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Zuerst erklangen aus den mächtigen Instrumenten des Orchesters die belebenden Takte des »Columbus March« von Professor John K. Paine in Cambridge. Langsam und gemessen wand sich der Zug die La Salle Street hinaus. Fast gleichzeitig rückte der Wagen mit dem Sechsgespann an, von dem jedes Pferd kostbare Schabracken trug und mit Federbusch und Aigrette geschmückt war. Die Blumenguirlanden in den Händen der sechs Auserwählten, die nur ein launenhafter Zufall zu solchen gemacht hatte, spannten sich gleichmäßig an.

Dann setzten sich die militärischen, civilen und städtischen Behörden, die den Reiterabtheilungen folgten, in bester Ordnung in Gang.

Es bedarf wohl kaum der Erwähnung, daß in der La Salle Street alle Fenster, Balkons und vielfach sogar die Dächer von Zuschauern jedes Alters, die meist schon seit dem letzten Abend warteten, voll besetzt waren.

Als die ersten Reihen des Gefolges das Ende der Straße erreicht hatten, schwenkten sie ein wenig nach links ab, um nach der den Lincoln-Park begleitenden Alleestraße zu gelangen. Welch unglaubliches Gewühl von Menschen herrschte da innerhalb der zweihundertfünfzig Acres dieser Anlage, die im Osten von den rauschenden Wellen des Michigan benetzt wird – in dieser Schmuckwaldung mit ihren schattigen Alleen, ihren Buschgruppen, Rasenflächen, bewaldeten Dünen, ihrer Winston-Lagune, mit den zum Andenken Grant’s und Lincoln’s errichteten Monumenten, dem Paradefelde und in dem davon umschlossenen zoologischen Garten, wo die Raubthiere heulten und brüllten und die Affen hastig hin und her sprangen, wie um sich der Erregung in der Volksmenge in ihrer Art anzupassen! Da der Park an Wochentagen sonst so gut wie menschenleer ist, hätte sich ein Fremdling fragen können, ob heute vielleicht Sonntag wäre. O nein, es war Freitag – der traurige, widerwärtige Freitag – der dieses Jahr auf den 3. April fiel.

Nun, heute bekümmerten sich die Neugierigen nicht darum, tauschten ihre Bemerkungen beim Vorüberkommen des Zuges aus und bedauerten daneben gewiß, nicht selbst daran theilnehmen zu können.

»Das steht fest, meinte einer, die Feier ist ebenso schön, wie die bei der Eröffnung unserer Weltausstellung!

– Gewiß, antwortete ein anderer, der Zug kann sich getrost mit dem vom 24. October auf der Midway Plaisance messen.

– Und die Sechs, die unmittelbar neben dem Wagen gehen! rief ein Schiffer vom Chicagoflusse.

– Ja, die mit gefüllter Tasche zurückkommen werden! setzte ein Arbeiter aus der Cormick’schen Werkstatt hinzu.

– Die haben jeder das Große Los gewonnen! erklärte ein dicker Brauer, dem das Bier aus allen Poren schwitzte. Ich gäbe gleich mein Gewicht in Gold darum, könnt’ ich jetzt an ihrer Stelle sein!

– Und dabei würden Sie nichts verlieren! versicherte ein kräftiger Schlächter aus den Stock Yards.

– Das ist ein Tag, der jenen hübsche Werthpapiere in ganzen Haufen einbringt! ließ sich eine Stimme neben den beiden vernehmen.

– Ja, ihr Glück ist gemacht!

– Und welch ein Glück!

– Für jeden zehn Millionen Dollars…

– Sie wollen sagen, zwanzig Millionen…

– Eher nahe an fünfzig als zwanzig!«

So wie die wackeren Leute nun einmal im Zuge waren, wären sie bald auch noch bis zur Milliarde gekommen – ein Wort, das in den Vereinigten Staaten übrigens gang und gäbe ist. Wohl zu bemerken, beruhten indeß alle diese Behauptungen auf grundloser Annahme.

Doch siehe da: Will der Zug etwa gar seinen Weg um die ganze Stadt nehmen?

Wenn ein derartiger Spaziergang im Programme vorgesehen war, dann reichte freilich der ganze Tag dazu nicht aus.

Wie dem auch sein mochte, jedenfalls kam die lange Colonne unter gleichmäßigen Freudenbezeugungen und unter den rauschenden Klängen des Orchesters und den Vorträgen der Sänger, die eben, begrüßt mit donnernden Hipps und Hurrahs der Zuschauer, das Lied »To the Son of Art« angestimmt hatten, vor dem Eingange zum Lincoln-Park da an, wo die Fullerton-Avenue endigt. Sie wendete sich nun nach links und schlängelte sich, etwa zwei (amerikanische) Meilen weit, nach Westen bis zum nördlichen Arme des Chicagoflusses hin. Zwischen den von Menschen vollgestopften Fußwegen war noch Platz genug für eine ungehinderte Bewegung des merkwürdigen Zuges.

Nach Ueberschreitung der Brücke erreichte er über die Brand Street hinweg die prächtige, belebte Straße, die auf eine Strecke von elf Meilen den Namen Boulevard Humboldt führt und erst nach Westen, dann nach Süden zu verläuft. Von der Ecke des Logan Square aus verfolgte der Zug diese Richtung, nachdem zahlreiche Polizisten den Fahrdamm von der fünfsachen Reihe sich drängender Zuschauer gesäubert hatten.

Von hier aus rollte der Wagen nach dem Palmer Square zu und erschien vor dem Parke, der ebenfalls den Namen des berühmten deutschen Gelehrten trägt.

Drei einstimmig ausgebrachte Hurrahs erschütterten die Luft.(S. 14.)

Es war jetzt Mittag. Im Humboldt-Parke wurde einmal Halt gemacht, was recht nothwendig erschien, denn noch war ein langer Weg zurückzulegen. Die Volksmenge konnte sich auf dem von plätscherndem Wasser erfrischten Gebiete, das über zweihundert Acres einnimmt, nach Belieben zerstreuen.

Als der Wagen still stand, stimmten die Musiker und die Sänger das »Star Spangled Banner« an, dem ein rauschender Applaus folgte, als wäre es in der Music Hall des Casinos vorgetragen worden.

Der westlichste Punkt, der im Programm für den Zug vorgeschrieben war, wurde gegen zwei Uhr erreicht und lag am Garfield-Parke. Man sieht, an Parken fehlte es der großen Stadt von Illinois eben nicht. Wenn man nur die fünfzehn größten in Rechnung zieht – der Jackson-Park bedeckt allein fünfhundertachtzig Acres – so umfassen diese zusammen eine mit Buschwerk, Dickichten, Blumenrabatten und Rasen bedeckte Fläche von zweitausend Acres (gleich 800 Hektar).

Als der Winkel am Boulevard Douglas überschritten war, wendete sich der lange Zug nach Osten dem Douglas-Parke zu, von hier mehr nach Südwesten über den mittleren Arm des Chicagoflusses und weiter am Canal von Michigan hin, der diesen flußaufwärts begleitet. Jetzt galt es noch, nach Süden zu die Western Avenue auf eine Strecke von drei Meilen (4800 Meter) zu überwinden, um nach dem Gage-Park zu gelangen.

Eben schlug es auf den Thürmen drei Uhr und es wurde rathsam, ein zweitesmal Halt zu machen, ehe die Rückkehr nach den eigentlichen Stadtquartieren angetreten wurde.

Diesmal wurde das Orchester scheinbar ganz toll; es spielte mit außerordentlichem Feuer die lebhaftesten Zweiviertelstücke, die rasendsten Allegros aus den Repertoiren eines Lecocq und Varney, eines Audran und Offenbach. Kaum glaublich erschien es, daß unter dem Einflusse dieser Rhythmen von den öffentlichen Bällen nicht alle Welt zu tanzen begann. In Frankreich hätte man sich nicht bezwingen können.

Dazu herrschte trotz empfindlicher Kühle ganz prächtiges Wetter. In den ersten Apriltagen behält das Klima von Illinois meist noch seinen winterlichen Charakter und die Schiffahrt auf dem Michigansee und dem Chicagoflusse bleibt gewöhnlich von Anfang December bis Ende März unterbrochen.

Trotz der noch recht niedrigen Temperatur war die Luft so rein, die Sonne, die ihren Bogen am wolkenlosen Himmel beschrieb, sandte so glänzende Strahlen herab, als hätte sie sich selbst auf eine Festlichkeit eingerichtet – wie die Berichterstatter der officiösen Presse sich auszudrücken lieben – so daß voraussichtlich bis zum Abend alles nach Wunsch verlief.

Die Menge der Zuschauer verminderte sich übrigens keineswegs. Waren es keine Neugierigen aus den Quartieren des Nordens, so waren es solche aus denen des Südens, und die einen gaben den andern bezüglich unverhohlener Lebhaftigkeit und enthusiastischer Hurrahs, die den Zug überall begleiteten, in keiner Weise etwas nach.

In dem Gefolge hielten sich die einzelnen Gruppen noch immer ebenso zusammen, wie seit dem Aufbruche in der La Salle Street, und ebenso wie das sicherlich noch am Ende des langen Weges der Fall zu sein versprach.