechts, links, sprang einmal sogar mit einem gewaltigen Satz über ein erst halb erloschenes Feuer, und die Zelte flogen nur so an ihnen vorüber, aber so schnell sie auch rannten, schienen sie trotzdem kaum von der Stelle zu kommen. Immer mehr und mehr Schatten erfüllten die Nacht, und bald hallte das Flußufer von den zischelnden Schreien der Echsenwesen wider. Der Lärm ihrer Flucht mußte das gesamte Lager geweckt haben. Der einzige Grund, aus dem sie wahrscheinlich nicht schon in den ersten Sekunden eingeholt und überwältigt wurden, war wohl, daß sie auch für komplette Verwirrung sorgten. Aber früher oder später, das wußte Mike, würde ihre Flucht zu Ende sein.
Und als wäre das alles noch nicht genug, bemerkte Mike in diesem Moment etwas, was seine Sorge noch vertiefte. Astaroth bewegte sich nicht auf den Rand des Lagers zu, sondern im Gegenteil immer weiter vom Wald weg. Wohin um alles in der Welt brachte sie der Kater? Mike war plötzlich gar nicht mehr so sicher, daß Astaroth wirklich wußte, was er tat. Als er es schließlich begriff, war es zu spät. Mit einem Male waren keine Zelte mehr rings um sie herum. Das Lager der Dinosauroiden lag hinter ihnen - aber sie befanden sich nicht im Wald. Nicht einmal wirklich im Freien... Mike verspürte erneut einen eiskalten, lähmenden
Schrecken, als ihm endgültig klar wurde, welchen Weg aus dem Lager heraus Astaroth gefunden hatte. Der Kater hatte sie direkt in die Triceratops-Herde geführt!
Nicht alle Tiere schliefen. Die meisten waren wach und bewegten sich unruhig. Gewaltige, stachelgepanzerte Köpfe drehten sich in ihre Richtung, mißtrauische Blicke folgten ihnen, und Mike vernahm ein immer lauter werdendes Brummen und Rumoren, als erwache die ganze Herde gleich einem einzigen, gewaltigen Tier aus dem Schlaf. Und irgend etwas sagte ihm, daß sie nicht besonders erfreut auf die nächtliche Störung reagieren würden.
»Um Gottes willen!« keuchte Mason. Natürlich hatte auch er bemerkt, wo sie sich befanden, und Mike konnte trotz der Dunkelheit sehen, daß er leichenblaß geworden war. »Was - ?«
»Weiter!« unterbrach ihn Trautman. »Wir müssen weiter! Schnell!«
Aber Mason rührte sich nicht; ebensowenig wie seine drei Begleiter. »Das ist doch Wahnsinn!« keuchte er. »Sie werden uns tottrampeln!«
»Das werden sie nicht!« antwortete Trautman. »Aber wenn wir noch lange hier herumstehen, dann kriegen sie uns. « Er wies zurück auf das Lager, das sich mittlerweile in heller Aufregung befand. Dutzende, wenn nicht Hunderte der Echsenmänner bewegten sich in ihre Richtung, und die Nacht hallte wider von ihren zischelnden Stimmen. Aber Mike fiel auch auf, daß sich die Dinoiden längst nicht so schnell bewegten, wie sie es gekonnt hätten. Entweder, dachte er, konnten sie in der Nacht nicht besonders gut sehen... oder sie hatten Angst, ihnen in die Herde hinein zu folgen. Er verscheuchte den Gedanken. »Uns geschieht nichts«, sagte er. »Astaroth weiß, was er tut. Keine Angst. «
Er wartete ein Sekunde lang darauf, daß Astaroths Stimme in seinen Gedanken diese Behauptung bestätigte, aber der Kater schwieg. Auch das trug nicht unbedingt dazu bei, Mikes Sorge zu mildern. Trotzdem wandte er sich mit einem Ruck um und ging voran, und tatsächlich folgten ihm die anderen, wenn auch zögernd.
Tiefer und tiefer drangen sie in die gewaltige Herde ein. Sie trafen jetzt kaum mehr auf schlafende Tiere. Die allermeisten der geschuppten Giganten, denen sie begegneten, waren wach und verfolgten sie mit mißtrauischen Blicken, und zwei oder dreimal wurde auch zornig ein gepanzerter Schädel in ihre Richtung geschüttelt. Mike konnte die Verärgerung der Tiere regelrecht spüren. Sie reagierten aggressiv auf die Störung.
Sie dulden normalerweise keine Fremden in ihrer Mitte, sagte Astaroth unvermittelt. Er hatte wieder einmal Mikes Gedanken gelesen, aber diesmal war Mike fast froh darüber.
»Aber die Dinosauroiden -«
Betreten die Herde niemals, sagte Astaroth. Sie lenken und beschützen sie, aber sie gehen niemals hinein. Keine Angst, fügte er hastig hinzu, als er spürte, wie Mike erschrak. Ich glaube, ich kann sie beruhigen. »Du kannst mit ihnen sprechen?« entfuhr es Mike überrascht.
Nein, antwortete der Kater. Aber irgendwie... spüre ich, was sie fühlen. Und umgekehrt. Es ist kompliziert. Sie fühlen eure Angst.
Mike verstand nicht wirklich, was der Kater damit meinte, aber er hatte das Gefühl, daß der letzte Satz ungemein wichtig war. Doch er kam nicht dazu, Astaroth eine entsprechende Frage zu stellen, denn in diesem Moment trat Annies Vater neben ihn und legte ihm die Hand auf die Schulter.