Выбрать главу

Die Haustür stand offen.

Ungläubig trat er hinaus in den Flur und zwinkerte aus schläfrigen Augen.

»Na, schon wieder auf einem Spaziergang, Junge?« erklang eine vertraute Stimme hinter ihm.

Wie von Sinnen wirbelte er herum — und doch viel zu langsam. Etwas schlug von der Seite gegen sein Gesicht. Funken sprühten vor seinen Augen. Er fiel zu Boden und in die Finsternis.

5

Noch herrschte Sommer dort, wo der Mermidon aus dem Callahorn strömt und sich in breitem Fluß in den Regenbogensee ergießt. Es war grün und frisch, eine Mischung aus Weideland und Wäldern, Hügelland und Bergen. Wasser aus dem Strom und seinem Dutzend Zuflüssen speiste die Erde und hielt sie feucht. Dunst vom See zog mit jedem Sonnenaufgang nordwärts, zerstreute sich, legte sich über das Land und spendete über den Sommer hinaus Leben. Süße, feuchte Düfte erfüllten die Luft, und vom Herbst war noch lange nichts zu ahnen.

Brin Ohmsford saß allein auf einer Anhöhe mit Blick auf die Flußmündung in den See und genoß den Frieden. Der Tag war fast vorüber, die Sonne ein strahlendes, rotgoldenes Feuer .am westlichen Horizont, deren Licht die silbernen Wasser, die sich vor ihr dehnten, karmesinrot tönte. Kein Wind wühlte die Ruhe des hereinbrechenden Abends auf, und die Seeoberfläche lag glatt wie ein Spiegel. Hoch über ihr spannte sich der wundersame Regenbogen, dem der See seinen Namen verdankte, von Ufer zu Ufer und hob sich mit seinen intensiven Farbstreifen vom aufziehenden Abendgrau am dunkler werdenden östlichen Himmel ab. Kraniche und Gänse schwebten graziös durch das schwächer werdende Licht, und ihre Schreie gellten durch die tiefe Stille.

Brins Gedanken wanderten. Vier Tage war es her, daß sie ihr Zuhause verlassen hatte und zu der Reise nach Osten aufgebrochen war, die sie tiefer in den Anar führen würde, als sie jemals zuvor gezogen war. Es erschien ihr seltsam, daß sie auch jetzt noch so wenig über diese Reise wußte. Vier Tage waren vergangen, und sie spielte noch immer weitgehend das Kind, das sich mit blindem Vertrauen an die Hand seiner Mutter klammerte. Von Shady Vale waren sie nach Norden durch den Duln, ostwärts am Rappahalladran entlang, dann wieder nach Norden und nach Osten der Uferlinie des Regenbogensees folgend gezogen, bis zu der Stelle, wo der Mermidon mündete. Nicht einmal hatte Allanon ein Wort der Erklärung von sich gegeben.

Natürlich hatten sowohl Rone wie sie den Druiden um eine solche gebeten. Immer wieder hatten sie ihre Fragen gestellt, doch der Druide hatte sie beiseite gewischt. Später würde er es ihnen sagen. Ihr bekommt später Antwort auf eure Fragen. Vorerst folgt mir einfach. Also waren sie ihm gefolgt, wie er sie gebeten hatte, waren argwöhnisch und in wachsendem Maß mißtrauisch und gelobten einander, daß sie ihre Erklärungen bekommen würden, ehe das Ostland erreicht wäre.

Doch der Druide gab ihnen wenig Anlaß zu glauben, daß ihr Versprechen sich erfüllen sollte. In seiner rätselhaften, distanzierten Art hielt er sie sich vom Leib. Tagsüber unterwegs übernahm er vor ihnen die Führung, und es war offensichtlich, daß er lieber allein ritt. Wenn sie abends lagerten, verließ er sie und verzog sich in die Dunkelheit. Er aß nicht und schlief nicht, und dieses Verhalten schien die Unterschiede zwischen ihnen zu betonen und die Kluft zu vertiefen. Er wachte über sie wie ein Falke über seiner Beute, ohne sie jemals alleine umherstreifen zu lassen.

Bislang, verbesserte sie sich. An diesem Abend des vierten Tages hatte Allanon sie unerwarteterweise allein gelassen. Sie hatten hier, wo der Mermidon in den Regenbogensee mündete, ihr Lager aufgeschlagen, und der Druide war in die Wälder an den Flußufern gestapft und ohne ein Wort der Erklärung verschwunden. Das Mädchen aus dem Tal und der Hochländer hatten ihn beobachtet und ihm ungläubig hinterhergestarrt. Als schließlich offenkundig wurde, daß er sie tatsächlich allein ließ — für wie lange, darüber konnten sie nur Vermutungen anstellen —, beschlossen sie, keine weitere Zeit damit zu vergeuden, sich um ihn Gedanken zu machen und wandten ihre Aufmerksamkeit der Zubereitung des Essens zu. Drei Tage Fischmahlzeiten — erst aus den Wassern des Rappahalladran und dann aus dem Regenbogensee — dämpfte zeitweilig ihre Begeisterung für Fisch. Also war Rone mit dem Eschenholzbogen, der von Menion Leah einst bevorzugten Waffe, losgezogen, um etwas anderes zu suchen. Brin hatte ein paar Minuten gebraucht, um Holz für das Feuer der Kochstelle zu sammeln und sich dann auf dieser Anhöhe niedergelassen, um die Einsamkeit des Augenblicks auszukosten.

Allanon! Er war ein Rätsel, das sich jeder Lösung entzog. Da er sich hingebungsvoll der Erhaltung des Lebens widmete, war er ein Freund ihres Volkes, ein Wohltäter der Rassen und ein Beschützer vor dem Bösen, gegen das sie allein nicht standhalten konnten. Aber welcher Freund benutzte Menschen, wie Allanon das tat? Warum hielt er die Beweggründe für alle seine Unternehmungen so streng geheim? Manchmal erschien er ebenso sehr als Feind, Übeltäter und Zerstörer wie das, wogegen vorzugehen er behauptete.

Der Druide selbst hatte ihrem Vater die Geschichte der alten Märchenwelt erzählt, von der alle Zauberei mit den Wesen, die sie beherrschten, noch stammte. Ob gut oder böse, schwarz oder weiß, alle Magie glich sich in dem Punkt, daß sie in der Kraft, Klugheit und Absicht dessen verankert war, der sie anwandte. Welcher Unterschied hatte letztlich zwischen Allanon und dem Dämonen-Lord bestanden, als sie um die Herrschaft über das Schwert von Shannara kämpften? Beide waren Druiden gewesen und hatten die Kunst der Zauberei aus den Büchern der alten Welt erworben. Der Unterschied bestand im Charakter des Benutzers, denn war der eine durch die Macht korrumpiert worden, war der andere rein geblieben.

Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Ihr Vater würde dies bestreiten, das wußte sie, und behaupten, der Druide wäre von der Macht ebenso korrumpiert wie der Herr der Finsternis, wenn auch nur auf andere Weise. Denn Allanons Leben war ebenfalls durch die Macht, über die er verfügte, und die Geheimnisse ihrer Anwendung bestimmt. Waren sein Verantwortungsgefühl auch höher entwickelt und seine Ansichten weniger egoistisch, so war er doch nichtsdestoweniger deren Opfer. Tatsächlich haftete Allanon bei all seinem rauhen, fast bedrohlichen Verhalten etwas eigentümlich Schwermütiges an. Sie dachte eine Weile über das Gefühl von Traurigkeit nach, das der Druide in ihr erweckte — eine Traurigkeit, wie ihr Vater sie. gewiß niemals empfunden hatte —, und fragte sich, wie es kam, daß sie sie so deutlich empfand.

»Da bin ich wieder.«

Sie drehte sich erschreckt um. Doch es war nur Rone, der zu ihr vom Lager in dem Kiefernhain unterhalb der Anhöhe heraufrief. Sie stand auf und machte sich auf den Weg nach unten.

»Wie ich sehe, ist der Druide noch nicht wiedergekommen«, meinte der Hochländer, als sie zu ihm trat. Zwei Wildhühner hingen über seiner Schulter, und er ließ sie nun zu Boden gleiten. »Vielleicht haben wir Glück, und er kommt überhaupt nicht wieder.«

Sie starrte ihn an. »Vielleicht wäre das gar kein so großes Glück.«

Er zuckte mit den Schultern. »Das hängt davon ab, aus welchem Blickwinkel man es betrachtet.«

»Dann erkläre mir, aus welchem du es siehst, Rone.«

Er runzelte die Stirn. »In Ordnung. Ich traue ihm nicht.«

»Und warum nicht?«

»Wegen allem, was er zu sein beansprucht: Beschützer vor dem Dämonen-Lord und den Schädelträgern, Beschützer gegen die aus der alten Welt entfesselten Dämonen und jetzt auch noch Beschützer gegen die Mordgeister. Aber man beachte, daß er dazu stets die Unterstützung der Ohmsford-Familie und ihrer Freunde benötigt. Ich kenne die Geschichte auch, Brin. Es ist immer das gleiche. Er taucht unerwartet auf, warnt vor einer Gefahr, welche die Rassen bedroht und zu deren Ausräumung nur ein Mitglied der Familie Ohmsford beitragen kann. Denn die Ohmsfords sind die Erben des Elfenhauses von Shannara und der Zauberei, die damit zusammenhängt. Erst das Schwert von Shannara, dann die Elfensteine und jetzt das Wunschlied. Aber irgendwie stellen sich die Verhältnisse immer ein wenig anders heraus, als sie erscheinen, nicht wahr?«