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Erster Teil

Etwa zwei Jahre nach der Aufhebung der Leibeigenschaft, am Tage der Verklärung Christi, fiel den Pfarrkindern der Kirche zum heiligen Nikolaus »auf den Pfählen« während der Messe ein Fremder auf. Er drängte sich durch die Menschenmenge, stieß alle unhöflich an und stellte vor den in der Stadt Driomow am meisten geachteten Heiligenbildern kostbare Kerzen auf. Er war ein kraftstrotzender Mann mit einem großen, geringelten, stark angegrauten Bart, mit einer dichten Kappe dunkler, auf Zigeunerart krauser Haare; die Nase war groß; unter den höckerigen, dichten Brauen blickten verwegen graue, bläulich schimmernde Augen, und man sah, daß die breiten Handflächen bis an die Knie reichten, wenn er die Arme herabhängen ließ. Er trat in der Reihe der angesehenen Stadtbürger zum Kreuz. Das mißfiel den Leuten vor allem, und als die Messe vorüber war, blieben die Honoratioren von Driomow am Kircheneingang stehen, um ihre Gedanken über den Fremden auszutauschen. Die einen meinten, er wäre ein Händler, die andern – ein Dorfvogt, der Stadtälteste, Jewsej Bajmakow, ein friedlicher Mensch von schwacher Gesundheit, aber mit einem guten Herzen, sagte indessen, leicht hüstelnd: »Vermutlich gehört er zum Hofgesinde und ist Leibjäger oder irgend was anderes auf dem Gebiet herrschaftlichen Zeitvertreibs.«

Der Tuchhändler Pomialow, mit dem Spitznamen »die verwitwete Küchenschabe«, ein geschäftiger Lüstling und Liebhaber böser Worte, ein häßlicher, pockennarbiger Mensch, sagte übelwollend: »Habt ihr gesehen, was für lange Tatzen er hat? Und wie er daherschreitet, als ob man seinetwegen auf allen Glockentürmen läutete.«

Der breitschultrige, großnasige Mensch ging mit festen Schritten über die Straße, wie über seinen eigenen Grund und Boden. Er trug ein blaues Wams aus haltbarem Tuch und gute Schaftstiefel aus Juchtenleder, hielt die Hände in den Taschen und preßte die Ellbogen fest gegen die Seiten. Die Bürger beauftragten die Hostienbäckerin Jerdanskaja, herauszubringen, wer dieser Mensch sei, und begaben sich dann beim Glockengeläute in Pomialows Himbeergarten, wohin sie zu Abendtee und Pirogen geladen waren.

Am Nachmittag sahen andere Einwohner von Driomow den Unbekannten jenseits des Flusses auf der »Kuhzunge«, einer Landzunge aus dem Besitz der Fürsten Ratski. Der Mann ging durch das Weidengebüsch, durchmaß die sandige Landzunge mit gleichmäßigen, großen Schritten, blickte unter der vorgehaltenen Handfläche nach der Stadt, auf die Oka und auf deren knotig verschlungenen Nebenfluß, die sumpfige Watarakscha. In Driomow leben vorsichtige Leute, und niemand entschloß sich, ihn anzurufen und zu fragen, wer er sei und was er tue? Man schickte aber doch den Wächter Maschka Stupa, einen Saufbold und Stadtnarren, zu ihm; der zog schamlos, vor allen Leuten und ohne sich vor den Frauen zu genieren, seine Diensthosen aus, behielt aber den zerdrückten Tschako auf dem Kopf. Er durchwatete die schlammige Watarakscha, blies seinen großen Trinkerbauch auf, trat in komischem Gänseschritt auf den Fremden zu und fragte, um sich Mut zu machen, absichtlich laut:

»Wer bist du?«

Man hörte die Antwort des Fremden nicht, Stupa kehrte aber sogleich zu den Seinigen zurück und erzählte:

»Er hat mich gefragt: Warum bist du bloß so scheußlich? Er hat große, böse Augen und sieht wie ein Räuber aus«.

Des Abends berichtete in Pomialows Himbeergarten die Hostienbäckerin Jerdanskaja, eine bekannte Wahrsagerin und »weise Frau« mit einem Kropf, den Honoratioren, indem sie ihre furchtbaren Augen rollte:

»Er heißt Ilja, sein Familiennamen ist Artamonow; er sagte, er wolle wegen seiner Geschäfte ganz bei uns bleiben; ich konnte aber nicht herausbringen, was es für Geschäfte sind. Er ist auf dem Wege über Worgorod gekommen und ist auf demselben Wege nach drei Uhr wieder abgereist.«

Man erfuhr also nichts Besonderes von diesem Menschen, und das war unangenehm, – als hätte jemand des Nachts ans Fenster geklopft und wäre verschwunden, nachdem er wortlos ein kommendes Unheil angekündigt hatte.

Es waren etwa drei Wochen vergangen, und die Narbe im Gedächtnis der Bürger war beinahe verheilt, als plötzlich dieser Artamonow mit drei Begleitern direkt bei Bajmakow erschien und zu ihm sprach, als schlage er mit der Axt drein:

»Da hast du ein paar neue Einwohner, Jewsej Mitritsch. Nimm sie in deine kluge Hand. Bitte, hilf mir, an deiner Seite in einem guten Leben Fuß zu fassen«.

Er erzählte sachlich und kurz, er hätte zu dem Gesinde der Fürsten Ratski auf deren Erbgut im Gouvernement Kursk an dem Flusse Rat gehört; er war der Verwalter des Fürsten Georgi gewesen, kam nach Aufhebung der Leibeigenschaft frei, wurde reich beschenkt und beschloß nun sein eigenes Werk aufzubauen: eine Leinenweberei. Er sei Witwer, seine Söhne hießen: der älteste Pjotr, der Bucklige Nikita; der dritte, Alexej, war sein Neffe, den er aber adoptiert hatte.

»Unsere Bauern bauen wenig Flachs an«, bemerkte Bajmakow nachdenklich.

»Wir werden sie dazu bringen, mehr anzubauen.«

Artamonows Stimme war tief und rauh; wenn er sprach, klang es, als schlage er auf eine große Trommel, während Bajmakow sein Leben lang vorsichtig auf der Erde einherging und leise sprach, als fürchte er jemand Schrecklichen zu wecken. Er betrachtete, mit seinen freundlichen, traurigen, fliederfarbenen Augen blinzelnd, die wie versteinert an der Tür stehenden Kinder Artamonows. Sie waren alle sehr verschieden: der Älteste sah dem Vater ähnlich, er war breitschultrig, hatte zusammengewachsene Brauen und kleine Bärenaugen; Nikita hatte Mädchenaugen, die groß und blau wie sein Hemd waren. Der lockige, rotwangige, schöne Alexej hatte eine klare weiße Haut und blickte gerade und fröhlich drein.

»Kommt einer davon zum Militär?« fragte Bajmakow.

»Nein, ich brauche die Kinder selber; ich habe für sie ein Dokument.«

Und Artamonow winkte den Kindern mit der Hand und befahclass="underline"

»Geht hinaus!«

Und als sie, unter Einhaltung der Altersreihenfolge, leise im Gänsemarsch hinausgegangen waren, sagte er, seine schwere Hand auf Bajmakows Knie legend:

»Jewsej Mitritsch, ich komme zugleich als Brautwerber zu dir. Gib deine Tochter meinem Ältesten zur Frau!«

Bajmakow erschrak geradezu, er sprang von der Bank auf und wehrte mit den Händen ab.

»Was fällt dir ein, Gott sei mit dir! Ich sehe dich zum erstenmal, ich weiß nicht, wer du bist und du kommst gleich mit so etwas! Ich habe nur die eine Tochter; es ist für sie noch zu früh zum Heiraten. Du hast sie ja auch nicht gesehen und weißt nicht, wie sie ist ... Was fällt dir ein?«

Aber Artamonow sprach, in seinen krausen Bart hinein lächelnd:

»Frage den Isprawnik nach mir! Er ist meinem Fürsten sehr verpflichtet, und der Fürst hat ihm geschrieben, er soll mir in allen Dingen beistehen. Du wirst nichts Schlechtes hören, ich rufe die Heiligenbilder als Zeugen an. Ich kenne deine Tochter, ich weiß hier, in deiner Stadt, alles; ich war unbemerkt viermal da und habe mich nach allem erkundigt. Auch mein Ältester war wiederholt hier und hat deine Tochter gesehen. Also sei unbesorgt!«

Bajmakow hatte ein Gefühl, als wäre ein Bär über ihn hergefallen. Er bat den Gast:

»Warte doch ...«

»Eine Weile kann ich warten ... aber nicht lange. Meine Jahre sind nicht danach«, sprach der hartnäckige Mann und rief durch das Fenster in den Hof hinaus:

»Kommt, verbeugt euch vor dem Hausherrn.«

Als sie sich verabschiedet hatten und gegangen waren, bekreuzte sich Bajmakow dreimal mit einem erschrockenen Blick auf die Heiligenbilder und flüsterte:

»Der Herr erbarme sich! Was sind das für Menschen? Er bewahre mich vor einem Unglück.«

Er schleppte sich, mit dem Stock klopfend, in den Garten, wo seine Frau und Tochter unter einer Linde Beeren einkochten. Die hübsche, stattliche Frau fragte: »Was waren das für Burschen auf dem Hof, Mitritsch?«

»Ich weiß nicht. Wo ist Natalia?«