Scheschi war aufgrund seiner außerordentlichen Kenntnisse auf dem Gebiet der Festigkeit von Metallen von den für Bau und Handwerk zuständigen Ämtern des Palastes angeworben worden. Bereits in seinem ursprünglichen Beruf eines Bronzegießers war er fortwährend darum bemüht gewesen, die Aufbereitung des für die Herstellung der Steinmetzmeißel unerläßlichen Rohkupfers zu verbessern.
Wegen seiner Erfolge und seiner Ernsthaftigkeit war er stetig aufgestiegen; an dem Tage dann, da er Werkzeuge von erstaunlicher Festigkeit geliefert hatte, mit denen die Blöcke des am Westufer Thebens errichteten »Hauses der Millionen Jahre«[47] von Ramses dem Großen behauen wurden, war sein Ruf bis zu den Ohren des Königs gedrungen.
Scheschi hatte seine drei wichtigsten Gefolgsleute zu sich bestellt, Männer reifen Alters und erfahrene Wissenschaftler. Lampen, deren Dochte nicht rauchten, erhellten das Untergeschoß. Gemächlich und gewissenhaft räumte Scheschi die Papyri beiseite, auf denen er seine letzten Berechnungen niedergeschrieben hatte.
Mit Unbehagen faßten die drei sich in Geduld. Das Schweigen des Metallforschers verhieß nichts Gutes, wenngleich er auch sonst recht wortkarg war. Diese unerwartete und gebieterische Einbestellung lag nicht in seinen Gewohnheiten. Der kleine Mann mit dem schwarzen Schnurrbart drehte seinen Gehilfen den Rücken zu. »Wer hat geplaudert?« Keiner antwortete.
»Ich werde meine Frage nicht wiederholen.«
»Sie ist ohne Sinn.«
»Während eines Empfangs hat ein Geschäftsmann mir von Legierungen und neuen Waffen erzählt.«
»Unmöglich! Er hat Euch angelogen.«
»Ich war zugegen. Wer hat geplaudert?« Erneutes Schweigen.
»Ich habe nicht die Möglichkeit, eine Ungewisse Untersuchung durchzuführen. Selbst wenn die verbreiteten Behauptungen unvollständig, also unrichtig sind, ist das Vertrauen zerstört.«
»Mit anderen Worten …«
»Mit anderen Worten, Ihr seid Eurer Ämter enthoben.«
Neferet hatte das ärmste und abgeschiedenste Dorf des thebanischen Bezirks erwählt. An der Grenze zur Wüste gelegen und schlecht bewässert, zählte es eine ungewöhnlich hohe Anzahl an Hautleidenden. Die junge Frau war weder traurig noch niedergeschlagen; den Krallen Neb-Amuns entronnen zu sein, erfüllte sie mit Genugtuung, auch wenn sie für ihre Freiheit eine vielversprechende Laufbahn eingetauscht hatte. Sie würde die Armen mit den Mitteln pflegen, über die sie verfügte, und sich mit einem einsiedlerischen Dasein auf dem Lande zufriedengeben. Wenn das Krankenschiff den Fluß hinunter nach Memphis fuhr, würde sie ihren Lehrmeister Branir besuchen. Da er sie kannte, würde er nicht versuchen, sie umzustimmen.
Bereits am zweiten Tage nach ihrer Ankunft hatte Neferet die gewichtigste Person des Marktfleckens geheilt, einen des Gänsemästens kundigen Mann, der an ungleichmäßigem Herzschlag litt. Eine ausgiebige Walkung und das Einrenken der Wirbelsäule brachten ihn wieder auf die Beine. Bei seiner Tätigkeit hockte der Mäster am Boden neben einem niedrigen Tisch, auf dem aus einem Wasserbehälter geholte Mehlklöße lagen, und ergriff eine seiner Gänse am Hals. Das Federvieh wehrte sich, doch er ließ nicht los und führte behutsam die Stopfklumpen in den Kropf, wobei er sein Tun mit besänftigenden Worten begleitete. Derart genudelt taumelte die Gans erst wie trunken und watschelte dann zur Verdauung davon. Die Mast der Kraniche erforderte mehr Aufmerksamkeit. Was seine Stopfleber anbelangte, galt sie als eine der berühmtesten der ganzen Gegend.
In der Folge dieser ersten, als wundersam befundenen Heilung war Neferet zur Heldin des Dorfes geworden. Die Bauern hatten sie um Ratschläge ersucht, wie sie die Feinde des Feldes und der Obstgärten, insbesondere die Heuschrecken und Grillen, bekämpfen sollten; doch die junge Frau hatte es vorgezogen, zunächst gegen eine andere Plage anzugehen, die ihr die Ursache für jene Hautentzündungen zu sein schien, die Erwachsene wie Kinder heimsuchten, nämlich die Fliegen und Stechmücken. Ihr unmäßiges Auftreten ließ sich mit einem Pfuhl versumpften Wassers erklären, der seit mehr als drei Jahren nicht entwässert worden war. Neferet ließ ihn trockenlegen, empfahl allen Dorfbewohnern, ihre Häuser zu reinigen und zu entseuchen, pflegte die Stiche mit Goldammerfett und nahm Einreibungen mit frischem Öl vor.
Allein der Fall eines Greises mit verbrauchtem Herzen bereitete ihr Sorge; falls sich sein Zustand verschlechtern sollte, würden sie ihn nach Theben ins Siechenhaus bringen müssen. Gewisse seltene Pflanzen hätten ihm diese Unannehmlichkeit erspart. Als sie sich wieder einmal an seinem Lager befand, kam ein Knabe, um sie von der Anwesenheit eines Fremden zu benachrichtigen, der Fragen nach ihr stellte. Selbst hier ließ Neb-Amun sie nicht in Frieden! Wessen beschuldigte man sie diesmal, zu welcher Erniedrigung würde er sie treiben! Sie mußte sich verstecken. Die Dörfler würden schweigen und der Gesandte des Obersten Arztes wieder gehen.
Paser spürte, daß seine Gegenüber logen; der Name Neferet war ihnen vertraut, ihrer Stummheit zum Trotz. Der Marktflecken verschloß sich gegen die Außenwelt mit seinen von der Wüste bedrohten Häusern, als fürchtete er jegliches Eindringen; die meisten Türen blieben ihm verschlossen. Verdrossen wollte er sich schon anschicken, den Ort zu verlassen, als er eine Frau erblickte, die sich zu den steinigen Hügeln wandte. »Neferet!«
Neugierig drehte sie sich um. Sie erkannte ihn und kehrte um. »Richter Paser … was macht Ihr hier?«
»Ich hatte den Wunsch, mit Euch zu sprechen.« Die Sonne stand in ihren Augen. Die Landluft hatte ihre Haut gebräunt. Paser wollte ihr seine Gefühle gestehen, ausdrücken, was er empfand, war jedoch außerstande, auch nur ein Wort herauszubringen. »Gehen wir auf die Kuppe dieser Anhöhe.« Er wäre ihr bis ans Ende der Welt, auf den Grund des Meeres, in den Schlund der Finsternis gefolgt. Welch ein berauschendes Glück war es doch, an ihrer Seite zu gehen, sich ganz nah neben sie zu setzen, ihre Stimme zu hören.
»Branir hat mich unterrichtet. Wünscht Ihr, gegen Neb-Amun Anzeige einzureichen?«
»Sie wäre nutzlos. Etliche Heilkundige verdanken ihm ihre Laufbahn und würden gegen mich aussagen.«
»Ich werde sie wegen falscher Zeugenaussage anklagen.«
»Sie sind zu zahlreich, und Neb-Amun wird Euch am Handeln hindern.«
Trotz der lauen Wärme des Frühlings schauderte Paser. Er konnte ein Niesen nicht unterdrücken. »Eine Erkältung?«
»Ich habe die Nacht im Freien verbracht, als ich auf die Rückkehr von Kani wartete.«
»Dem Gärtner?«
»Er war es, der Euch wiedergefunden hat. Er lebt in Theben, bewirtschaftet dort seinen eigenen Garten. Und das ist Eure Gelegenheit, Neferet: Er baut Heilpflanzen an und wird die erlesensten zu bestellen verstehen!«
»Eine Wirkstätte errichten? Hier?«
»Warum nicht? Eure Kenntnisse der Arzneikunde erlauben es Euch. Ihr werdet nicht allein die ernsten Erkrankungen behandeln können, Euer Ruf wird noch dazu rasch wiederhergestellt sein.«
»Ich verspüre wenig Lust, diesen Kampf aufzunehmen. Mein gegenwärtiger Stand genügt mir.«
»Vergeudet Eure Begabung nicht. Tut es für Eure Kranken.« Paser nieste ein zweites Mal. »Solltet Ihr nicht als erster davon betroffen sein? Die Lehrbücher behaupten, der starke Schnupfen breche die Knochen, zertrümmere den Schädel und höhle das Hirn aus. Ich muß diesem Unheil vorbeugen.« Ihr Lächeln, bei dem die Güte den Spott ausschloß, verzückte ihn.
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Es handelt sich um das Ramesseum, den Totentempel von Ramses II. am Westufer Thebens, der zur Aufgabe hat, dem