»Großvater«, tadelte Kimber Boh ihn liebevoll.
»Was wußte der Finsterweiher denn zu berichten?« wollte Rone wissen.
»Was ich euch schon gesagt habe«, erwiderte Brin. »Daß sich das Schwert von Leah in Händen der Spinnengnomen befindet, die es aus den Wassern des Mangold-Stroms zogen. Daß der Weg in den Maelmord, auf dem man vor Blicken geschützt ist, durch die Abwasserkanäle von Graumark führt.«
»Und das war keine Irreführung?« bedrängte er sie.
Sie schüttelte langsam den Kopf und dachte an die geheimnisvolle Art und Weise, wie sie den Zauber des Wünschliedes angewendet hatte.
Cogline schnaubte verächtlich. »Na, und der Rest waren Lügen, möchte ich wetten!«
Brin schaute ihn an. »Der Finsterweiher prophezeite, der Tod erwarte mich im Maelmord — es gäbe kein Entrinnen für mich.«
Es trat erschreckte Stille ein. »Lügen, wie der alte Mann schon festgestellt hat«, murmelte Rone schließlich.
»Der Finsterweiher sagte voraus, du kämst dort ebenfalls ums Leben. Er behauptete, wir trügen beide schon den Keim des Todes in der Zauberkraft, über die wir verfügen: du im Schwert von Leah, ich im Wünschlied.«
»Und du glaubst diesen Unfug?« Der Hochländer schüttelte den Kopf. »Also, ich für meinen Teil nicht. Ich kann auf uns beide aufpassen.«
Brin lächelte traurig. »Und wenn die Worte des Finsterweihers, keine Lügen sind? Wenn auch dieser Teil der Wahrheit entspricht? Muß ich unbedingt deinen Tod auf mein Gewissen laden, Rone? Wirst du da darauf bestehen, mit mir zu sterben?«
Rone errötete angesichts ihres Tadels. »Wenn es sein muß. Allanon hat mich zu deinem Beschützer gemacht, als ich etwas werden wollte. Was für ein Beschützer wäre ich denn, wenn ich dich jetzt im Stich und dich allein weitergehen ließe? Wenn es vorherbestimmt ist, daß wir sterben sollen, Brin, dann muß das nicht dein Gewissen belasten. Ich nehme es auf das meine.«
Brin standen wieder die Tränen in den Augen, und sie mußte schwer schlucken, um die Gefühle, die in ihr aufstiegen, zu unterdrücken.
»Mädchen, Mädchen, nun wein doch nicht. Wein bloß nicht!« Cogline war plötzlich auf den Beinen und schlurfte zu ihrem Platz. Zu ihrer Überraschung strich er ihr liebevoll die Tränen fort. »Es sind lauter Spielchen beim Finsterweiher, nichts als Lügen und Halbwahrheiten. Der Schatten sagt jedermann den Tod voraus, als wäre er mit besonderen Einsichten gesegnet. Aber, aber. Was kann ein Geisterwesen schon vom Tod wissen?«
Er tätschelte Brin die Schulter, schaute grimmig zu Rone hinüber, als wäre es irgendwie seine Schuld, und murmelte etwas über verdammte Eindringlinge.
»Großvater, wir müssen ihnen helfen«, erklärte Kimber plötzlich.
Cogline fuhr zornig herum. »Ihnen helfen? Und was haben wir gerade getan, Mädchen? Feuerholz gesammelt?«
»Nein, Großvater, das denke ich nicht, aber...«
»Aber nichts!« Krumme Arme beschrieben eine ungeduldige Handbewegung. »Natürlich werden wir ihnen helfen!«
Das Talmädchen und der Hochländer schauten einander verblüfft an. Cogline kicherte schrill und trat dann nach dem schlafenden Wisper, daß der Kopf mit den langen Schnurrhaaren ruckartig hochfuhr. »Ich und dieses nichtsnutzige Tier — wir werden euch helfen, so gut wir können! Ich kann solche Tränen nicht sehen! Kann ja meine Gäste nicht durch die ganze Gegend laufen lassen, ohne daß ihnen jemand den Weg zeigt!«
»Großvater«, wollte das Mädchen ihn unterbrechen, aber der alte Mann beachtete sie gar nicht.
»Haben schon lange nicht mehr hinter diesen Spinnengnomen hergejagt, was? Gute Idee, sie mal wissen zu lassen, daß wir noch da sind, falls sie auf den Gedanken kommen, wir könnten fortgezogen sein. Oben auf dem Tofferkamm werden sie sein — nein, nicht um diese Jahreszeit. Nein, jetzt wo der Winter bevorsteht, sind sie vom Kamm ins Moor gezogen. Das ist ihr Zuhause; dorthin würden sie ein Schwert schleppen, wenn sie es aus dem Fluß gefischt haben. Wisper wird es für uns aufstöbern. Dann ziehen wir ostwärts am Rand des Moores entlang und hinüber zum Rabenhorn. Ein oder zwei Tage vielleicht, alles in allem.«
Er wirbelte wieder herum. »Aber du nicht, Kimber. Ich kann nicht zulassen, daß du kreuz und quer durch dieses Land ziehst. Die Wandler und das alles sind viel zu gefährlich. Du bleibst hier und paßt auf das Haus auf.«
Kimber warf ihm einen verzweifelten Blick zu. »Er hält mich immer noch für ein Kind. Ich bin diejenige, die sich Sorgen um ihn machen müßte!«
»Ha! Um mich brauchst du dir keine Sorgen machen!« fauchte Cogline.
Kimber lächelte nachsichtig, ihr Koboldgesicht wirkte gelassen. »Natürlich muß ich mir um dich Sorgen machen. Ich liebe dich doch.« Sie wandte sich an Brin. »Brin, du mußt eines verstehen. Großvater verläßt das Tal ohne mich überhaupt nicht mehr. Hin und wieder ist er auf meine Augen-und mein Gedächtnis angewiesen. Großvater, sei nicht ärgerlich über das, was ich sage, aber du weißt selbst, daß du manchmal vergeßlich bist. Und Wisper wird dir auch nicht immer gehorchen. Er wird verschwinden, wenn es dir am wenigsten paßt, falls du allein aufzubrechen versuchst.«
Cogline blickte finster drein. »Na ja, das macht der dumme Kater eben.« Er sah zu Wisper hinab, der ihn seinerseits schläfrig anblinzelte. »Zeitvergeudung, wenn ich versuche, ihn umzuerziehen. Na schön, dann werden wir wohl alle gehen müssen. Aber du hältst dich fern, wenn Schwierigkeiten auftreten, Mädchen. Die überläßt du mir.«
Brin und Rone warfen einander rasche Blicke zu.
Kimber wandte sich an sie. »Dann ist ja alles klar. Wir können bei Tagesanbruch aufbrechen.«
Das Talmädchen und der Hochländer schauten einander ungläubig an. Was ging hier vor? Als wäre es die selbstverständlichste Sache von der Welt, war gerade beschlossen worden, daß ein Mädchen, das kaum älter war als Brin, ein halbverrückter alter Mann und eine Katze, die manchmal verschwand, für sie das vermißte Schwert von Leah von irgendwelchen Kreaturen zurückerobern würden, die sie als Spinnengnomen bezeichnet hatten, um sie dann ins Rabenhorn-Gebirge nach Graumark zu begleiten! Es würde nur so wimmeln von Gnomen, Wandlern und anderen gefährlichen Wesen — Wesen, deren Macht den Druiden Allanon vernichtet hatte —, und der alte Mann und das Mädchen verhielten sich, als ob das alles gar nicht so wichtig wäre.
»Nein, Kimber«, meinte schließlich Brin, weil sie nicht wußte, was sie sagen sollte. »Ihr könnt uns nicht begleiten.«
»Sie hat recht«, bestätigte Rone. »Ihr könnt euch nicht einmal annähernd vorstellen, gegen welche Kräfte wir da antreten müssen.«
Kimber Boh schaute sie abwechselnd an. »Ich kann es mir besser vorstellen, als ihr denkt. Ich erklärte euch schon einmaclass="underline" Dieses Land ist meine Heimat. Und Großvaters. Wir kennen seine Gefahren und verstehen sie.«
»Ihr versteht doch nicht die schwarzen Wandler!« explodierte Rone. »Was könnt ihr zwei denn gegen sie ausrichten?«
Kimber gab nicht nach. »Ich weiß nicht. Vermutlich das gleiche wie ihr. Ihnen aus dem Weg gehen.«
»Und wenn ihr das nicht könnt?« fuhr Rone hartnäckig fort. »Was dann?«
Gogline schnappte nach dem Lederbeutel, der an seinem Gürtel hing, und hielt ihn von sich. »Ich werde sie meine Zauberkraft spüren lassen, Ausländer! Ich lasse sie das Feuer schmecken, von dem sie keine Ahnung haben!«
Der Hochländer zog voller Zweifel die Stirn kraus und schaute Brin hilfesuchend an. »Das ist Irrsinn!« schnauzte er.
»Sei nicht so schnell bei der Hand, die Magie meines Großvaters abzutun«, riet Kimber und nickte dem alten Mann beruhigend zu. »Er hat sein ganzes Leben in der Wildnis zugebracht und viele große Gefahren überlebt. Er ist zu Dingen imstande, die ihr ihm nicht zutrauen würdet. Er wird euch eine große Hilfe sein. So wie Wisper und ich ebenfalls.«