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Dann verstummte die Offenbarung so schnell, wie sie gekommen war, und blieb nur noch als gaukelnde Erinnerung. Die Seiten des Buches blätterten zurück, der Deckel des Einbandes klappte zu. Ihre Hände, die immer noch an dem dicken Buch klebten, begannen zu zittern.

- Nur einen Hauch meines Seins habe ich dir gezeigt. Macht, Kind der Finsternis. Macht, die jene bei weitem überträfe, über die der Druide Brona und die ihm folgten, geboten. Macht, gegen die jene der Mordgeister, die heute von mir abstammen, bedeutungslos wäre. Fühle, wie diese Macht dich durchströmt. Fühle ihre Berührung-

Die Hitzewelle durchflutete Brin. Sie fühlte, wie sie sich mit dem Schwall ausdehnte und anwuchs.

- Tausend Jahre lang wurde ich auf eine Weise benutzt, die dein Schicksal und das der Deinen bestimmen sollten. Tausend Jahre lang haben die Feinde deiner Familie sich auf meine Macht gestützt und zu zerstören gesucht, was ihr bewahren wolltet. Alles, was dich an diesen Ort zu diesem Zeitpunkt geführt hat, entstammt meinem Tun. Ich habe dein Dasein geschaffen; ich habe dein Leben gestaltet. Alles, was geschieht, hat seinen Grund, und so auch dies. Erkennst du diesen Grund? Sieh hinein -

Plötzlich erreichte sie ein warnendes Flüstern, und sie schien sich einer hochgewachsenen, schwarz gekleideten Gestalt mit ergrauendem Haar und durchdringendem Blick zu erinnern, die zu ihr von Täuschung und Bestechung sprach. Sie rang einen Augenblick lang mit dieser Erinnerung, doch sie fand keinen Namen, und das Bild wurde durch das Feuer, das sie erfüllte, und den Nachhall der Worte des Ildatchs zurückgedrängt.

- Siehst du es denn nicht selbst? Begreifst du nicht, was du bist? Schau hinein -

Die Stimme klang kalt, flach und gefühllos, doch aus ihr sprach auch ein Drängen, das ihre Gedanken beiseite schob. Ihre Sicht verschwamm, und sie schien aus dem Wesen heraus zu sehen, zu dem sie durch den Zauber des Wünschliedes geworden war.

- Wir sind wie ein Ganzes, Kind der Finsternis, wie du es gewollt hast. Es bestand niemals die Notwendigkeit für den Elfenzauber, denn du bist, was du bist und stets warst. Deshalb sind wir eins. Bande erwachsen aus den Zauberkräften, die uns zu dem machen, was wir sind — denn wir sind nicht mehr als die Kräfte, die uns innewohnen — dir in deinem Körper aus Fleisch und Blut, mir in Pergament und Tinte. Wir sind verbündete Lebenskräfte, und was bislang geschehen ist, hat uns an diesen Punkt geführt. Darauf habe ich die ganzen Jahre gewartet...

Lügen! Das Wort zuckte durch Brins Denken und war fort. Ihre Gedanken drehten sich verwirrt im Kreis, ihre Vernunft setzte aus. Ihre Hände umklammerten immer noch den Ildatch, als bewahrte er in seinem Innern ihr Leben selbst, und sie empfand die Worte der körperlosen Stimme als eigentümlich überzeugend. Tatsächlich existierten Bande, die sie einten; es gab eine Verbindung. Brin glich dem Ildatch, war ein Teil von ihm, war ihm wesensähnlich.

In ihrem Innern rief sie den Namen des Druiden und suchte nach der Erinnerung, die sie nun verloren hatte. Rasch loderte das Feuer auf, sie fortzutragen, und wieder sprach die Stimme zu ihr.

- Diese ganzen Jahre habe ich auf dich gewartet, Kind der Finsternis. Aus der Zeit vor der Zeit bist du zu mir gekommen, und nun gehöre ich zu dir. Überlege, was mit mir zu geschehen hat. Flüstere es mir zu -

Die Worte strömten unheilvoll vor dem Hintergrund ihres rotverschleierten Gesichtsfeldes in ihrem Denken zusammen. Sie wollte schreien, doch der Laut zog sich in ihrer Kehle zusammen.

- Flüstere mir zu, was mit mir geschehen muß -

Nein! Nein!

- Flüstere mir zu, was mit mir geschehen muß -

Tränen stiegen ihr in die Augen und rannen langsam ihre Wangen hinab.

Ich muß dich benutzen, antwortete sie.

Rone stapfte kochend vor Wut vom Croagh weg, fuhr herum und kam zurück. Er umklammerte die ebenholzschwarze Klinge seines Schwerts mit beiden Händen, bis die Knöchel weiß hervortraten.

»Was genug ist, ist genug — scheuch die Katze aus meinem Weg, Kimber!« befahl er, trat auf sie zu und verlangsamte seinen Schritt, als Wisper den mächtigen Kopf herumschwenkte, um ihn anzusehen.

Wieder schüttelte das Mädchen den Kopf. »Das kann ich nicht, Rone. Er verläßt sich in dieser Sache auf sein eigenes Urteil.«

»Sein Urteil kümmert mich keinen Deut!« explodierte Rone. »Er ist nur ein Tier und darf keine solche Entscheidung fällen! Ich werde an ihm vorbeigehen, ob ihm das paßt oder nicht. Ich werde Brin in diesem Höllenschlund nicht allein lassen!«

Er riß das Schwert in die Höhe und wollte auf Wisper zugehen, doch im gleichen Augenblick ließ ein gewaltiges Beben den Berg erzittern, das aus dem dunklen Dschungel des Maelmord aufstieg.

Die Erschütterung war so heftig, daß der Hochländer und das Mädchen den Halt verloren und überrascht zurücktaumelten. Erschreckt versuchten sie, ihr Gleichgewicht wiederzuerlangen, und eilten zum Rand der Klippen.

»Was ist dort drunten geschehen?« flüsterte Rone besorgt. »Was ist passiert, Kimber?«

»Wandler, vermutlich«, krächzte Cogline von hinten. »Haben die schwarze Magie gegen das Mädchen aufgerufen.«

»Großvater!« Diesmal war Kimber wütend.

Rone wirbelte zornig herum. »Alter Mann, wenn Brin etwas zugestoßen ist, weil diese Katze mich hier oben aufgehalten hat...«

Dann verstummte er plötzlich. Auf den Stufen des Croagh erschien eine Reihe gebeugter, ins schwächer werdende Zwielicht des Spätnachmittags gehüllte Schatten. Sie schritten einer hinter dem anderen die Treppe von Graumarks bleigrauen Mauern herab und folgten ihrer Spirale geradewegs auf das Felssims zu, wo Rone und seine Begleiter warteten.

»Mordgeister!« hauchte der Hochländer leise.

Wisper fuhr bereits herum und duckte sich angriffsbereit nieder, um sie nötigenfalls zu verteidigen. Coglines plötzliches Einatmen zischte laut durch die Stille.

Rone starrte wortlos hinauf, wo die Reihe der dunklen Gestalten länger wurde und näherrückte. Es waren zu viele.

»Stell dich hinter mich, Kimber!« mahnte er sie.

Dann riß er sein Schwert in die Höhe.

Ich muß dich benutzen... dich benutzen... dich benutzen.

Die Worte kreisten unablässig in Brins Denken und schwollen zu einer Litanei der Überredung an, die alle Vernunft zu ersticken drohte. Doch ein Hauch von Logik blieb zurück und schrie ihr über die Worte des Singsangs entgegen.

Das ist die schwarze Magie, Talmädchen! Das ist das Böse, zu dessen. Vernichtung du diesen Ort aufgesucht hast.

Doch die Berührung des Buches an der Haut ihrer Hände und das Feuer, das es in ihrem Körper entfachte, hielt sie dermaßen in ihrem Bann, daß nichts dagegen ankommen konnte. Und wieder klang die Stimme an ihr inneres Ohr und umschmeichelte sie.

- Was bin ich anderes, als eine im Laufe der Zeitalter angehäufte Sammlung von Wissen, die zum Gebrauch der Sterblichen gebunden wurde? Ich bin weder gut noch böse, sondern nur ein real existierendes Ding. Aufgezeichnete und gebundene Erfahrung — existent für jedermann, der nach dem Wissen strebt. Ich nehme, was man mir bietet, von den Leben jener, die mit meinen Lehrsätzen arbeiten, und stelle nur eine Widerspiegelung von ihnen dar. Denk nach, Kind der Finsternis. Wer sind diejenigen gewesen, die mich benutzen wollten? Welchen Zweck wollten sie damit dienen? Du bist anders als sie. -

Brin stemmte sich gegen den Altar und hielt das Buch umklammert. Hör nicht zu! Hör nicht zu!

- Für über tausend Jahre befand ich mich im Besitz deiner Feinde. Nun nimmst du ihren Platz ein und hast die Gelegenheit, mich auf eine nie erprobte Weise zu benutzen. Dir wohnt meine Macht inne. Du bist Herrin der Geheimnisse, die so viele fälschlich genutzt haben. Überlege dir, was du mit dieser Macht anfangen möchtest, Kind der Finsternis. Durch mich kann alles Lebendige und Tote neugeschaffen werden. Würde sich das Wünschlied mit dem geschriebenen Wort vereinigen, Magie mit Magie — wie großartig wäre das. Du könntest fühlen, wie großartig es wäre, wenn du es nur einmal versuchen wolltest -