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Mariette sah ihm hinterher. »Die Pariser Akademie hat ihn mir als Hilfskraft geschickt, er soll aber vor allem unseren Etat verwalten. Ich kann nun einmal mit Geld nicht umgehen. Kein Wunder, ich hatte nie welches. Und Sie, mon ami?«

Brugsch hob die Schultern. »Mein Vater war bei den Ulanen. Das war ein angesehener Beruf, aber nicht sehr einträglich. Ein Soldat vertrat bei mir die Stelle der Kinderfrau. Ich war froh, daß das Geld reichte, um mich auf das Französische Gymnasium zu schicken . . .« »Sie haben, soviel ich weiß, in Paris studiert?« »Ja, es war eine schöne Zeit. Alexander von Humboldt empfahl mich an den Besitzer eines kleinen Hotels in der Rue-des-petits-Augustins, wo ich billig wohnen konnte. Zu Beginn fiel mir das Studium nicht leicht. Paris schien mir eine ganz andere Welt zu sein, gegen die mein geliebtes Berlin eigentlich nur ein Dorf war. Notre-Dame, der Louvre . . .« »Palais Royal«, fiel Mariette ein. »Palais de Justice!« »Place de la Concorde!« »Place Vendome!«

»Mon ami!« rief Mariette voll Begeisterung, »Sie sind kein Preuße, Sie sind ein Franzose!« und er umarmte und küßte ihn.

»O ja«, strahlte Brugsch, »ich kenne die billigsten Restaurants und die willigsten Grisetten.« Mariette goß ein dunkles Gebräu aus einer Kupferkanne in zwei Gläser und schob eines seinem Gegenüber hin: »Auf gute Freundschaft und erfolgreiche Zusammenarbeit. Es lebe Preußen!« »Es lebe Frankreich!«

»Eigentlich«, meinte Mariette, »möchte ich wieder zurück nach Frankreich. Sie dürfen nicht glauben, daß all das hier die Verwirklichung meines Lebenstraumes ist. Aber so ist das nun mal im Leben: Träume erfüllen sich nur selten.«

Brugsch sah den neuen Freund verwundert an. Ausgerechnet er, der gefeierte Entdecker, dessen Name um die ganze Welt ging, der in dem Ruf stand, den Pharaonen alle Geheimnisse zu entreißen, dieser Mann beklagte sein Schicksal? »Und was ist Ihr Lebenstraum?« fragte der Deutsche. »Mein Freund«, antwortete Mariette, »ich habe den falschen Weg eingeschlagen. Mein Reich, mein Ideal ist die Welt des Schönen. Ich träumte einmal davon, Schriftsteller, vielleicht Dichter zu werden. Jetzt muß ich mich mit dem Schicksal abfinden, meinen unverhofften Ruf als gefeierter Entdecker des Serapis-Tempels zu behaupten.« »Oh, hätte ich nur diesen Ruf!« lachte Brugsch. Mariette nahm einen tiefen Schluck und wischte sich mit dem Ellbogen über die Mundwinkel. »Sie sind ein studierter Mann, Brugsch, Sie lesen die Hieroglyphen wie eine Speisekarte. Ich bin Autodidakt, ich habe mir das alles mühsam selbst angeeignet.«

»Wenn ich Ihnen behilflich sein kann, soll es mir eine Ehre und ein Vergnügen sein.«

»Sieben Jahre«, fuhr Mariette fort, »habe ich jede freie Minute darauf verwendet, das Altägyptische zu studieren, dann bekam ich einen Posten im Louvre als wissenschaftliche Hilfskraft. Wissen Sie, was das bedeutet, von früh bis abend Inschriften zu kopieren? Ich war schon halb verrückt, sah nur noch Hieroglyphen, überall an allen Wänden Hieroglyphen. Dann haben sie mich hierhergeschickt, um in den Kopten-Klöstern Papyrusrollen zu kaufen. Auf die Genehmigung des Patriarchen zum Besuch der Klöster warte ich heute noch. So habe ich den Serapis-Tempel ausgegraben.« Bonnefoy trat in die Tür: »Wir sind soweit, Maitre.« »Also dann«, Mariette erhob sich, »dann wollen wir mal hinabsteigen m die heiligen Hallen des Serapis.« Der Eingang lag nur ein paar Schritte von Mariettes Haus entfernt. Der heiße Wüstenwind hatte sich gelegt und einer stillen Abenddämmerung Platz gemacht. Geführt von Ma-riette stieg Brugsch zu dem schmucklosen Eingangsportal hinab. Ein schmaler Schräggang führte nach unten. Mariette trug eine fauchende Karbidlampe, er sagte kein Wort. Das Herz des Deutschen schlug bis zum Hals. Der tanzende Lichtschein der Lampe ließ Szenen lebendig werden: Kahlköpfige Priester zogen die Mumie eines heiligen ApisStiers, geschmückt wie ein toter Pharao mit Gold und Edelsteinen, auf einem Schlitten durch die Sphingenallee zu dem unterirdischen Labyrinth. Heilige Gesänge und Duftwolken begleiteten das gespenstische Zeremoniell, das im Dunkel vor einem riesigen Granitsarkophag endete. Schon morgen würden sich die Priester auf die Suche nach einem neuen Stiergott machen, würden nilauf, nilab fahren, die fruchtbaren grünen Weiden des Tales nach einem jungen schwarzen Stier absuchen, kenntlich an einem weißen Dreieck auf der Stirn, am Hals und an den Flanken einen weißen Halbmond und unter der Zunge einen Knoten. Ja, das war er, der heilige Apis-Stier, das lebende Symbol der Fruchtbarkeit, die Inkarnation des Schöpfergottes Ptah, der im Sterben mit dem Totengott Osiris eins wurde und dann Osiris-Apis, Serapis genannt wurde. Sie kamen zu einem Quergang. Mariette bedeutete mit der Lampe, den Weg nach links zu nehmen. Nach wenigen Metern öffnete sich der Gang zu einem Gewölbe. Brugsch blickte nach rechts. »Mein Gott!« entfuhr es ihm, und er schlug die Hand vor den Mund. Vor ihm tat sich im Lichterglanz zahlloser Kerzen eine mehr als 300 Meter lange Gale -rie auf, eine Gangflucht, drei Meter breit und mit einem acht Meter hohen Deckengewölbe. Zu beiden Seiten tiefer lie -gende Nischen, 24 an der Zahl, mit riesigen roten und schwarzen Sarkophagen aus Assuan-Granit, jeder mindestens vier Meter lang und drei Meter hoch, alle glatt und schmucklos.

»Willkommen im Totenreich des Serapis«, sagte Mariette und schwenkte seine Karbidlampe, daß der Schatten sein Ge-sieht zu einer erschreckenden Maske verwandelte. Brugsch bewunderte diesen Mann immer mehr. Einmal im Leben wollte er eine so gigantische Entdeckung machen, einmal im Leben als erster den Fuß auf Boden setzen, den seit Pharaonenzeiten niemand betreten hatte. Sein Leben würde er dafür geben!

»Kommen Sie, mein Freund!« Der Franzose spürte die Ergriffenheit des anderen und führte ihn behutsam an den Stiersarkophagen vorbei. »Leider waren sie alle leer«, sagte er leise und leuchtete die Sargungetüme ab, »schon in alter Zeit aufgebrochen und ihres kostbaren Inhaltes beraubt. Es gibt ja Leute, die glauben, ich hätte die Sarkophage ausgeraubt und die Schätze versteckt. Ich bin zwar stark und kräftig, aber gegen diese 70 Tonnen wiegenden Ungetüme habe ich keine Chance.« Er lachte.

Mariette und sein Begleiter stiegen über Steine und Trümmer, die wahllos herumlagen. »Was von den Grabräubern verschont geblieben war«, erklärte er, »ist in frühchristlicher Zeit von den Mönchen des nahen Jeremias-Klosters zerhackt, zerschlagen und zertrümmert worden. Hier, sehen Sie!« Er zeigte auf einige Granit-Fragmente, die ohne Zweifel Bestandteil einer Skulptur gewesen waren. »Den Grabräubern erschien sie wertlos, den Mönchen war sie ein heidnisches Götzenbild.«

Jeder ihrer Schritte verursachte eine trockene Staubwolke, die zum Husten reizte und das Kerzenlicht noch diffuser erstrahlen ließ. Am Ende der Galerie brannte vor dem größten Sarkophag eine Fackel. Der Deckel des Stiersarges war etwas zur Seite geschoben. Vor der Öffnung lehnte eine Leiter, Man hörte Stimmen.

»Ich habe eine kleine Überraschung für Sie vorbereitet«, sagte Mariette und drückte Brugsch die Karbidlampe in die Hand, »ich darf vorausgehen.« Der Franzose stieg die Leiter empor, bedeutete seinem Freund, ihm zu folgen, und verschwand in der Öffnung des

Sarkophages. Brugsch hatte vieles erwartet, aber nicht, daß im Innern des riesigen Granitsarges ein Tisch für drei Personen gedeckt war. Mariette meinte: »Es ist nicht sehr geräumig, aber sauber und gemütlich.«

Mariette, Brugsch und Bonnefoy wurden von Hassan bedient, der von einem Tischchen in der Ecke des Sarges auftrug: Fladenbrot und frischen Käse, Dörrfisch und Butter und, zur Feier des Tages, eine Flasche Bordeaux. Es wurde eine lange Nacht. Die Gemüter erhitzten sich bei der Diskussion darüber, wie alt die ganze Anlage überhaupt sei. Vor wieviel tausend Jahren Chaemwese diese unheimliche Galerie in den Wüstenboden getrieben habe. »Brugsch, was glauben Sie«, fragte Mariette sein Gegenüber, »wann lebte nach unserer Zeitrechnung Chaemwese?« Der hob die Schultern. »Wir müssen uns darauf gefaßt machen, daß das noch gar nicht so lange her ist, jedenfalls nicht so lange, wie wir bisher annahmen. Sie wissen ja, Ihr Champollion datierte den Beginn der I. Dynastie und damit der ägyptischen Geschichtsschreibung noch in das Jahr 5867 vor Christus.«