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Die Bergkette und die Wildnis kesselten sie ein und schlössen sie in den dunklen Paß. Die Luft, die den ganzen Tag über warm gewesen war, wurde heiß und unangenehm, ihr Geruch schal. Das geheime Leben, das in den Schatten des Waldgebiets lauerte, erwachte und erhob sich, Ausschau zu halten...

Unvermittelt teilte sich der Wald vor ihnen und führte durch die Kammlinie steil abwärts in eine weite, flache Ebene, die von Nebel verhüllt und durch die Sterne und einen eigentümlichen, blaß orangefarbenen Sichelmond, der am Rand des östlichen Horizonts hing, in gespenstisches Licht getaucht war. Der Talgrund, der sich düster und bedrückend vor ihnen ausbreitete, war kaum mehr als eine finstere, schwarze Masse des Schweigens, die sich wie eine bodenlose Schlucht in die Erde zu öffnen schien, wo der Tofferkamm sich im Nebel verlor.

»Das Altmoor«, flüsterte Kimber leise.

Brin starrte wachsam und schweigend auf das Moor hinab. Sie konnte fühlen, wie es ihren Blick erwiderte.

Mitternacht kam und ging, und die Zeit verstrich immer langsamer, bis sie endgültig stillzustehen schien. Ein Windhauch strich verlockend über Brins staubverklebtes Gesicht und erstarb. Sie schaute erwartungsvoll hoch, doch es kam nichts nach. Die Hitze kehrte schwer und drückend wieder. Brin hatte das Gefühl, als hätte man sie in einen Ofen gesperrt, wo unsichtbare Flammen ihren schmerzenden Lungen noch alle Luft raubten, die sie zum Überleben benötigte. Im Tiefland erfüllte die Herbstnacht nichts von ihrem Versprechen an Kühle. Schweiß tränkte Brins Kleider, rann in lästigen Rinnsalen an ihrem Körper hinab und überzog ihr ausgezehrtes Gesicht mit silbergrauem Film. Muskeln verspannten und verkrampften sich erschöpft. Obgleich sie sich häufig in dem Bemühen umdrehte, die Unbequemlichkeit zu mildern, stellte sie binnen kurzem fest, daß es keine neue Lage mehr gab, die sie hätte ausprobieren können. Darauf folgte unausweichlich, daß ihr bald alles weh tat. Schwärme von Stechmücken summten aufreizend und stachen sie, angezogen durch ihre Körperfeuchtigkeit, in Gesicht und Hände, und der Versuch, sie zu verscheuchen, erwies sich als völlig zwecklos. Rings um sie her stank die Luft nach faulendem Holz und brackigem Wasser.

Sie hockte mit Rone, Kimber und Cogline im Schutz der Schatten einer Felsengruppe und starrte hinab zum Fuß der Bergkette, wo sich das Lager der Spinnengnomen am Rand des Altmoors befand. Als wildes Durcheinander grob zusammengezimmerter Hütten und höhlenartiger Unterschlupfe erstreckte es sich vom Fuß des Tofferkamms bis zum dunklen Moor hin. In der Mitte mancher Hütten brannten vereinzelt ein paar Feuer, deren düsteres, flackerndes Licht kaum die Finsternis durchdringen konnte. Die gekrümmten, vornübergebeugten Schatten der Lagerbewohner huschten durch den trüben Schein. Die Spinnengnomen, deren eigentümliche, groteske Körper mit grauem Pelz bewachsen waren, jagten auf allen Vieren, gebückt und gesichtslos durch das dürre, hohe Gras. Sie versammelten sich in großen Gruppen am Rand des Moors, und die Flammen schützten sie vor dem Nebel, als sie ihren eintönigen Gesang in die Nacht aufsteigen ließen.

»Sie rufen die Mächte der Finsternis an«, hatte Cogline vor Stunden seinen Gefährten erklärt, nachdem er sie zu diesem Versteck geführt hatte. »Wenn die Gnomen schon ein Stammesvolk sind, so gilt das für die Spinnengnomen um so mehr. Sie glauben, daß mit dem Wechsel der Jahreszeiten Geister und unheilvolle Wesen aus anderen Welten auferstehen. Sie flehen sie an, ihnen von ihrer eigenen Kraft abzugeben — und hoffen gleichzeitig, daß diese Kraft sich nicht gegen sie selbst kehrt. Ha, abergläubischer Unfug!«

Doch manchmal existierten diese Wesen wirklich, erklärte ihnen Cogline. Im Altmoor gab es Dinge, die ebenso finster und schrecklich waren wie jene, welche in den Wäldern am Wolfsktaag hausten — Wesen, die aus anderen Welten und vergessenen Zauberkräften stammten. Man nannte sie Werbestien. Sie lebten im Nebel, Geschöpfe von scheußlichem Antlitz und Körper, die es auf Leib und Seele abgesehen hatten und schwächeren Lebewesen auflauerten, um ihnen ihre Lebenskraft auszusaugen. Die Werbestien wären keine Phantasiegeschöpfe, gab Cogline finster zu. Gegen ihre Überfälle suchten die Spinnengnomen sich zu schützen — denn die Spinnengnomen stellten die bevorzugte Nahrung der Werbestien dar.

»Und jetzt, wo der Herbst in den Winter übergeht, kommen die Gnomen ans Moor herunter und beten, daß die Nebel nicht aufsteigen sollen.« Die Stimme des alten Mannes war ein heiseres Flüstern gewesen. »Die Gnomen glauben, der Winter käme nicht oder die Nebel würden tief unten bleiben, wenn sie das nicht tun. Ein abergläubisches Volk. Sie kommen jeden Herbst für etwa einen Monat zu diesem Zweck hierher. Sie bauen hier regelrechte Lager auf, ganze Stämme von ihnen, die vom Gebirge herunterziehen. Rufen Tag und Nacht die Mächte der Finsternis an, damit der Winter sie schützt und die Bestien fernhält.« Er grinste geheimtuerisch und zwinkerte. »Und es funktioniert auch. Die Werbestien verspeisen im Laufe dieses einen Monats so viele von ihnen, daß sie damit durch den ganzen Winter kommen. Danach brauchen sie erst gar nicht ins Gebirge hinauf!«

Cogline hatte gewußt, wo das Spinnenvolk zu finden war. Bei Einbruch der Nacht war die kleine Gruppe am Fuß der Bergkette nordwärts gewandert, bis sie das Gnomenlager sichteten. Dann, während sie sich in den Schutz der Felsgruppe duckten, hatte Kimber Boh erklärt, was als nächstes zu geschehen hätte.

»Sie werden dein Schwert bei sich haben, Rone. Ein Schwert wie jenes, das sie aus den Fluten des Mangold-Stroms geborgen haben, werden sie als Talisman betrachten, den dunkle Mächte ihnen geschickt haben. Sie werden es vor sich aufbauen in der Hoffnung, daß es sie vor den Werbestien beschützt. Wir müssen herausfinden, wo sie es aufbewahren, und es uns dann von ihnen zurückholen.«

»Wie sollen wir das machen?« erkundigte Rone sich schnell. Er hatte während ihrer ganzen Wanderung hierher kaum von etwas anderem gesprochen. Die Verlockung der Macht des Schwertes hatte ihn wieder völlig in ihren Bann geschlagen.

»Wisper wird es suchen«, hatte sie erwidert. »Wenn er deine Witterung aufnimmt, kann er sie zum Schwert verfolgen, wie gut versteckt es auch sein mag. Und sobald er es gefunden hat, wird er zurückkommen und uns holen.«

Also hatten sie Wisper den Geruch des Hochländers aufnehmen lassen und ihn in die Nacht geschickt. Er war lautlos verschwunden, in die Schatten eingetaucht und fast auf der Stelle nicht mehr zu sehen gewesen. Seither hatten die vier vom Kamin zusammengekauert im feuchten Dunkel und der fauligen Schwüle des Tieflandes gewartet, gelauscht und sich immer wieder umgeschaut. Die Moorkatze war nun schon sehr lange fort.

Brin schloß die Augen vor Müdigkeit, die sie durchströmte, und versuchte, den Klang des Gnomengesangs aus ihren Sinnen zu verdrängen. Der dumpfe, sinnlose, monotone Singsang ging unvermindert weiter.

Mehrmals, während sie lauschte, waren ganz in der Nähe der Nebel Schreie zu hören gewesen: schrille, kurze, entsetzte Schreie. Doch sie waren fast sofort wieder verhallt. Nur der Gesang hielt weiter an...

Ein riesenhafter Schatten löste sich aus der Dunkelheit direkt vor ihr, und sie sprang mit einem leisen Aufschrei in die Höhe.

»Pst, Mädchen!« Cogline zerrte sie wieder hinunter und drückte ihr eine knochige Hand fest auf den Mund. »Es ist nur die Katze!«

Dann erschien Wispers gewaltiger Kopf, und die leuchtenden blauen Augen blinzelten schläfrig, als er zu Kimber tappte. Das Mädchen beugte sich hinab, schlang die Arme um ihn, streichelte ihn liebevoll und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Ein paar Augenblicke sprach sie auf die Moorkatze ein, und Wisper stupste nach ihr und rieb sich an ihr. Dann drehte Kimber sich wieder zu den anderen um, und ihre Augen leuchteten vor Aufregung.