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»Nehmt Ihr Kanis Hilfe an?«

»Er ist stur. Wie könnte ich mich ihm widersetzen, wenn seine Entscheidung gefaßt ist? Beschäftigen wir uns mit dem Dringlichen: Schnupfen ist ein ernstes Leiden. Ich verordne Euch Palmsaft für Eure Nasenlöcher und, falls er beharrlich bleibt, Frauenmilch und Duftgummi.« Der Schnupfen blieb hartnäckig und verstärkte sich.

Neferet geleitete den Richter in die bescheidene Behausung, die sie in der Dorfmitte bewohnte. Da Husten hinzutrat, verordnete sie ihm Höllenpulver[48] welches das Volk »was das Herz labt« nannte. »Versuchen wir, der Krankheit Einhalt zu gebieten. Setzt Euch auf diese Matte und rührt Euch nicht mehr.«

Sie gab ihre Anweisungen, ohne die Stimme zu erheben, die so sanft war wie ihr Blick. Der Richter hoffte, daß die Nachwirkungen der Erkältung von Dauer sein würden und er so lange wie möglich in diesem schlichten Raum verweilen könnte. Neferet vermengte Höllenpulver, Harz, Blätter von entseuchenden Pflanzen, zerstieß und verrührte alles zu einem Brei, den sie erhitzte. Dann strich sie ihn auf einen Stein, den sie vor den Richter stellte, und stülpte einen irdenen Topf mit einem Loch im Boden darüber.

»Nehmt dieses Schilfrohr«, sagte sie zu Paser, »steckt es in das Loch und atmet die Dämpfe abwechselnd durch den Mund und durch die Nase ein. Die Räucherung wird Euch Linderung verschaffen.« Ein Fehlschlag hätte Paser nicht mißfallen, doch das Heilverfahren erwies sich als wirkungsvoll. Die Beengung nahm ab, die Atmung ging leichter.

»Kein Schauder mehr?«

»Nur ein Gefühl der Mattheit.«

»Während einiger Tage empfehle ich Euch eine reichhaltige und eher fette Nahrung: rotes Fleisch, frisches Öl zu den Lebensmitteln. Ein wenig Ruhe wäre segensreich.«

»Der muß ich entsagen.«

»Was führt Euch nach Theben?« Er hatte Lust zu schreien: »Ihr, Neferet, Ihr allein!«, aber die Worte blieben ihm in der Kehle stecken. Er war sich gewiß, daß sie seine Leidenschaft wahrnahm, er wartete, daß sie ihm die Möglichkeit böte, sie zu äußern, wagte jedoch nicht, ihren Frieden mit einem tollen Wahn zu trüben, den sie zweifelsohne mißbilligen würde.

»Vielleicht ein Verbrechen, vielleicht mehrere Verbrechen.«

Er spürte, wie ein Unheil sie verstörte, das sie nicht betraf. Hatte er das Recht, sie in diese Angelegenheit zu verwickeln, deren wahres Wesen ihm selbst unbekannt war?

»Ich habe vollstes Vertrauen zu Euch, Neferet, doch ich möchte Euch nicht mit meinen Sorgen zur Last fallen.«

»Seid Ihr nicht zur Verschwiegenheit verpflichtet?«

»Bis zu dem Zeitpunkt, da ich Schlußfolgerungen ausspreche.«

»Morde … sollte dies Eure Schlußfolgerung sein?«

»Meine innerste Überzeugung.«

»So viele Jahre wurde nun bereits kein Mord mehr begangen!«

»Fünf Altgediente, die die Ehrenwache des Großen Sphinx bildeten, sind – bei einem Sturz von dessen Kopf – während einer einfachen Überprüfung gestorben. Unfall – so lautet die amtliche Darlegung des Heeres. Nun versteckte sich jedoch einer von ihnen in einem Dorf am Westufer, wo er die Pflichten des Bäckers versah. Ich hätte ihn gerne vernommen, doch diesmal war er wahrhaftig tot. Wieder ein neuer Unfall. Der Vorsteher der Ordnungskräfte läßt mir nachstellen, als ob ich mich dadurch schuldig machte, eine Untersuchung durchzuführen. Ich bin völlig ratlos, Neferet. Ach, vergeßt meine Bekenntnisse.«

»Wollt Ihr aufgeben?«

»Ich habe einen unstillbaren Drang nach Wahrheit und Gerechtigkeit. Gäbe ich auf, würde ich mich zerstören.«

»Kann ich Euch helfen?« Ein anderes Fieber erfüllte Pasers Augen. »Wenn wir uns von Zeit zu Zeit unterhalten könnten, hätte ich mehr Mut.«

»Eine Erkältung kann Nebenwirkungen zeitigen, die besser scharf überwacht werden sollten. Weitere Untersuchungen werden notwendig sein.«

21. Kapitel

Die Nacht in der Herberge war so fröhlich wie erschöpfend gewesen. Scheiben gerösteten Ochsenfleischs, Eierfrüchte mit Sahne, Backwaren nach Belieben und eine prachtvolle Libyerin von vierzig Jahren, die ihrem Land entflohen war, um die ägyptischen Krieger zu zerstreuen. Der Offizier des Streitwagens hatte Sethi nicht belogen: Ein Mann genügte ihr nicht. Er, der sich der stürmischste aller Liebhaber wähnte, hatte die Waffen strecken und das Feld seinem Vorgesetzten überlassen müssen. Spöttisch und entflammt nahm die Libyerin die unglaublichsten Stellungen ein.

Als der Streitwagen sich wieder auf den Weg machte, hatte Sethi Mühe, die Augen offenzuhalten. »Du mußt lernen, auf Schlaf zu verzichten, mein Junge! Vergiß nicht, daß der Feind dann angreift, wenn du müde bist. Eine gute Neuigkeit: Wir sind die Vorhut der Vorhut! Die ersten Streiche werden uns gelten. Falls du ein Held werden wolltest, kannst du nun dein Glück versuchen.« Sethi drückte den Bogen gegen seine Brust.

Der Wagen fuhr die Mauern des Herrschers[49] entlang, eine ungeheure, von den Pharaonen des Mittleren Reiches errichtete und von deren Nachfolgern stetig verbesserte Flucht von Festungen; eine wahrhaftige Große Mauer, deren verschiedene Bauwerke untereinander durch Signaltürme verbunden waren und die jeglichen Einfallversuch von Seiten der Beduinen und der Asiaten verwehrte. Von den Gestaden des Mittelmeers bis nach Heliopolis beschirmten die Mauern des Herrschers zugleich die stehenden Truppen, die eigens für die Bewachung der Grenzen ausgebildet waren, und die Zöllner. Niemand betrat Ägypten oder verließ es, ohne seinen Namen und den Grund seiner Reise genannt zu haben; die Händler gaben zudem die Art ihrer Waren an und entrichteten Abgaben. Die Ordnungshüter drängten die unerwünschten Fremden zurück und stellten Einreiseerlaubnisse nur nach eingehenden Prüfungen der Unterlagen aus, die von einem für die Einwanderung zuständigen Beamten der Hauptstadt geflissentlich begutachtet wurden. Im übrigen galt, wie die Stele von PHARAO verkündete: »Wer immer diese Grenze übertritt, wird einer meiner Söhne.« Der Offizier zeigte seine Papyri dem Befehlshaber einer Feste vor, deren sechs Meter hohe Mauern mit beidseitiger Schräge von Gräben umgeben waren. Auf den Zinnen standen Bogenschützen; in den Wachtürmen Späher.

»Man hat die Wache verstärkt«, bemerkte der Offizier. »Sieh dir nur diese nichtsnutzigen Gesichter an.« Zehn bewaffnete Männer umringten plötzlich den Streitwagen. »Steigt aus«, befahl der Anführer. »Ihr scherzt?«

»Eure Papyri sind nicht vorschriftsmäßig.« Bereit, seine Pferde in voller Hatz lospreschen zu lassen, umklammerte der Offizier die Zügel. Jäh richteten sich Lanzen und Pfeile auf ihn. »Steigt augenblicklich aus.«

Der Krieger wandte sich an Sethi. »Was meinst du dazu, Kleiner?«

»Wir haben bessere Schlachten in Aussicht.« Sie sprangen vom Wagen.

»Es fehlt ein Siegel der ersten Feste der Mauern des Herrschers«, verdeutlichte der Befehlshaber des Platzes.

»Die Zeit drängt.«

»Vorschrift ist Vorschrift.«

»Können wir darüber reden?«

»In meinem Arbeitszimmer, aber macht Euch keine Hoffnungen.«

Die Unterredung war von kurzer Dauer. Der Krieger kam hastig aus der Amtsstube, stürzte sich auf die Zügel und trieb das Gefährt auf den Weg nach Asien. Die Räder ächzten und wirbelten eine Sandwolke auf.

»Weshalb diese Eile? Wir sind doch nun mit den Vorschriften im reinen.«

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48

Mineraclass="underline" Realgar, Rauschrot; Arsensulfid. (Anm. d. Ü.)

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49

Umfassende Verteidigungswerke, welche die Nordostgrenze von Ägypten im Gebiet des heutigen Suezkanals schützten.