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»Aber er ist immerhin ein Anhänger der weißen Göttin«, bemerkte Norwin. »Oder etwa nicht?«

Brunhild zuckte mit den Schultern.

»Der Waldkönig ist nicht der eigentliche König des alten Volkes gewesen, sondern wirklich ein Rebell, der sich selbst zum Herrscher machte, ohne ein wirkliches Interesse an der Macht zu haben.«

»Wozu machte er sich dann zum Herrscher? Das klingt ein wenig seltsam«, bemerkte Norwin.

Brunhild nickte. »Manche Legende von dem Waldkönig klingt ziemlich seltsam. Aber es heißt, Rono sei aus den edlen Reihen der Gendor, den ersten Rittern des Königs, ausgeschlossen worden, weil er sich weigerte, den alternden Regenten bei einem Reiterspiel gewinnen zu lassen. Als man ihn aufforderte, den Saal des Hohenrates zu verlassen, gründete er wenig später im Wald sein eigenes Königreich, ohne jedoch einen Machtanspruch geltend zu machen. Er wollte nur sein eigener Herr sein in seinem Schloß und in seinem Garten. Rono erfreute sich und seine Gefolgsleute mit den erlesensten Spielen und Gastlichkeiten, hielt Hof, wenn es ihm paßte, und feierte rauschende Feste, die stets mehrere Tage andauerten. Man erzählt sich, daß Rono ein begnadeter Tänzer war, ein furchtloser Reiter und ein leidenschaftlicher Liebhaber. Er hat niemals wirklich die Krone angegriffen, und der alte Regent war weise genug, Rono sein Zauberschloß zu lassen und ihn nicht zu bekämpfen. So zog Rono dann auch mit den andern Gendor in den großen Krieg hinauf in den Norden, als das alte Volk bedroht wurde. Aber seine Art, die Feinde in eine geheime Falle zu locken, entsprach nicht der Art zu kämpfen, wie die es Gendor gewohnt waren. Sie verlangten, daß er sich ihnen und ihrer Art zu kämpfen anschloß. Doch er gehorchte ihnen nicht und lockte die Feinde weiterhin in die Falle. Einige der Gendor neideten ihm diese kleinen Siege gegen die finstere Übermacht, und so setzten sie das Gerücht in Umlauf, daß Rono die Göttin verriet. Das ist die schlimmste Schmach, die man einem Gendor antun kann, denn es geht gegen seine Ehre, mit der er als Streiter für die Göttin einsteht. Selbst wenn er bereits vom Hohenrat ausgeschlossen war.«

»Und was geschah dann?«

»Rono verließ die Schlacht und den Krieg, der alsbald verlorenging. Einige der Gendor, die Rono verleumdet hatten, starben in seltsamen Duellen mit einem geheimnisvollen Ritter, dessen Helm mit einem Drachenkopf verziert war, was das Gerücht erhärtete, der Waldkönig habe sich von der Göttin abgewandt, denn die Drachenreiter des Ostens folgten einem anderen Gott. Doch niemand vermochte wirklich etwas darüber zu sagen, weil niemand das geheimnisvolle Waldschloß und Rono noch einmal gesehen hat. Dafür blühten immer wieder neue Erzählungen von Rono, über Heldentaten, die er vollbracht haben soll. Rono wurde mehr und mehr zu einem Mythos seines Volkes. In jedem Dorf fand sich einer, der von dem geheimnisvollen Reiter berichten konnte, der Unschuldige gerettet oder gegen Ungeheuer gekämpft hatte. Ich erinnere mich sehr genau daran«, sagte Brunhild, »daß die Geschichten dieses Rebellen auch zu Ramees Lieblingsmären gehörten. Ihre Augen begannen stets zu glänzen, wenn sie von ihm sprach, daß man glauben konnte, sie sei ihm wirklich im Leben begegnet und habe ihn geliebt. Sie war fest davon überzeugt, daß das alte Volk den Krieg damals hätte gewinnen können, wenn die Gendor Rono unterstützt hätten.«

Norwin nickte. »Jedenfalls ist dieser Garten dort unten in der Tat so etwas wie eine verzauberte Mär«, bemerkte er und reichte Brunhild einen Kelch mit Wein.

Brunhild nippte an dem schimmernden Getränk. »Solch eine Blütenpracht hat es selbst am Wasserfall nicht gegeben«, sagte sie nachdenklich. Sie war mit Arma früher häufiger ausgeritten, doch an einen solchen Ort wie diesen konnte sie sich nicht erinnern. Andächtig schaute sie hinunter. Unter dem Fenster wuchsen Bäume und Blumen der schönsten Art. Rote, gelbe und blaue Blüten wetteiferten um die Gunst der strahlenden Sonne. Ein paar hohe Bäume beugten am Rande des Gartens ihre Häupter schützend darüber, sorgsam bedacht, den Blumen nicht zu viel Licht zu nehmen. Dazwischen waren kleine Wege und Brücken angelegt, die dem Ganzen einen stillen Reiz verliehen. Einige kleine Brunnen sorgten für frisches Wasser und Kühlung. Im Schatten der Bäume standen steinerne Bänke, auf denen sich die Besucher dieses Gartens ausruhen konnten.

»Ich glaube nicht, daß ein Mann, dem ein solcher Garten gehört, die Göttin verraten hat und den Gott der Drachenreiter anbetet«, bemerkte sie. »Aber das alles ist unsinnig!« Brunhild schaute auf. »Die Geschichten von dem Waldkönig stammen aus der alten Zeit. Das alles ist vor vielen unzähligen Wintern entstanden, als daß dies hier wahr sein könnte! Versteht Ihr? König Rono ist eine Legende.«

»Was erzählt man sich denn sonst noch für Geschichten über den Waldkönig?« fragte Norwin und schenkte Brunhild aus einem silbernen Pokal wieder etwas Wein nach.

Brunhild atmete tief ein. »Das...«

»Das meiste lohnt sich nicht zu wissen«, unterbrach sie eine freundliche Stimme. »Denn es ist ohnehin nichts davon wahr.«

Brunhild fuhr herum.

In der Tür stand der Mann mit der Samtmaske. Er trug eine schwarzlederne Jagdrüstung und schwarze Handschuhe, darüber einen dunklen Umhang. Langsam kam er näher, und sie spürte, wie ihr Blut schneller in ihren Adern zu kreisen begann.

Für den Hauch eines Augenblicks fragte sie sich, ob die Geschichte des Waldkönigs doch wahr sein könnte, dann verwarf sie den Gedanken wieder. Wahrscheinlich war der Mann lediglich ein kunstfertiger Magier, der sie glauben machen wollte, daß er Rono war. Sie nahm sich vor, ihm nicht in die Falle zu gehen.

»Es freut mich, Euch, Hüterin des Feuers«, er deutete galant eine Verbeugung an, »so lebendig und gesund vor mir zu sehen. Der Schlaf hat Euch anscheinend gutgetan. Ihr seht erholt aus.«

»Ja, so fühle ich mich in der Tat«, erwiderte Brunhild. Die tiefe Stimme des Mannes war wie Balsam auf ihrer Haut.

»Wie geht es Eurem Arm, Krieger?« Er wandte sich an Norwin.

»Der Diener hat die Wunde heute früh mit einer Salbe bestrichen, seitdem habe ich keine Schmerzen mehr.«

Der Mann mit der Samtmaske schlug seinen Umhang ein wenig zurück. »So seid für eine Weile meine Gäste und laßt mich alle Eure Wünsche wissen.«

Brunhild verneigte sich. »Ihr seid sehr liebenswürdig. Aber ich glaube, mein Begleiter und ich werden nun wieder aufbrechen. Wir haben Eure Gastfreundschaft lange genug in Anspruch genommen! Wir haben uns gestärkt und ausgeruht und werden nun unseren Kampf wieder aufnehmen. Es wäre falsch, noch länger zu bleiben.«

»Wie Ihr wollt, nur...« Der Fremde zögerte einen Augenblick. »Ich ließ für Euch ein Mahl anrichten, und heute abend wird Euch zu Ehren ein Ball stattfinden. Es wäre bedauerlich, wenn Ihr sofort wieder abreisen würdet!«

»Versteht, mein Begleiter«, Brunhild deutete auf Norwin, »und ich haben es sehr eilig! Es ist wichtig, daß wir nicht zu spät kommen.«

»Eilig hat es nur der, der den Tod sucht«, sagte der Craiach leise. »Der, der leben will, kann gelassen warten, was geschieht, denn alles geschieht zu seiner Zeit. Doch ich will Euch nicht aufhalten.« Er wandte sich um, blieb aber dann wieder stehen. »Vielleicht habt Ihr jedoch noch Muße genug, um mit mir einen kurzen Spaziergang durch meinen Garten zu machen, bis meine Diener für Eure Abreise alles gerichtet haben, was Ihr benötigt.«

Brunhild erinnerte sich an die Blütenpracht, die sie vom Fenster aus gesehen hatte. Der Kampf gegen Inmee und die Wölfin schien ihr plötzlich sehr weit fort zu sein. Die warme, tiefe Stimme des Mannes ließ sie nicht los. Ihr war, als habe sie lange nichts wirklich Schönes mehr gesehen, und dieser Garten und auch die Nähe dieses Mannes taten ihr sehr gut. Sie warf einen raschen Blick zu Norwin, der ihr leicht zunickte, als hätte er ihre Gedanken erraten.

»Einverstanden«, sagte sie. »Aber nur, wenn es nicht zu lange dauert!«