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»Wollen sich wohl frischen Wind um die Nase wehen lassen?«

»Seine Majestät haben mir gnädigst ein Stipendium bewilligt zur Erforschung ägyptischer Altertümer.« Brugsch zog einen Brief aus der Tasche. »Dies ist ein Empfehlungsschreiben von Alexander von Humboldt.« Pentz überflog die Zeilen, klatschte dem jungen Brugsch auf die Schulter und sagte: »Na, dann werde ich Sie einmal mit den übrigen Gästen bekannt machen. Den Grafen Schönburg und seine reizende Frau kennen Sie ja schon . .. « Eine illustre Gesellschaft hatte sich eingefunden: Dr. Theodor Bilharz, etwa im gleichen Alter wie Brugsch. »Seine Forschungen über das elektrische Organ des Zitteraales sind weltberühmt«, sagte v. Pentz, »im Vorjahr entdeckte er den Erreger einer gefährlichen Wurmkrankheit, die man jetzt sogar nach seinem Namen Bilharziose nennt!« Klein, dick, nach vorne gebeugt und mit schwarz gefärbtem Haar und Bart, machte der österreichische Generalkonsul v. Huber einen eher bohemienhaften Eindruck, und v. Pentz bemerkte: »Mein lieber Kollege ist ein ebenso überzeugter Junggeselle wie Verehrer weiblicher Anmut, außerdem ist er ein feinsinniger Sammler und Ausgräber.« Es waren noch zwei weitere Besucher aus Wien anwesend, Dr. Jemtschik, ein Mediziner, dessen ganzer Lebensinhalt die Jagd war, und Dr. Natterer, ein Naturwissenschaftler, den der Liebeskummer nach Ägypten verschlagen hatte. »Geh, sagen 'S«, bohrte Dr. Jemtschik, während die Die -ner einen duftenden Hammel auftrugen, »wie kann man nur wegen einer Frau von der Donau bis zum Nil fliehen?« »O sagen Sie das nicht!« warf Baron v. Huber ein, »die

Liebe geht verschlungene Pfade.« Und mitfühlend wandte er sich an Dr. Natterer: »Sie hat Sie betrogen?« Natterer schüttelte den Kopf. Als er alle Augen auf sich gerichtet sah, begann er zu erzählen. Eine ehrsame Schneidermamsell habe zehn Jahre treu zu ihm gehalten, obwohl sie wußte, daß sein Vater gegen die Verbindung war. Doch dann sei sie des Wartens überdrüssig geworden, habe ihm einen Abschiedsbrief geschrieben und Hals über Kopf einen anderen geheiratet. Jetzt wolle er auf dem Sklavenmarkt in Kairo eine Frau kaufen, die für alle Zeit sein wohlbezahltes und wohlerworbenes Eigentum bleiben müsse. Das sei sein voller Ernst.

Dr. Jemtschik schlug sich vor Vergnügen auf die Schenkel und rief immer wieder: »Das ist eine urgescheite Idee, eine urgescheite Idee ist das!« Als er das ungläubige Gesicht des jungen Brugsch sah, fragte er vorsichtig: »Wie steht's mit Ihnen, brauchen Sie nicht auch eine Frau?« Dem Berliner war das Ganze sichtlich peinlich. Er lächelte verlegen und zeigte dem Fragesteller den Ring an seiner rechten Hand. »Mein Bedarf ist gedeckt!«

Dr. Jemtschik ließ nicht locker: »Ich schlage vor, wir begeben uns morgen gemeinschaftlich zum Sklavenmarkt im Khan-en-Khalili-Basar und helfen Dr. Natterer eine Frau zu finden.« Die Runde war begeistert. »Brugsch, Sie kommen doch auch mit!« erkundigte sich Jemtschik. Brugsch erwiderte, eigentlich sei er ja nach Ägypten gekommen, um sich mit den hiesigen Altertümern zu beschäftigen, von Frauen sei nie die Rede gewesen, aber seine Majestät, der König, werde sein gnädigst gewährtes Stipendium wohl nicht gleich einziehen, wenn er auch einen Blick auf die lebenden Schönheiten des Landes werfe. »Wie kamen Sie überhaupt auf die Wissenschaft der alten Ägypter?« wollte der preußische Konsul wissen. »Das begann schon im Alter von zwölf Jahren«, antwortete Brugsch. »Ich war ein Einzelgänger und spielte nie mit anderen Kindern. Aber heimlich schlich ich mich, sooft es ging, in die Oranienburger Straße, in der es ein kleines Museum gab, in dem ägyptische Kunstwerke und andere Funde ausgestellt waren. Der Eintritt war frei. Mich interessierten vor allem die rätselhaften Schriftzeichen auf den Ausstellungsstücken, ich begann sie abzumalen - zur Freude des Museumsdirektors übrigens. Mit sechzehn haue ich mir bereits ein solches Wissen angeeignet, daß ich eine Grammatik der demotischen Sprache schreiben konnte, das ist die seit dem 7. vorchristlichen Jahrhundert in Ägypten gebräuchliche Sprache und Schrift.«

»Erstaunlich, höchst erstaunlich«, rief der preußische Konsul, und die Frau des Erbgrafen Schönburg warf dem jungen Gelehrten einen bewundernden Blick zu. »Wenn Sie in Berlin aufgewachsen sind, dann haben Sie ja auch die März-Revolution erlebt?« fragte der Konsul. »O ja, ich erinnere mich nur zu gut«, sagte Brugsch, »und nicht gerade mit Freude. Während ich in meinem Gymnasium am Köllnischen Fischmarkt mein Abitur schrieb, tobte auf der Straße der Aufstand. Mein Vater war eingezogen. Als er zurückkam, rief ich ihm in meinem jugendlichen Unverstand zu: >Vater, das Volk hat gesiegt!«, worauf er mir eine schallende Backpfeife verabreichte.« Die Gäste lachten laut. Brugsch fuhr fort: »Was aber viel schlimmer für mich war: Damals lebte eine reiche Erbtante in unserer Familie. Sie pries überschwenglich die errungene Freiheit und ließ über Despotismus und Soldatenwirtschaft einige unbesonnene Äußerungen fallen, worauf mein Vater sie aufforderte, sie solle sich aus dem Hause scheren. Und mit der Tante ging auch meine erhoffte Erbschaft dahin.« Da erhob sich der preußische Konsul von seinem Platz, nahm sein Glas zur Brust und rief: »Es lebe Seine Majestät, König Friedrich Wilhelm IV. hoch, hoch, hoch!« Die Gäste erhoben sich eiligst, griffen ebenfalls zu ihren Gläsern und riefen artig: »Hoch, hoch, hoch!«

Auf vier Eseln zogen sie am nächsten Morgen die Muski-Straße entlang zum Basar: Jemtschik, Bilharz, Brugsch und Natterer, um den es ging. Die Sharia-el-Muski, benannt nach dem Prinzen Musk, einem Nachkommen Saladins, galt als reichste Straße des ganzen Orients. Feilgeboten wurden nicht nur exotische Erzeugnisse, Kunsthandwerk, Mobiliar und Teppiche, kostbar bestickte Kleider, Perlen und Goldschmuck, Gewürze, Spezereien und Honig, sondern auch Opium und Sklaven.

Zu Tausenden boten Stände und Geschäfte unter Bögen und Baldachinen oder einfach im Staub der Straße ihre Waren an. Balken und über die Straße gespannte Seile waren mit Schilfmatten oder Stoffbahnen belegt, um das grelle Sonnenlicht abzuschirmen. Handwerker dengelten Kupfer und Messing unter klingenden Schlägen zu dickbauchigen Gefäßen, Brotverkäufer schürten ihre Öfchen mit getrocknetem Kamelmist, den Gassenjungen für einen Piaster haufenweise ablieferten. Würdige Scheichs sogen auf dem Pflaster an ihrer brodelnden Opiumpfeife. Dazwischen knieten und lagen Bettler auf der Straße, verdreckt, verkommen, blind, halbtot, mit ausgestreckten Händen »Bakschisch« murmelnd. Frauen in langen, weiten Gewändern, die dunklen Augen hinter schwarzen Schleiern verborgen, trugen riesige Lasten auf dem Kopf - Waren, die ihre Männer käuflich erworben hatten. Kinder sprangen zwischen geschäftigen Käufern und Verkäufern hin und her, dazu abgerichtet, den Lebensunterhalt für ganze Familien zusammenzustehlen. Wieselflink hetzten sie mit einer Beute durch das Gewirr der Menschen und verschwanden unvermittelt in dunklen Hauseingängen. Vor einem großen Gebäude, mit Außenwänden aus gelbem Sandstein und roten Ziegeln, machten die vier halt und gaben ihre Esel m die Obhut eines dicken Hausdieners. Um den Innenhof waren hölzerne Galerien gruppiert, die sich baufällig und zerbrechlich vier Stockwerke übereinander türmten. Winzige Fenster mit kunstvoll geschmiedeten Gittern davor ließen nur wenig Licht in die darunterliegenden Räume, in denen angeblich zweitausend Sklaven, Gefangene aus dem Sudan und Abessinien, untergebracht waren. Der Sklavenhändler, ein kostbar gekleideter Araber mit weißem Turban, einem roten Kinnbart und widerlich freundlicher Miene, trug seine kleinen dicken Hände zufrieden über den ausladenden Bauch gefaltet. Jemtschik verdeutlichte dem Dicken mit Händen und Füßen und ein paar Brocken arabisch, daß sie eine Frau suchten. Der Sklavenhändler komplimentierte die vier Europäer über ein steinernes Treppenhaus zur obersten Galerie. Er stieß eine Tür auf, aus der ihnen stinkender Qualm entgegenwallte. Im Dämmerlicht, das von einem dünnen schrägen Sonnenstrahl durchflutet wurde, konnte man eine Frau erkennen, die mitten im Raum auf einem Blech über einer kleinen Glut Fladen buk. An die Wände des leeren Zimmers gelehnt, dämmerten zwei Dutzend andere dunkelhäutige Frauen und Mädchen, bis zum Hals in Säcke eingenäht, vor sich hin. Der Händler machte grinsend eine einladende Handbewegung, näher zu treten. Brugsch verspürte ein beklemmendes Gefühl im Hals; er schluckte und überlegte einen Augenblick, ob er nicht einfach weglaufen sollte, so sehr traf ihn dieser Anblick. Dabei galt Sklaverei keineswegs als anrüchig. Auch in der Türkei, in Spanien und in Amerika wurde noch mit Menschen gehandelt. Negermädchen aus Abessinien oder dem Sudan waren am billigsten, sie hatten meist Plattfüße, wulstige Lippen und schlechte Zähne und fanden nur im Haushalt, beim Wäschewaschen oder in der Küche Verwendung. Völlig rechtlos waren sie nicht. Nach den Gesetzen des ottomanischen Reiches, zu dem auch Ägypten gehörte, stand ihnen nach sieben Jahren Arbeit die Freiheit zu. Weiße Sklaven kosteten mehr als schwarze. Sie waren zäher und erhielten erst nach neun Jahren die Freiheit. Die meisten von ihnen kamen aus dem Kaukasus. Vornehme Herren erstanden auf dem Sklavenmarkt acht- bis neunjährige Mädchen, ließen ihnen eine ausgezeichnete Erziehung zukommen und nahmen sie später in ihren Harem auf, was für eine Sklavin als erstrebenswerte Laufbahn galt. Die schönsten von ihnen lehrte man tanzen und musizieren, womit sie ein für allemal von jeglicher Arbeit befreit waren, die ihrer Figur oder ihrer Stimme schaden konnte. Dies erklärt, daß sich hübsche Mädchen auch freiwillig auf dem Sklavenmarkt einfanden, in der Hoffnung, ein Scheich könnte an ihnen Gefallen finden. Bis zu 100000 Piaster wurden für ein attraktives Mädchen bezahlt, vor allem, wenn es nachgewiesenermaßen noch Jungfrau war.