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Ohne die Frachtsendung abzuwarten, bewilligte die Pariser Akademie der Wissenschaften in der Hoffnung auf reiche Funde 30000 Francs. Das Unternehmen war gerettet. An einem leuchtenden Novembermorgen gab ein Stein unter dem Tritt eines Ausgräbers nach, sackte langsam nach unten, hinterließ ein schwarzes gähnendes Loch im Boden und polterte mit donnerndem Echo in ein Gewölbe. Mariette wurde gerufen.

Aus der Öffnung kam ein kühler Luftstrom. Der Franzose legte sich auf den Bauch. »Halt mich an den Füßen fest, Bonnefoy!« Dann zwängte er sich durch die enge Öffnung. -»Hol einen Lumpen und Petroleum!« kommandierte er mit ungeduldigen Handbewegungen seinen Assistenten. Der mit

Petroleum getränkte Fetzen wurde angezündet und in das Loch im Boden geworfen, dann tauchte Mariette erneut in den engen Schlund.

Hustend wand er sich aus der Öffnung. Sein Gesicht verriet keine Regung. Vergeblich versuchten die anderen, die in engem Kreis um ihn herumstanden, aus seinem Mienenspiel Erfolg oder Mißerfolg abzulesen. Doch Mariettes Gesichtsausdruck blieb starr. Keiner wagte, selbst in das Loch zu kriechen, das sich da vor ihnen auftat. Langsam drehte sich der Chef im Kreis, sah jedem in die Augen, trat schließlich auf Bonnefoy zu und schlug ihm mit beiden Händen auf die Schultern. »Mon cher!« brüllte er, »ich glaube, wir haben gefunden, was wir suchen.«

In andächtiger Prozession aufgereiht, durfte jeder einen kurzen Blick in das unterirdische Labyrinth werfen. Auf dem Boden züngelten noch immer die Flämmchen des Petroleumfetzens. Sie warfen lange Schatten in ein unendlich scheinendes Gewölbe, an dessen Seiten Nischenöffnungen zu erkennen waren.

Morseapparate und Telegrafen sandten die Sensation in alle Welt: »Unterirdischer Serapis-Tempel südlich von Kairo entdeckt - Unermeßliche Schätze vermutet - Ägyptische Regierung läßt Grabungen einstellen.«

Kairo, 14. Mai 1853.

Das »Hotel d'Orient« machte einen ziemlich heruntergekommenen Eindruck, obwohl es im neuen, vornehmen Stadtviertel Al-Ismailia lag. Die Jalousien der hohen Fenster waren wohl noch nie geöffnet worden; aber der Fremde hatte keine andere Wahl, das »Hotel d'Orient« galt als das beste Quartier der Stadt und als das einzige, in dem ein Deutscher logieren konnte, ohne um sein Leben fürchten zu müssen. Das »British Hotel«, vor zehn Jahren errichtet, war ausschließlich Engländern vorbehalten, die sich auf dem Weg nach Indien befanden.

Während zwei Diener in langen Gewändern den Esel entluden, der das Gepäck des Gastes, zwei grobe Säcke mit der Aufschrift »Österreichischer Lloyd«, vom Nil-Hafen in Bu-lak hergetragen hatte, betrat der Fremde die düstere Eingangshalle. Von buntem Glas gefilterte Sonnenstrahlen drangen durch die abgeschirmten Fenster und warfen gleißende Lichtkegel auf die zum Teil überereinanderliegenden Teppiche. Jeder Schritt wirbelte eine kleine Staubwolke auf. Die Wände zierten blaue und rote Ornamentkacheln. Von der Decke hingen riesige Ampeln aus durchbrochenem Messing, in denen bunte Flämmchen flackerten. »Salam!« Hinter der Portiersloge zur Rechten verneigte sich ein europäisch gekleideter Empfangschef. Auf dem Kopf trug er einen roten Fez, dessen schwarze Quaste bei jeder Verbeugung vornüberbaumelnd heftige Bewegungen vollführte.

»Dr. Brugsch aus Berlin!« sagte der Gast und fügte in bestem Französisch hinzu: »Ich würde gerne für ein paar Tage bei Ihnen logieren.«

Der Portier schien sichtlich erfreut, verneigte sich noch einmal und meinte mit einem breiten Lächeln: »Es ist uns eine Ehre, Monsieur, eine große Ehre, das Zimmer hat einen Blick zum Esbekija-Garten, Bienvenu.« Devot schob er dem Gast das Fremdenbuch über die Tischplatte. »Wenn Sie die Freundlichkeit haben würden . . .« Der Fremde griff zum Federkiel und notierte: »Dr. Brugsch, Heinrich, geb. 18. Februar 1827 in Berlin, verheiratet, Forscher.«

»Ah, der Serapis-Tempel!« sagte der Portier, »ich verstehe.« Brugsch ging nicht darauf ein: »Wenn Sie mich bitte dem preußischen Generalkonsul avisieren würden!« Der Portier nickte: »Selbstverständlich, Monsieur! Bitte untertänigst mir zu folgen.«

Das Zimmer im ersten Stock war spartanisch möbliert und atmete den muffigen Geruch faulender Tapeten. Schwüle lag in dem Raum. Er war so hoch, daß man im Dämmerlicht der geschlossenen Fensterläden nicht einmal die Decke erkennen konnte. Ein Gestell aus dickem Schilfrohr mit grellbesticktem Stoff verhängt, diente als Schrank. Gegenüber stand in einer Nische eine hochgepolsterte Liegestatt, davor ein Tischchen mit runder Steinplatte und einem zerbrechlichen Scherenstuhl - mehr Wohnlichkeit war nicht vorhanden. Brugsch entlohnte die Gepäckträger und drückte dem Portier ein Bakschisch in die Hand, er schloß die Tür und ließ sich ermattet auf das Polsterbett fallen. Kairo! Traum eines sechsundzwanzigjährigen Lebens! Vor vier Monaten hatte Brugsch sich von seiner jungen Frau Pauline verabschiedet. Sie hatte geweint und gesagt, was man so sagt, wenn man noch keine zwei Jahre verheiratet ist: »Paß gut auf dich auf!« - »Daß du mir aber auch recht bald schreibst!« und »Leb wohl und denk an mich!« Der Vater, ein preußischer Armeeoffizier, war mit dem jungen Brugsch per Bahn dritter Klasse nach Triest gefahren. Die »Calcutta«, ein Schaufelrad-Dampfer des Österreichischen Lloyd, hatte nach zwei Tagen Maschinenschaden; hilflos trieben sie auf See, bis der kleine Dampfer »Oriente« sie aufnahm, irgendwo vor Ithaka, der rauhen Insel des Dulders Odysseus. Stürme hatten die »Oriente« schließlich in drei Tagen bis an die ägyptische Küste getrieben, während Brugsch, an die Reeling geklammert, Neptun opferte. Doch dann, am Morgen des vierten Tages, waren am südlichen Horizont felsenähnliche Umrisse aufgetaucht: Abukir. Brugsch standen die Tränen in den Augen. Das war das Land seiner Träume, der Boden, auf dem man einst demotisch sprach und schrieb! »Gott segne König Friedrich Wilhelm von Preußen!« hatte er lauthals aufs Meer hinausgerufen, während die übrigen Passagiere lachten. Im Hafen von Alexandria wäre er beinahe von vier Arabern in ebensoviele Teile zerrissen worden, weil jeder lärmend und schreiend sich seiner und des Gepäcks bemächti-gen wollte. Türken und Araber, exotisch in Trachten und Gebärden, kleine, stoisch vor sich hinblickende Esel und gravitätisch schreitende Kamele, fliegende Händler mit hochrädrigen Karren und verschleierte Frauen - der Zauber des Orients hatte ihn gefangen.

Mit einem Empfehlungsschreiben Alexander von Humboldts öffneten sich alle Türen. Er bewunderte die PapyrusSammlung des steinreichen Engländers Anthony C. Harris und seine in England erzogene Tochter Selima, die fließend französisch, italienisch und arabisch sprach und pikanterweise von dunkler Hautfarbe war. Er hatte auch die antiken Wasserleitungen und Kanäle bestaunt, die Alexandria durchzogen, und gehofft, irgend jemand würde ihn mit seinem Boot nach Kairo und weiter nach Oberägypten nehmen; denn die 1500 Thaler, die ihm der Preußenkönig in der Hoffnung bewilligt hatte, Brugsch würde reiche Funde aus Ägypten heimbringen, mußten ein ganzes Jahr reichen. Für Fahrtspesen blieb da nicht viel übrig. Lautes Klopfen riß Brugsch aus seinen Gedanken, er sprang auf und öffnete. Vor der Tür standen ein junger Mann und eine Frau im finsteren Hotelkorridor. Der Mann stellte sich als Erbgraf Schönburg vor, die Frau war, wie Brugsch später erfuhr, eine geborene Fürstin Windischgrätz. »Der preußische Generalkonsul hat von Ihrer Ankunft Kenntnis erhalten. Er gibt heute ein Essen, er bittet Sie, sein Gast zu sein. Gestatten Sie . . .« Und beide hakten den verblüfften Gast unter.

Das deutsche Generalkonsulat lag unmittelbar hinter dem »Hotel d'Orient« am Rande des Esbekija-Gartens. Zwischen riesigen exotischen Bäumen luden hier zahlreiche Kaffeehäuser zum Mokka, der auf kleinen Holztischen im Freien serviert wurde und zusammen mit dem Balsamduft der Wasserpfeifen eine Atmosphäre wie aus Tausendundeinernacht zauberte.

»Pentz!« Der alte Konsul stellte sich zackig vor, wie sich das seiner Meinung nach für einen Preußen gehörte, und um der Prägnanz willen unterschlug er sogar seinen Adelstitel; eigentlich hieß er Baron von Pentz. »Also, aus Berlin kommen Sie, junger Mann?« »Jawohl, Herr Konsul!«