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Jairs Gesicht nahm einen entschlossenen Ausdruck an. Einem Ungeheuer helfen? Nicht um alles in der Welt!

Rasch zog er die Silberkette mit ihrem Stein aus seinem Hemd und umfing sie liebevoll mit beiden Händen. Sie stellte seine einzige Verbindung zur Welt außerhalb dieser Zelle dar und sein einziges Mittel, etwas über Brins Verbleib zu erfahren. Er betrachtete die Kristallkugel und hatte sich entschieden. Er würde sie noch einmal einsetzen. Er wußte, er müßte vorsichtig sein. Doch er benötigte ja auch nicht mehr als einen Augenblick. Er würde das Bild rufen und schnell wieder verlöschen lassen. Das Monster würde niemals der klügere sein.

Er mußte wissen, was aus Brin geworden war.

Mit dem Kristall in beiden Händen begann er zu singen. Leise und tief lockte seine Stimme die schlummernde Kraft des Steins und stieß in die trüben Tiefen. Von dort stieg langsam das Licht an und breitete sich aus — als weiße Flut, welche die schreckliche Finsternis durchdrang und ein unerwartetes Lächeln auf sein Gesicht zauberte.

Brin! rief er leise.

Das Bild erwachte zu Leben — das Gesicht seiner Schwester im Lichtschein vor ihm. Er sang anhaltend und langsam, und das Bild wurde deutlicher. Sie stand jetzt an einem See. Die Traurigkeit in ihrem Antlitz war zu Entsetzen geworden. Steif und reglos starrte sie über die grauen, nebelverhüllten Wasser zu einer Erscheinung im Kapuzenumhang, die in der Luft schwebte. Während er sang, drehte die Gestalt sich langsam und schwenkte, so weit herum, daß er ihr Gesicht sehen konnte.

Das Wünschlied geriet ins Stocken und verstummte, als das Gesicht näherrückte.

Es war Brins Gesicht!

Dann ließ ein flüchtiges Rascheln von der anderen Seite der dunklen Zelle Jairs Magen zu einem Eisklumpen erstarren. Er verstummte schlagartig, und das seltsame Bild erlosch. Jairs Hände schlössen sich um den Sehkristall und stopften ihn verzweifelt in seine zerfetzten Kleider hinab, wohlwissend, daß es schon zu spät war.

„Ssiehsst du, kleiner Freund, nun hasst du doch eine Möglichkeit gefunden, mir zu helfen!“ zischte eine kalte, vertraute Reptilienstimme.

Und die verhüllte Gestalt des Mwellrets Stythys trat durch die offene Zellentür.

Am Uferstreifen des Sees vom Finsterweiher trat ein langer, endloser Augenblick der Stille ein, die nur durch das leise Plätschern der gegen die Steine schwappenden Wellen gebrochen wurde. Der Schatten und die Talbewohnerin standen einander im düsteren Nebel wie lautlose Geister gegenüber, die man aus einer anderen Welt und einer anderen Zeit gerufen hatte.

„Sieh mich an!“ befahl der Schatten.

Brin blickte ihn unerschütterlich an. Das Gesicht, das der Finsterweiher zur Schau trug, War ihr eigenes: ausgezehrt, verzerrt und von Kummer gezeichnet, und wo normalerweise ihre dunklen Augen gewesen wären, brannten zwei blutrote Lichtschlitze wie Kohlen. Ihr Lächeln foppte sie von den Lippen des Geistes, der sie mit gezielter Gehässigkeit verhöhnte, und sein Lachen klang leise und böse.

„Kennst du mich?“ erklang das Flüstern. „Nenn mich beim Namen!“

Urin schluckte, als sich ihr die Kehle zuschnürte. „Du bist der Finsterweiher.“

Das Gelächter schwoll an. „Ich bin du, Brin von den Shady-Vale-Leuten, Brin von den Häusern Ohmsford und Shannara. Ich bin du! Ich bin die Geschichte deines Lebens, in meinen Worten wirst du dein Schicksal erfahren. Such ruhig, was du wissen möchtest!“

Das Zischen der Stimme des Finsterweihers ging in ein plötzliches Brodeln des Wassers über, über welchem er zu schweben schien. Eine feine, dünne Sprühfontäne schoß wie ein Gey sir in die vernebelte Luft und regnete auf das Talmädchen herab. Sie war so kalt wie der scheußliche Hauch des Todes.

Der Finsterweiher kniff die blutroten Augen zusammen. „Kind des Lichts, willst du etwas über die Finsternis erfahren, die der Ildatch darstellt?“

Brin nickte wortlos. Der Finsterweiher lachte ohne jede Heiterkeit und schwebte näher. „Alles was es an schwarzer Magie gab und gibt, führt zu dem Buch und ist durch Fäden verbunden, die eng um dich und die Deinen geschlungen sind. Kriege der Rassen, Kriege des Menschen — Dämonen aus einer Märchenwelt, alles eins. Sie gehören alle zusammen wie die Klangfarben einer Stimme. Die Menschheit stößt auf die schwarze Magie, giert nach einer Macht, über die zu gebieten sie nicht hoffen kann — und strebt deshalb nach dem Tod. Die Menschen schleichen, angetrieben durch seine Verlockung und ihr Bedürfnis, zum Versteck des Buches. Einmal zum Antlitz des Todes, ein andermal in die stockfinstere Grube der Nacht. Jedesmal finden sie, was sie suchen, und erliegen ihm; sie verwandeln sich von vernunftbegabten Individuen in Gespenster. Schädelträger und Mordgeister, sie sind alles eins. Und ihnen gemeinsam ist das Böse.“

Die Stimme verstummte. Brins Gedanken rasten beim Nachdenken über die Bedeutung dessen, was ihr gesagt worden war. Einmal zum Antlitz des Todes... der Schädelberg. Vergangenheit und Gegenwart waren eins, Schädelträger und Mordgeister — das wohl meinte der Finsterweiher. Sie waren Ausgeburten des gleichen Übels. Und irgendwie hing alles durch die gemeinsame Herkunft zusammen.

„Sie entstammen alle der schwarzen Magie“, sagte sie schnell. „Der Dämonen-Lord und die Schädelträger zur Zeit meines Urgroßvaters und heute die Mordgeister. Das meinst du doch, oder?“

„Tue ich das?“ zischte die Stimme leise und spöttisch. „Alle aus einem? Wo sitzt heute der Dämonen-Lord, Talmädchen? Wer leiht heute der Magie seine Stimme und sendet die Mordgeister aus?“

Brin starrte die Erscheinung wortlos an. Wollte der Finsterweiher etwa zum Ausdruck bringen, daß der Dämonen-Lord zurückgekehrt war? Aber nein, das war doch unmöglich...

„Diese Stimme ist unheilvoll, wenn sie zur Menschheit spricht“, erklärte der Finsterweiher in zischendem Singsang. „Diese Stimme entspringt der Magie, der Geheimlehre. Sie findet sich auf vielfache Weise — manche haben sie im gedruckten Wort, andere... im Gesang!“

Brin wurde es eiskalt. „Ich habe nichts mit ihnen zu tun!“ stieß sie hervor. „Ich gebrauche keine schwarze Magie!“

Der Finsterweiher lachte. „Das tut keiner, Talmädchen. Die Magie gebraucht sie. Darin liegt der Schlüssel zu allem, was du suchst. Darin liegt alles, was du wissen mußt.“

Brin bemühte sich, den Sinn zu erfassen. „Sprich weiter“, drängte sie.

„Weiter? Was weiter?“ Die nebelhafte Gestalt des Geistes schimmerte dunkel. „Soll ich dir von den Augen berichten — Augen, die dir folgen und jede deiner Bewegungen überwachen?“ Das Talmädchen blieb wie versteinert stehen. „Liebe betrachtet dich aus den Augen, denen der Kristall gehorcht. Doch ebenso betrachten dich blicklose, aus deiner eigenen Erbgabe geborene Augen in unheilvollen Absichten. Siehst du klar? Hältst du die eigenen Augen offen? Die Augen des Druiden, jenes dunklen Schattens seiner Zeit, waren es zeit seines Lebens nicht. Sie waren verschlossen gegenüber dem größten Teil der Wahrheit, verschlossen gegenüber dem Offenkundigen, wenn er nur nachgedacht hätte. Er hat die Wahrheit nicht erfaßt, der arme Allanon. Er sah nur die Rückkehr des Dämonen-Lords; er erkannte nur die Vergangenheit in der Gegenwart, nicht das latent Mögliche. Er hat sich täuschen lassen, der arme Allanon. Selbst im Tod folgte er dem Weg, auf den die schwarze Magie ihn drängte — und an seinem Ende stand er als Narr da.“

Brins Gedanken drehten sich im Kreis. „Die schwarzen Wandler — sie wußten, daß er kam, nicht wahr? Sie wußten, daß er in den Wolfsktaag käme. Deshalb war der Jachyra dort.“

Gelächter erscholl und hallte in der Stille des Nebels wider. „Die Wahrheit siegt! Aber vielleicht nur einmal. Traue nicht den Worten des Finsterweihers. Soll ich weitersprechen? Soll ich dir von deiner Reise in den Maelmord mit diesem tölpelhaften Prinzen von Leah und seinem verlorengegangenen Zauberschwert berichten? Oh, er ist so verrückt nach dem Besitz der Magie, macht sich so abhängig von dem, was ihm den Untergang bringen wird! Du vermutest doch schon, daß es ihm den Untergang bringt, nicht wahr, Talmädchen? Gesteh es ihm zu, damit sich sein Wunsch erfüllt und er sich in die Reihen jener einreiht, die vor ihm den gleichen Wunsch hegten und den Tod fanden. Er ist der starke Arm, der dich einem ähnlichen Schicksal entgegenführt. Soll ich dir etwa auch noch erzählen, wie du zu Tode kommst?“