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»Öffnet weiter.«

Gewiß, Qadaschs Hand war nicht mehr so sicher wie einst, doch sie würde noch lange seine ungewöhnliche Begabung beweisen können. Nach einer örtlichen Betäubung schritt er zum ersten Abschnitt des Ziehens und suchte mit seiner Zange auf beiden Seiten des Zahnes Halt. Ungenau und zitternd, verletzte er das Zahnfleisch.

Dennoch fuhr er grimmig entschlossen fort. Aus Fahrigkeit beherrschte er den Eingriff nicht und löste eine starke Blutung aus, indem er die Wurzeln verletzte. Sogleich stürzte er zu einem Bohrer, dessen spitzes Ende er in das vorgebohrte Loch eines Holzklotzes steckte, versetzte diesen mittels eines Bogens in schnelle Drillbewegung und erzeugte einen Funken. Als die Flamme ausreichend war, erhitzte er darüber eine Lanzette und stillte damit die blutende Wunde. Mit schmerzendem und geschwollenem Unterkiefer verließ der Stellvertreter des Stadtoberen den Behandlungsraum, ohne dem Zahnheilkundigen zu danken. Qadasch verlor einen wichtigen Kunden, der nicht versäumen würde, ihn zu schmähen. Der Zahnheilkundige befand sich an einer Wegscheide. Er wollte weder sein Altern hinnehmen noch die Tatsache, daß er seine Kunst allmählich einbüßte. Gewiß, der Tanz mit den Libyern würde ihn wieder stärken und ihm vorübergehend neue Kraft einhauchen, doch diese genügte nicht mehr. So nahe und doch so fern lag die Lösung vor ihm! Qadasch mußte auf andere Waffen zurückgreifen, seine Fertigkeiten vervollkommnen, beweisen, daß er der Beste blieb. Ein anderes Metall! Das war es, was er benötigte!

Der Fährkahn legte ab.

Mit einem Sprung gelang es Paser, auf die lockeren Planken des Wasserfahrzeugs mit flachem Rumpf zu springen, auf dem Vieh und Menschen zusammengepfercht waren.

Die Fähre versah ununterbrochen den Verkehr zwischen den beiden Ufern; trotz der Kürze der Überfahrt tauschte man hier Neuigkeiten aus und verhandelte sogar über Geschäfte. Im Gedränge wurde der Richter vom Hinterteil eines unruhigen Ochsen angeschubst und stieß gegen eine Frau, die ihm den Rücken zukehrte. »Verzeiht mir.«

Sie antwortete nicht und verbarg ihr Gesicht hinter ihren Händen. Neugierig geworden, betrachtete Paser sie näher.

»Könntet Ihr nicht Dame Sababu sein?«

»Laßt mich in Frieden.«

In ihrem braunen Kleid, mit einem kastanienbraunen Tuch über den Schultern und dem wirren Haar sah Sababu wie eine Bettlerin aus. »Sollten wir einander nicht einige Bekenntnisse ablegen?«

»Ich kenne Euch nicht.«

»Erinnert Euch an meinen Freund Sethi. Er hat Euch überredet, mich nicht zu verunglimpfen.« Völlig außer sich, beugte sie sich über den Fluß, der mit starker Strömung dahineilte. Paser hielt sie am Arm zurück.

»Der Nil ist gefährlich an dieser Stelle. Ihr könntet ertrinken.«

»Ich kann nicht schwimmen.« Ausgelassene Knaben sprangen schon ans Ufer, bevor der Fährkahn noch festgemacht hatte. Ihnen folgten Esel, Ochsen und Bauern. Paser und Sababu stiegen als letzte aus. Er hatte die Dirne nicht losgelassen.

»Weshalb belästigt Ihr mich? Ich bin eine einfache Magd, ich …«

»Eure Art der Verteidigung ist hanebüchen. Habt Ihr Sethi nicht versichert, ich wäre einer Eurer treuesten Kunden?«

»Ich verstehe Euch nicht.«

»Ich bin der Richter Paser, entsinnt Euch.« Sie versuchte zu entfliehen, doch die Zwinge lockerte sich nicht. »Seid vernünftig.«

»Ihr macht mir angst.«

»Ihr trachtetet danach, mich zu entehren.« Als sie in Schluchzen ausbrach, ließ er sie frei. Auch wenn sie eine Feindin war, rührte ihn ihre Herzensangst.

»Wer hat Euch den Befehl gegeben, mich zu verleumden?«

»Ich weiß es nicht.«

»Ihr lügt.«

»Ein Handlanger hat Verbindung mit mir aufgenommen.«

»Ein Ordnungshüter?«

»Woher soll ich das wissen? Ich stelle keine Fragen.«

»Wie wurdet Ihr entlohnt?«

»Man läßt mich in Ruhe.«

»Warum helft Ihr mir?« Sie deutete ein armseliges Lächeln an. »All die vielen Erinnerungen und glücklichen Tage … Mein Vater war Landrichter, ich vergötterte ihn. Als er starb, wurde mein Dorf mir ein Greuel, und so bin ich nach Memphis gezogen. Von schlechter Bekanntschaft zu schlechter Bekanntschaft bin ich eine Hure geworden. Eine reiche und geachtete Hure. Man bezahlt mich, um vertrauliche Kenntnisse über die Persönlichkeiten zu erhalten, die in meinem Haus des Bieres ein- und ausgehen.«

»Monthmose, nicht wahr?«

»Zieht selbst Eure Schlüsse. Niemals war ich gezwungen gewesen, einen Richter zu besudeln. Aus Ehrfurcht vor dem Andenken meines Vaters habe ich Euch verschont. Falls Ihr in Gefahr seid, kann ich Euch nicht helfen.«

»Befürchtet Ihr keine Vergeltungsmaßnahmen?«

»Meine Erinnerungen schützen mich.«

»Nehmt einmal an, Euer Auftraggeber scherte sich nicht um diese Drohung.«

Sie schlug die Augen nieder. »Deshalb habe ich Memphis verlassen und halte mich hier versteckt. Euretwegen habe ich alles verloren.«

»Ist Heerführer Ascher zu Euch gekommen?«

»Nein.«

»Die Wahrheit wird strahlend ans Licht kommen, das verspreche ich Euch.«

»Ich glaube nicht mehr an Versprechen.«

»Habt Vertrauen.«

»Weshalb will man Euch zerstören, Richter Paser?«

»Ich ermittele über einen Unfall, der sich in Gizeh ereignet hat. Fünf Altgediente der Ehrenwache haben dabei, wie die amtliche Fassung besagt, den Tod gefunden.«

»Über diese Angelegenheit wurden keinerlei Gerüchte laut.«

Des Richters Versuch war gescheitert. Entweder wußte sie nichts, oder sie schwieg beharrlich. Plötzlich legte sie ihre rechte Hand auf die linke Schulter und stieß einen Schmerzensschrei aus. »Was habt Ihr?«

»Heftiges Gliederreißen. Bisweilen kann ich den Arm nicht einmal mehr bewegen.« Paser zögerte nicht lange. Sie hatte ihm geholfen, jetzt mußte er ihr Beistand leisten.

Neferet behandelte gerade ein am Fuß verletztes Eselsfüllen, als Paser ihr Sababu vorstellte. Sie hatte dem Richter versprochen, ihren Namen geheimzuhalten.

»Ich bin dieser Frau auf dem Fährkahn begegnet; sie leidet an der Schulter. Könntet Ihr ihr Linderung verschaffen?«

Neferet wusch sich ausgiebig die Hände. »Ein altes Leiden?«

»Älter als fünf Jahre«, antwortete Sababu streitsüchtig. »Wißt Ihr, wer ich bin?«

»Eine Kranke, die ich zu heilen versuchen werde.«

»Ich bin Sababu, Dirne und Eigentümerin eines Hauses des Bieres.« Paser war bleich geworden.

»Die Häufigkeit geschlechtlicher Beziehungen und der Verkehr mit Liebhabern von zweifelhafter Reinlichkeit sind vielleicht die Ursachen Eures Übels.«

»Untersucht mich.«

Sababu zog das Kleid aus, unter dem sie völlig nackt war.

Sollte Paser die Augen schließen, sich umdrehen oder in der Erde versinken? Neferet würde ihm diese Schmach niemals vergeben. Kunde eines Freudenmädchens: genau das war das Geständnis, das er hier vor ihr machte! Sein Leugnen würde so lächerlich wie sinnlos sein.

Neferet betastete die Schulter, folgte mit dem Zeigefinger dem Verlauf eines Nervs, machte die Kraft- und Reizpunkte aus und überprüfte die Wölbung des Schulterblattes.

»Es ist ernst«, schloß sie. »Die Gelenkentzündung ist bereits verformend. Wenn Ihr Euch nicht pflegt, werden Eure Gliedmaßen steif werden.« Sababu verlor ihren Hochmut. »Was … was ratet Ihr mir?«

»Zuerst Euch des Biers und des Weines zu enthalten; dann jeden Tag Urabsud der Weidenrinde einzunehmen; und endlich das tägliche Auftragen eines Balsams aus Natron, Weißöl, Tere­binthenharz, Olibanumöl, Honig sowie Nilpferd-, Krokodil-, Wels- und Äschefett[52]. Diese Stoffe sind kostspielig, und ich besitze sie nicht. Ihr werdet einen Arzt in Theben aufsuchen müssen.« Sababu kleidete sich wieder an. »Säumt nicht«, empfahl Neferet ihr an, »das Leiden scheint mir von raschem Verlauf.« Gedemütigt begleitete Paser die Dirne noch bis zum Dorfeingang. »Bin ich frei?«

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52

Wels und Äsche: Nilfische.