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»Druide...«, warnte Rone und wollte auf ihn zugehen, doch ein einziger finsterer Blick des anderen ließ ihn auf der Stelle innehalten.

»Bleib stehen, Prinz von Leah. Laß sie die Wahrheit hören.« Die schwarzen Augen suchten wieder Brins. »Du hast mit dem Wunschlied gespielt wie mit einem interessanten Spielzeug, weil du seine andere Anwendungsmöglichkeit nicht erfaßt hast. Du weißt jetzt, daß mehr dahinter steckte, Talmädchen — es war immer, tief im Innern vorhanden, und du wußtest es. Elfenzauber war immer mehr als das. Du besitzt die Zauberkraft der Elfensteine, die durch das Blut deines Vaters auf dich übertragen wurde. Dir wohnt eine Macht inne, die alle bisherige überschreitet — latent vielleicht, doch das Potential ist unübersehbar. Bedenke einen Augenblick das Wesen der Zauberei, die du ausübst. Das Wunschlied vermag das Verhalten jedes Lebewesens zu verändern! Begreifst du denn nicht, was das bedeutet? Biegsames Gesträuch wird durch dich veranlaßt, sich zu teilen und dir Zugang zu verschaffen, wo es vorher keinen gab. Starre Bäume können gleichfalls dazu gebracht werden, sich zu teilen, obgleich sie unter der Anstrengung bersten. Wenn du Farbe in Laub bringen kannst, bist du auch fähig, sie zu entziehen. Kannst du Blumen zum Erblühen bringen, so vermagst du sie auch welken zu lassen. Wenn du leben zu geben in der Lage bist, Brin, kannst du es auch nehmen.«

Sie starrte ihn entsetzt an. »Was sagt Ihr da?« flüsterte sie heiser.

»Daß das Wunschlied töten kann? Daß ich es zum Töten benutzen würde? Glaubt Ihr...«

»Du wolltest etwas von seinen Anwendungsmöglichkeiten sehen«, schnitt Allanon ihre Proteste ab. »Ich habe nur getan, was du wolltest. Aber vermutlich wirst du nun nicht länger bezweifeln, daß hinter dem Zauber weit mehr steckt, als du annahmst.«

Brins dunkelhäutiges Gesicht glühte vor Zorn. »Ich bezweifle es nicht mehr, Allanon. Aber du sollst auch keine Zweifel an folgendem haben: Nämlich daß ich das Wunschlied niemals zum Töten einsetzen würde! Niemals!«

Der Druide hielt ihrem Blick stand, doch seine Züge entspannten sich ein klein wenig. »Nicht einmal, um dein eigenes Leben zu retten? Oder vielleicht das des Hochländers? Nicht einmal dazu?«

Sie wandte den Blick nicht ab. »Niemals.«

Der Druide betrachtete das Talmädchen noch einen Augenblick länger — so als wollte er die Unerschütterlichkeit ihres Entschlusses prüfen. Dann machte er abrupt kehrt und schritt den Hang der Mulde wieder empor.

»Du hast genug gesehen, Brin. Wir müssen unsere Reise fortsetzen. Denk nach über das, was du erfahren hast.«

Seine schwarze Gestalt verschwand im Gestrüpp. Brin stand dort, wo er sie hatte stehen lassen, und bemerkte plötzlich, daß ihre Hände zitterten. Dieser Baum! Wie er einfach gesplittert war, sich gespalten hatte...

»Brin.« Rone trat vor sie hin und hob die Hände, um sie bei den Schultern zu fassen. Sie zuckte unter seiner Berührung zusammen. »Wir können ihn nicht weiter begleiten. Nicht mehr. Er spielt mit uns, wie er mit allen anderen gespielt hat. Gib ihn und diese törichte Suche auf und kehr jetzt mit mir ins Tal zurück.«

Sie schaute ihn einen Augenblick lang an und schüttelte dann den Kopf. »Nein. Es war nötig, daß ich das erlebt habe.«

»Nichts von alledem ist es, um der Katze willen!« Er nahm seine Hände fort und schloß sie um den Knauf des Schwertes. »Wenn er noch einmal so etwas macht, überlege ich nicht zweimal...«

»Nein, Rone.« Sie legte die Hände auf die seinen. Nun war sie wieder ganz ruhig und begriff plötzlich, daß sie etwas übersehen hatte. »Was er getan hat, war nicht nur, um mich zu erschrecken oder einzuschüchtern. Es sollte mir eine Lehre sein, und es geschah, weil Eile vonnöten ist. Ich habe es seinem Blick entnommen. Hast du es nicht gesehen?«

Er schüttelte den Kopf. »Ich habe nichts bemerkt. Warum Eile?«

Sie schaute in die Richtung, wo der Druide verschwunden war. »Irgend etwas ist nicht in Ordnung. Irgend etwas.«

Dann mußte sie wieder an die Zerstörung des Baumes, die mahnenden Worte des Druiden und ihren Schwur denken. Niemals! Sie schaute schnell wieder zu Rone. »Glaubst du, ich könnte das Wunschlied anwenden, um zu töten?« fragte sie leise.

Einen kleinen Augenblick lang zögerte er. »Nein.«

Nicht einmal, um dein Leben zu retten? dachte sie. Und wenn es nicht von einem Baum, sondern von einem Lebewesen bedroht würde? Würde ich es umbringen, um dich zu retten? Oh, Rone, wenn es nun ein Mensch wäre?

»Wirst du mich trotzdem auf dieser Reise begleiten?« fragte sie ihn.

Er schenkte ihr sein verwegenstes Grinsen. »Bis zu dem Augenblick, da du das verdammte Buch packst und in Stücke reißt.«

Dann beugte er sich hinab, küßte sie zart auf den Mund und sie schlang die Arme um ihn und drückte ihn fest an sich. »Es wird uns nichts geschehen«, hörte sie ihn sagen.

Und sie antwortete: »Ich weiß.«

Aber sie war sich nicht mehr so sicher.

6

Als Jair Ohmsford wieder zu Bewußtsein kam, stellte er fest, daß er an Händen und Füßen gefesselt und fest an einen Baumstamm gebunden war. Er befand sich nicht mehr in der Jagdhütte, sondern auf einer Lichtung im Schutz dicht stehender Fichten, die ihn wie aufgestellte Wachposten überragten. Drei Meter von ihm entfernt brannte ein kleines Feuerchen und warf seinen schwachen Schein ins schattige Dunkel der schweigenden Bäume. Nacht war über das Land hereingebrochen.

»Na, wieder wach, Junge?«

Die vertraute, spöttische Stimme erklang aus der Dunkelheit zu seiner Linken, und er drehte langsam den Kopf, um sich umzusehen. Eine gedrungene, reglose Gestalt hockte am Rand des Feuerscheins. Jair wollte gerade antworten, bemerkte dann aber, daß er nicht nur gefesselt war; er hatte auch einen Knebel im Mund.

»Oh ja, das tut mir leid«, bedauerte der andere. »Ich mußte dich natürlich knebeln. Ich konnte ja nicht zulassen, daß du zum zweiten Mal deine Zauberkraft gegen mich einsetzt, wie? Kannst du dir vorstellen, wie lange ich gebraucht habe, um mich aus dieser Holzkiste zu befreien?«

Jair ließ sich gegen den Baumstamm sinken, als ihm alles wieder einfiel. Der Gnom beim Gasthaus — der war ihm gefolgt, hatte ihn bei Rones Jagdhütte eingeholt und von hinten niedergeschlagen...

Er zuckte bei der Erinnerung zusammen und stellte fest, daß sein Kopf an der Seite immer noch schmerzte.

»Ein hübscher Trick, die Nummer mit den Schlangen.« Der Gnom kicherte leise. Er stand auf, trat in den Feuerschein und setzte sich mit übereinandergeschlagenen Beinen dicht vor seinen Gefangenen. Schmale grüne Augen musterten Jair abwägend. »Ich hielt dich für harmlos, Junge — nicht für irgendeine Druidenbrut. Pech für mich, was? Da hab’ ich doch tatsächlich geglaubt, du hättest solche Angst, daß du mir auf der Stelle verraten würdest, was ich wissen wollte — daß du mir alles sagen würdest, nur um mich loszuwerden. Nicht so du. Schlangen um die Arme und einen Anderthalb-Meter-Stock über den Schädel, das hast du mir verabreicht. Ein Wunder, daß ich noch am Leben bin.«

Der Gnom neigte das massige, gelbe Gesicht zur Seite. »Das war natürlich dein Fehler.« Ein derber Finger fuhr deutlich empor. »Du hättest mich umbringen sollen. Aber das hast du nicht, und das verschaffte mir eine zweite Gelegenheit, dich zu überwältigen. Aber so bist du wahrscheinlich als einer vom Tal. Als ich mich jedenfalls aus dem Holzkasten befreit hatte, bin ich hinter dir hergejagt wie der Fuchs hinter dem Kaninchen. Ein Jammer für dich, denn nach dem, was du mit mir angestellt hattest, wollte ich dich auf keinen Fall entkommen lassen. Nein, nicht um alles in der Welt! Diese anderen Narren hätten sich von dir abhängen lassen. Aber nicht ich. Habe drei Tage lang deine Spur verfolgt. Am Fluß hätte ich dich beinahe erwischt, aber du warst schon am anderen Ufer, und bei Nacht konnte ich deine Spur nicht erkennen. Mußte abwarten. Aber bei deinem Nickerchen in der Hütte habe ich dich dann geschnappt, wie?«

Er lachte fröhlich, und Jair lief vor Wut rot an. »Ach, ärgere dich nicht meinetwegen — ich habe nur meine Arbeit verrichtet. Außerdem war es dann eine Frage meines Stolzes. Zwanzig Jahre, und noch nie hat mich einer aufs Kreuz gelegt. Und dann kommt so ein grünes Jüngelchen. Das konnte ich nicht durchgehen lassen. Na, und dich bewußtlos schlagen — da blieb mir nichts anderes übrig. Wie gesagt, ich konnte mit der Zauberei ja kein Risiko mehr eingehen.«