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Paser blieb an seiner Seite, nahm seine rechte Hand in die seine. Einige Augenblicke glaubte er, daß Sethi aufwachte und sich seine Finger schlössen. Doch die Sinnestäuschung zerstob.

»Ihr seid meine letzte Hoffnung, Neferet. Der Heilkundige des Heeres hat es abgelehnt, einen Eingriff bei Sethi vorzunehmen. Willigt Ihr ein, ihn zu untersuchen?«

Dem Dutzend Leidender, das zu Füßen der Palmen sitzend wartete, erklärte sie, daß ein dringender Fall sie zwänge, sich für eine Weile zu entfernen. Ihren Anweisungen gemäß nahm Kem mehrere Töpfe mit Arzneien mit.

»Was meint mein Standesbruder?«

»Die von dem Bär verursachten Verletzungen seien sehr tief.«

»Wie hat Euer Freund die Reise überstanden?«

»Er ist aus seiner Bewußtlosigkeit nicht erwacht. Lediglich ein einziges Mal, so schien es, habe ich noch Leben in ihm gespürt.«

»Ist er widerstandsfähig?«

»Kräftig wie eine Stele.«

»Hatte er je ernste Erkrankungen?«

»Keine.«

Neferets Untersuchung dauerte länger als eine Stunde. Als sie aus der Hütte trat, äußerte sie ihren Befund: »Ein Leiden, gegen das ich ankämpfen werde.«

»Die Gefahr ist groß«, fügte sie noch hinzu. »Falls ich nicht eingreife, wird er sterben. Falls mir mein Tun gelingt, wird er vielleicht überleben.« Sie begann den Eingriff gegen Ende des Morgens. Paser diente als Helfer und reichte ihr das Behandlungsbesteck, nach dem sie verlangte. Neferet hatte eine tiefe Betäubung mit Hilfe einer Mischung aus Kieselstein, Schlafmohn und Mandragorawurzel eingeleitet; das zu Pulver zerstoßene Mittel mußte in kleinen Mengen verabreicht werden. Wenn sie eine Wunde in Angriff nahm, löste sie die Arznei in Essig. Daraus entstand eine saure Flüssigkeit, die sie in einem hornförmigen Steingefäß auffing und örtlich auftrug, um den Schmerz auszuschalten. Die Wirkdauer der Mittel überwachte sie mittels ihrer Uhr am Handgelenk.

Mit Messern und Skalpellen aus Obsidian, die schärfer als Metall waren, setzte sie ihre Schnitte. Ihre Bewegungen waren genau und sicher. Sie formte das Fleisch neu, vereinigte die klaffenden Lippen einer jeden Wunde, indem sie sie mit einem äußerst feinen, aus einem Rindsdarm gewonnenen Faden vernähte; die zahllosen Nahtstellen wurden mittels Heftbinden in Gestalt eines klebenden Gewebes gesichert.

Zum Ende des fünf Stunden dauernden Eingriffs war Neferet erschöpft, und Sethi lebte. Auf die allerschlimmsten Wunden legte die Ärztin frisches Fleisch, Fett und Honig auf. Bereits am darauffolgenden Morgen würde sie die Verbände wechseln; sie bestanden aus weichem und schützendem Pflanzengewebe und würden Entzündungen vorbeugen und die Vernarbung beschleunigen. Drei Tage verstrichen. Sethi erwachte aus seinem Todesschlaf, nahm Wasser und Honig zu sich. Paser hatte sein Lager nicht verlassen. »Du bist gerettet, Sethi, gerettet!«

»Wo bin ich?«

»Auf einem Schiff, nahe deinem Dorf.«

»Du hast dich erinnert … ich wollte hier sterben.«

»Neferet hat dich behandelt, du wirst gesund werden.«

»Deine Verlobte?«

»Eine außerordentliche Wundärztin und die beste aller Heilkundigen.«

Sethi versuchte, den Oberkörper aufzurichten; der Schmerz entriß ihm einen Schrei, und er fiel wieder zurück.

»Vor allem rühre dich nicht!«

»Ich, zur Bewegungslosigkeit verdammt …«

»Sei etwas geduldig.«

»Dieser Bär hat mich zerfleischt.«

»Neferet hat dich wieder zusammengenäht, deine Kräfte werden zurückkehren.« Unversehens brachen Sethis Augen. Voller Entsetzen glaubte Paser, er würde dahinschwinden; doch Sethi drückte seine Hand mit aller Macht. »Ascher! Ich mußte unbedingt überleben, um dir von diesem Ungeheuer zu berichten!«

»Beruhige dich.«

»Du mußt die Wahrheit kennen, Richter, du, der du der Gerechtigkeit in diesem Land Achtung verschaffen mußt.«

»Ich höre dir zu, Sethi, aber ereifere dich nicht, ich bitte dich.«

Der Zorn des Versehrten legte sich. »Ich habe Heerführer Ascher einen ägyptischen Krieger foltern und meucheln sehen. Er war in Gesellschaft von Asiaten, von jenen Aufrührern, die er zu bekämpfen vorgibt.«

Paser fragte sich, ob nicht das Fieber seinen Freund im Wahn reden ließ; Sethi hatte sich indes beherrscht geäußert, wenn er auch jedes Wort hämmernd betonte. »Du tatest recht daran, ihn zu verdächtigen, und ich, ich erbringe dir den Beweis, der dir fehlte.«

»Eine Zeugenaussage«, berichtigte der Richter.

»Genügt das nicht?«

»Er wird es leugnen.«

»Mein Wort wiegt soviel wie seines!«

»Sobald du wieder auf den Beinen bist, werden wir über eine geeignete Vorgehensweise nachsinnen. Sprich mit niemandem darüber.«

»Ich werde leben. Ich werde leben, um diesen Elenden zum Tode verurteilt zu sehen.« Ein schmerzvolles Grinsen verzerrte Sethis Gesicht. »Bist du stolz auf mich, Paser?«

»Du und ich, wir stehen zu unserem Wort.«

Am Westufer wuchs Neferets Ansehen. Das Gelingen des Eingriffs erstaunte ihre Berufsgenossen; manche wandten sich gar zur Behandlung schwieriger Fälle an die junge Ärztin. Sie verweigerte sich dem nicht, machte jedoch zur Bedingung, daß das Dorf, das sie beherbergt hatte, auch in Zukunft bevorzugt und Sethi in Der el-Bahri[63] aufgenommen werden möge. Die für die Gesundheitspflege zuständigen Obrigkeiten willigten ein; der wundersam gerettete Held der Schlachtfelder wurde zu einer Zierde der Heilkunde.

Der Tempel von Der el-Bahri verehrte Imhotep, den größten Heiler des Alten Reiches, dem man eine in den Fels gehauene heilige Stätte gewidmet hatte. Die Ärzte sammelten sich in ihr und erbaten die für die Ausübung ihrer Kunst unerläßliche Weisheit ihres Ahnherrn. Einige wenige Kranke wurden zugelassen, die Dauer ihrer Genesung an diesem herrlichen Ort zu verbringen; sie schritten unter Säulengängen dahin, erfreuten sich an den Steinbildnereien, die von den Großtaten der Pharaonenkönigin Hatschepsut berichteten, und lustwandelten in den Gärten, um dort den harzigen Duft der Weihrauchbäume zu atmen, die aus dem märchenumwobenen Lande Punt, nahe der Somaliküste, eingeführt worden waren. Kupferrohre speisten Becken aus unterirdischen Sickerschächten und Kammern mit einem heilenden Wasser, das mit ebenfalls kupfernen Gefäßen geschöpft wurde; Sethi mußte an die zwanzig von ihnen jeden Tag leeren, um damit Entzündungen sowie den anderen nach einem Eingriff auftretenden Unbilden vorzubeugen. Dank seiner erstaunlichen Lebenskraft würde er rasch gesunden. Paser und Neferet schritten die lange blumengeschmückte Rampe hinunter, die die Terrassen Der el-Bahris miteinander verband. »Ihr habt ihn gerettet.«

»Ich habe Glück gehabt, und er auch.«

»Sind irgendwelche Nachwehen zu befürchten?«

»Einige Narben.«

»Sie werden ihn nur anziehender machen.« Eine sengende Sonne erreichte den Scheitelpunkt.

Sie ließen sich im Schatten einer Akazie am Fuße der Rampe nieder. »Habt Ihr nachgedacht, Neferet?« Sie blieb still. Ihre Antwort würde ihm Freude oder Leid bereiten. Unter der Mittagshitze hielt das Leben inne. Auf den Feldern aßen die Bauern im Schutze von Schilfhütten, in denen sie sich einen ausgiebigen Mittagsschlaf gönnen würden. Neferet schloß die Augen.

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63

An dieser Stätte am Westufer Thebens erbaute die berühmte Pharaonenkönigin Hatschepsut einen großen Tempel, den man noch heute besichtigen kann.