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Sobald das Floß fertig war, trug er es hinab zum Flußufer und erinnerte sich plötzlich an das, was der alte Fährtensucher ihm beigebracht hatte. Sie hatten sich darüber unterhalten, wie man Verfolger abschüttelt. Wasser war das beste, seine Spuren zu verwischen, hatte der alte Mann in seiner rätselhaften Art erklärt. Man konnte Spuren durchs Wasser nicht folgen — es sei denn, natürlich, man war dumm genug zu versuchen, einen Verfolger im seichten Wasser abzuschütteln, wo die Fußspuren sich im Schlamm abzeichneten. Aber tiefes Wasser, ja, das war das beste. Die Strömung trug einen immer flußabwärts, und selbst wenn der Verfolger einem bis an das Ufer auf den Fersen blieb und wußte, daß man das Gewässer überquert hatte — man mußte ja nicht, darin bestand ein weiterer Trick — so müßte er auf der anderen Seite erst einmal die Spur wiederfinden. So würde der klügste Verfolgte — und hier wies das Spiel geniale Züge auf — stromaufwärts waten und dann im tiefen Wasser schwimmen, so daß er genau an der gleichen Stelle am anderen Ufer herauskäme, wo seine Spur geendet hatte. Und weil der Verfolger wüßte, daß man stromabwärts getrieben wird — wo also würde er suchen? Er würde nicht daran denken, stromaufwärts nachzuschauen.

Jair war durch diese kleinen Tricks immer beeindruckt gewesen und war entschlossen, sie nun auszuprobieren. Vielleicht wurde er gar nicht verfolgt, aber er konnte sich dessen nicht sicher sein. Er war noch immer zwei Tagesreisen von Leah entfernt. Aber notfalls würde ihm dieser Trick des alten Fährtensuchers einen weiteren Vorsprung verschaffen.

Also zog er seine Stiefel aus, klemmte sie zusammen mit dem Floß unter einen Arm und watete dann mehrere hundert Meter stromaufwärts, wo das Flußbett sich verengte. Er beschloß, daß das weit genug war. Er zog den Rest seiner Kleider aus, legte sie auf das Floß und stieß sich ab ins kalte Wasser des Flusses.

Die Strömung erfaßte ihn fast auf der Stelle und zerrte ihn schnell stromabwärts. Er ließ sich mit ihr treiben, schwamm mit ihr und hielt das Floß mit der freien Hand fest, um so im Winkel auf das andere Ufer zuzuhalten. Holzstückchen und Ästchen von Büschen trieben an ihm vorüber und fühlten sich rauh und kalt an, und die Geräusche des Waldes gingen im Rauschen des Wassers unter. Der abendliche Himmel über ihm wurde dunkler, als die Sonne hinter den Bäumen verschwand. Jair schwamm beständig weiter, und das gegenüberliegende Ufer rückte näher.

Dann schließlich berührten seine Füße den Boden, traten in den weichen Schlamm, und er richtete sich auf, wobei die Abendluft kalt seine Haut streifte. Er schnappte sich seine Kleider von dem Floß, stieß es zurück in die Strömung und sah zu, wie es fortgetrieben wurde. Einen Augenblick später stand er auf trockenem Land, rieb das Wasser von seinem Körper und schlüpfte wieder in seine Kleider. Insekten schwirrten an ihm vorüber und summten leise in der Dunkelheit. Auf dem Ufer, von dem er gekommen war, verblaßten die Bäume im zunehmenden Abenddunst zu schwarzen Strichen. Und plötzlich bewegte sich etwas zwischen jenen dunklen Stämmen.

Jair blieb wie versteinert stehen und hielt den Blick auf die Stelle geheftet, von der die Bewegung gekommen war. Doch nun war es fort, was immer es auch gewesen war. Er atmete tief ein. Es hatte für einen kurzen Augenblick wie ein Mensch ausgesehen.

Vorsichtig und langsam wich er zurück in den Schutz der Bäume hinter sich, beobachtete dabei immer noch das andere Ufer und wartete, daß sich wieder etwas bewegte. Nichts geschah. Er zog sich eilends fertig an, überprüfte, ob die Elfensteine sich noch sicher in seinem Hemd befanden, drehte sich dann um und trabte lautlos in den Wald. Wahrscheinlich hatte er sich getäuscht, sagte er sich.

Er marschierte die ganze Nacht und verließ sich wieder auf Mond und Sterne, die an kleinen Stellen am Himmel über dem Wald zu sehen waren, um ihm die richtige Richtung zu weisen. Er ging langsam, wo der Wald sich lichtete und war sich nun weniger sicher als zuvor, daß niemand ihn verfolgt hatte. Solange er alleine gewesen war mit der Erinnerung an jene wenigen Augenblicke in ihrem Haus mit diesem schwarzen Wesen hinter der Wand, hatte er sich sicher gefühlt. Aber die Vorstellung, daß da hinten etwas oder jemand war und ihn verfolgte, brachte das Gefühl von Panik zurück. Er schwitzte trotz des kühlen Herbstabends, und alle seine Sinne waren durch die Furcht geschärft. Immer wieder kehrten seine Gedanken zu Brin zurück, und er stellte sich vor, daß sie genauso alleine war wie er — alleine und gejagt. Er wünschte, sie wäre bei ihm. Als die Sonne aufging, war er immer noch auf den Beinen. Er befand sich immer noch im Duln, und noch immer beherrschte ihn ein unbehagliches Gefühl. Er war müde, aber nicht so müde, daß er das Bedürfnis empfunden hätte, auf der Stelle zu schlafen. Er ging weiter, während die Sonne vor ihm in goldenem Dunst aufging und dünne Streifen Helligkeit ins Grau des Waldes sickerten, daß trockene Blätter und smaragdgrünes Moos in Regenbogenfarben schillerten. Er beobachtete sich selbst, wie er von Zeit zu Zeit immer wieder zurückschaute und die Gegend beobachtete.

Mehrere Stunden nach Tagesanbruch hörte der Wald auf und hügeliges Grasland kam als Schwelle zum fernen Blau des Hochlands in Sicht. Hier war es warm und behaglich und weniger beengend als im Wald, und Jair fühlte sich sogleich wohler. Als er weiter ins Grasland vordrang, kam ihm die Gegend allmählich bekannt vor. Er war diesen Weg genau vor einem Jahr gekommen, als Rone ihn zu seiner Jagdhütte direkt am Fuße des Hochlands mitgenommen hatte, wo sie sich eine Weile aufgehalten hatten und an den Nebelseen zum Fischen gegangen waren. Die Hütte lag weitere zwei Stunden östlich, aber sie bot ein weiches Bett und Schutz für den Rest des Tages, so daß er bei Einbruch der Dunkelheit seinen Weg wieder gestärkt fortsetzen könnte. Die Vorstellung von einem Bett gab den entscheidenden Ausschlag.

Jair beachtete seine Erschöpfung gar nicht und marschierte weiter nach Osten durch das Grasland, während der Anstieg zum Hochland vor ihm immer breiter wurde, je näher er kam. Ein- oder zweimal schaute er zurück in die Landschaft, die er durchwandert hatte, doch die Gegend lag jedesmal verlassen da.

Es war Mittag, als er die Hütte erreichte, ein aus Holzbalken und Stein gezimmertes Haus in einem hohen Kiefernbestand am Rande der Hochlandwälder. Die Hütte lag an einem Hang mit Blick über die Wiesenflächen, war jedoch selbst von den Bäumen verdeckt, bis man nur noch einen Steinwurf davon entfernt stand. Jair stolperte müde die Steintreppe zum Eingang hinauf und drehte sich zur Seite, um den Schlüssel zu suchen, den Rone in einer Steinritze zu verstecken pflegte, dann sah er, daß das Schloß erbrochen war. Vorsichtig hob er den Riegel an und spähte hinein. Das Haus war leer.

Natürlich war es leer, brummelte er vor sich hin, und die Augen waren ihm schwer von Schläfrigkeit. Warum sollte es auch anders sein?

Er schloß die Tür hinter sich, warf einen kurzen Blick über die makellose Ausstattung — Holz- und Ledermöbel, Regale mit Vorräten und Kochgeräten, Bierbar und Steinkamin — und schleppte sich dankbar den kurzen Flur auf der Rückseite des großen Wohnraums hinab, der zu den Schlafzimmern führte. Er blieb an der ersten Tür stehen, die er erreichte, hob den Riegel, schob sie auf und brach auf einem breiten, federgefüllten Bett zusammen.

Innerhalb von Sekunden war er eingeschlafen.

Es war schon fast dunkel, als er wieder aufwachte, der Herbsthimmel fiel tiefblau mit Streifen verlöschenden, silbernen Sonnenscheins durch den Vorhang des Schlafzimmerfensters. Ein Geräusch hatte ihn geweckt, ein leises Schlurfen — Stiefel, die über Holzbohlen schlichen.

Ohne nachzudenken war er auf den Beinen, trat noch halb schlafend zur Zimmertür und spähte hinaus. Der dunkle Raum im vorderen Teil der Hütte stand leer und lag in Finsternis. Jair blinzelte und starrte durch den Dämmerschein. Dann sah er etwas anderes.