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Nach einer Weile begannen Bilder in ihr zu erwachen. Zuerst sah sie nur rote und gelbe Schatten, dann waren es lodernde Flammen. Sie erblickte einen glühenden Lavaring vor sich, in dessen Mitte eine stolze neue Burg stand. Langsam ging sie auf das prächtige Gebäude zu. Es war aus schwarzen Lavasteinen gebaut, ähnlich wie die alte Festung, die dort vor vielen Wintern dem Feuer zum Opfer gefallen war. Die hohen Fenster waren hell erleuchtet, als hätte die neue Hüterin des Feuers bereits in ihrer Flammenburg Einzug gehalten.

Antana spürte die Hitze des nahen Lavaringes, der Wind dort war stets warm und roch nach Schwefel. Es war eine Ewigkeit vergangen, seit sie diesen Ort verlassen hatte. Damals, als Luovana noch lebte und die alte Burg noch gestanden hatte, war sie eine Weile lang sehr glücklich gewesen. Neugierig ging sie näher über den schmalen Burgweg, einer Art steinerner Brücke, die über den fließenden Lavastrom zu der Insel führte, auf der die Flammenburg stand. Sie brauchte eine Weile, bis sie das große Eingangsportal erreichte, das aus schwerem Eichenholz gezimmert war. Sie wollte hineingehen, doch da erhob sich aus dem Schatten eine schwarze, große Wölfin und versperrte ihr den Weg.

»Das ist Loba«, sagte sie. Antana wollte sich im Geiste umdrehen, um den Weg zurückzugehen, da sah sie über den schmalen Burgweg einen jungen Mann reiten. Er trug lange schwarze Gewänder, und sein dunkles Haar umwehte sein schmales, etwas blasses Gesicht. Gemächlich kam der große Rappe, den er ritt, auf sie zu. Hinter dem jungen Mann saß eine rotblonde Frau, die das leuchtend blutige Gewand der schwarzen Priesterin trug. Als die beiden den Burgweg passiert hatten, sah Antana, wie die Priesterin dem Mann von hinten ihre blutige Hand auf die Brust legte.

»Ich werde Euch führen«, sagte sie leise. »Verlaßt Euch ganz auf mich, dann werdet Ihr bald ein großer Meister sein!«

Antanas Herz klopfte so laut, als wäre es eine Trommel. Sie blinzelte zweimal und erwachte aus ihrer Trance. Auch der Kater schaute einen Augenblick lang fort, dann kam er langsam wieder näher und mauzte. Antana rieb sich über die Lider. Sie fühlte sich mit einemmal seltsam wach.

»Dein Sohn Raban ist zurückgekehrt, und er ist bei Inmee. Das also wolltest du mir sagen!« Die Heilerin richtete sich auf. Sie erinnerte sich einen Augenblick an das ruhige Kind, das Raban einst gewesen war, das Kind, das sie aufgezogen hatte, bis die beiden burgundischen Ritter es mit nach Worms genommen hatten.

»Er ist ein Mann geworden«, sagte sie nachdenklich. »Doch Inmee und die Wölfin werden ihn vernichten, sobald sie ihn nicht mehr brauchen. Er weiß nicht genug, und seine Kräfte werden nicht ausreichen, sich gegen beide zu wehren. Du hast recht, Pyros, wir müssen ihm helfen.« Sie wandte sich an den Kater und streichelte ihm sanft über den Kopf.

»Wir werden sofort aufbrechen«, sagte sie. Antana wußte, daß die Bilder, die Pyros ihr vermittelte, stets ein Werk seiner eigenen Vorstellungen waren. Sie war sich deshalb nicht sicher, ob Pyros genau wußte, daß Raban und Inmee die Flammenburg schon erreicht hatten, oder ob er wußte, daß sie dorthin unterwegs waren. Je früher sie Raban erreichen konnten, um so größer waren ihre Chancen, ihn nicht an die schwarze Priesterin zu verlieren, denn daß die Frau nichts Gutes mit ihm im Schilde führte, verstand sich von selbst.

Nicht, daß sie wirklich etwas gegen Rituale der schwarzen Priesterin gehabt hätte. Denn Antana war selbst dem dunklen Weg gefolgt und wußte, welch süße Verlockungen und welch bitteren Süchte davon ausgehen konnten. Sie hatte lange genug Menschen geopfert und deren Blut getrunken, als daß sie Raban diesen Weg hätte versagen können. Schließlich war seine leibliche Mutter auch eine schwarze Priesterin gewesen und sein Vater ein Feuermagier. Doch die Geschichte mit Loba gefiel Antana gar nicht. Einen göttlichen Dämon auf ein hilfloses Volk loszulassen war etwas, was die heilige Ordnung der Dinge durcheinanderbrachte. Dagegen mußte sie etwas tun.

Die Heilerin stand auf, suchte in ihrem Bündel nach dem Gewand, das sie vorsichtshalber mitgenommen hatte. Sie würde es Mirka geben, falls sie kein anderes gefunden hatte. Sie hob den Kater auf ihren Arm und ging, so rasch es ihre Füße erlaubten, zum Mondscheintempel hinauf.

Auf dem Kamm des Hügels schlug ihr ein frostiger Wind entgegen, der sich in dem silberweißen Portal des Tempels verfing, welches weit offenstand, als wäre es das gigantische Maul eines Ungeheuers. Antana zögerte. Bei Nacht schien dieser Ort noch weit mehr von der Göttin verlassen zu sein, als sie gedacht hatte. Vorsichtig ging sie näher. Im Tempel war es dunkel und still, keine der sonst warm leuchtenden Fackeln brannte.

Antana wagte sich nicht weiter. Sorgsam achtete sie darauf, daß sie nicht einmal mit den Fußspitzen das Innere des Tempels berührte. Sie hätte die heiligen Hallen nicht betreten, als die weiße Göttin hier noch herrschte, viel weniger war sie jetzt daran interessiert, da offenbar ein finsterer Geist diese heilige Stätte entweiht hatte. Mit dunklen Mächten begann man keinen Kampf, wenn es sich vermeiden ließ.

Der Kater auf ihrem Arm zitterte. Fauchend krallte er sich an ihrem Gewand fest. Antana hielt ihn mit beiden Händen schützend umfangen. So aufgeregt hatte sie das Tier noch nie zuvor gesehen.

»Ruhig, Pyros, ich werde nicht weitergehen«, flüsterte sie, doch sie spürte, wie sich die seltsame Unruhe des Tieres auf sie übertrug. Sie horchte. Außer dem Wind war kein Laut zu hören.

»Mirka!« rief sie leise. »Priesterin, seid Ihr hier? Wir dürfen keine Zeit verlieren!« Ihre Stimme wurde lauter. »Kommt heraus. Mirka? Wacht auf! Hört Ihr mich?«

Im Tempel blieb alles still. »Verflucht!« Antana versuchte, in der Dunkelheit der heiligen Halle etwas zu erkennen, doch es war so vergeblich, als hätte sie ihre Augen mit einem dunklen Tuch verbunden. Der Kater fauchte wieder. »Ich hätte sie hier nicht alleine lassen sollen«, sagte sie. »Dies ist kein Ort mehr, an dem man sich zur Ruhe legt, selbst dann nicht, wenn man eine Hohepriesterin der Gwenyar ist.«

Vorsichtig setzte sie den Kater auf den Boden, aber kaum hatte er die versteinerte Erde unter seinen Pfoten, da jagte er fort, den Tempelhügel wieder hinab.

Erstaunt schaute die Heilerin ihm nach. Es gab nur eines, was Pyros in seinem Leben wirklich fürchtete, und das war der Wahnsinn. Zu nah war er selbst einst dem Verlust seines Geistes gewesen, als daß er noch einmal die Nähe eines solchen Wesens ertragen hätte. Kaum hatte Antana diesen Gedanken zu Ende gedacht, sah sie aus den Augenwinkeln die silberne Spitze eines Schwertes aufblitzen. Mirka sprang aus der Dunkelheit des Tempels auf sie zu und hieb wie von Sinnen mit der Klinge um sich.

»Ihr habt Arma getötet! Ihr habt ihr in den Rücken geschossen«, schrie Mirka.

Antana versuchte dem Schwert auszuweichen.

Mirkas Schläge wurden wilder. Sie schrie laut und schien eine ungeheure Kraft zu entwickeln. Immer wieder stieß sie die Klinge in Antanas Richtung, so daß die Heilerin alle Mühe hatte, nicht getroffen zu werden.

Bei einer erneuten Attacke war Mirka schneller. Antana sprang katzenhaft zur Seite, aber es half nichts. Das Schwert streifte ihren Oberarm. Ein glühender Schmerz raste durch ihren ganzen Körper, daß sie am liebsten laut aufgeschrien hätte. Wütend hielt sie sich die blutende Wunde, doch sofort war die Hohepriesterin wieder neben ihr. Antana sah die erhobene Hand mit der blitzenden Klinge wieder auf sich zukommen. Sie konnte nicht weiter ausweichen, denn sie stand mit dem Rücken an der Tempelmauer.

Sie hörte den Schrei der Hohenpriesterin. »Ihr sollt es büßen, Mörderin!«

Da verlor Antana die Beherrschung. Zornig schleuderte sie der Angreiferin einen finsteren Fluch entgegen, den Pyros sie einst gelehrt hatte. Augenblicklich brach Mirkas wildes Geschrei ab, einen Herzschlag lang blieb die Hohepriesterin mit erhobenem Arm vor ihr stehen, schaute sie aus fiebrig glänzenden Augen an, als könne sie nicht begreifen, was geschehen war, dann ließ sie die Waffe fallen und brach ohnmächtig zusammen.