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»Wo sind sie?« fragte er, sobald ihm der Knebel aus dem Mund gezogen wurde.

»In der Nähe. Hundert Meter weiter unten am Hang.« Spinkser packte den Talbewohner an der Vorderseite seiner Jacke und zerrte ihn auf die Füße. »Und jetzt keine Spielchen. Behalt deine Zauberkunst für dich. Ich habe dich vom Baum losgebunden, daß du halbwegs wie ein Mann aussiehst, aber wenn du mir zuwiderhandelst, binde ich dich wieder fest. Verstanden?«

Jair nickte rasch. Seine Hände und Füße waren noch gefesselt, und seine Glieder waren so verkrampft, daß er kaum stehen konnte. Mit schmerzenden, steifen Muskeln lehnte er sich mit dem Rücken an die Fichte. Selbst wenn er es schaffte, sich loszureißen, könnte er in diesem Zustand nicht weit laufen. Sein Denken war von Schläfrigkeit und plötzlicher Angst umnebelt, während er wartete, daß er seine Kräfte wiedererlangte. Beantworte die Fragen, hatte Spinkser ihm geraten. Sei nicht töricht. Aber was für Antworten konnte er geben? Welche Antworten würden sie akzeptieren?

Dann plötzlich zeichnete sich im Zwielicht eine Reihe dunkler Gestalten ab, die sich schwer zwischen den Bäumen hervorschleppten. Zwei, drei, ein halbes Dutzend, acht — Jair beobachtete, wie einer nach dem anderen aus dem Nebel auftauchte: untersetzte Figuren, die in wollene Waldmäntel gehüllt waren. Gnomen — derbe, gelbe Züge, die sich in den tief herabgezogenen Kapuzen erkennen ließen, dickfingrige, um Speere und Keulen geklammerte Hände. Kein Wort kam über ihre Lippen, als sie im Gänsemarsch auf die Lichtung kamen, doch scharfe Augen musterten den gefangenen Talbewohner, und ihre Blicke verströmten keine Freundlichkeit.

»Ist er das?«

Der Sprecher stand an der Spitze der Reihe. Er war kräftig gebaut mit muskulösem Körper und breiter Brust. Er rammte das Ende seiner Keule in den Waldboden, umschloß die Waffe mit narbigen knotigen Fingern und drehte sie langsam.

»Also, ist er’s?«

Der Gnom warf Spinkser einen raschen Blick zu. Spinkser nickte Der Gnom ließ seinen Blick zu Jair zurückwandern. Langsam schlug er die Kapuze seines Waldmantels zurück. Derbe, kantige Züge zeichneten das breite Gesicht. Grausame Augen musterten den Talbewohner ungerührt und forschend.

»Wie heißt du?« fragte er ruhig.

»Jair Ohmsford«, antwortete Jair sogleich.

»Was hat der Druide von euch gewollt?«

Jair zögerte und überlegte, was er sagen sollte. Etwas Unangenehmes flackerte in den Augen des Gnomen. Unvermittelt schnappte der sich seine Keule, holte aus und schlug dem Mann aus dem Tal die Beine unterm Körper fort. Jair fiel hart, daß er schier keine Luft mehr bekam.

Der Gnom stand schweigend über ihm, griff dann hinab und zerrte ihn an seiner Jacke wieder auf die Beine.

»Was hat der Druide von euch gewollt?«

Jair schluckte und versuchte, sich seine Angst nicht anmerken zu lassen. »Er wollte meinen Vater besuchen«, log er.

»Warum?«

»Mein Vater ist im Besitz der Elfensteine. Allanon will sie als Waffe gegen die Mordgeister einsetzen.«

Darauf trat ein endloser Augenblick der Stille ein. Jair wagte nicht einmal zu atmen. Falls Spinkser die Elfensteine in seinem Hemd gefunden hatte, war die Lüge bereits offenbart, und es wäre um ihn geschehen. Er wartete mit auf den Gnomen geheftetem Blick.

»Wo stecken sie jetzt, der Druide und dein Vater?« forschte der andere schließlich weiter.

Jair atmete aus. »Nach Osten gezogen.« Er zögerte und ergänzte dann: »Meine Mutter und meine Schwester besuchen die Dörfer südlich vom Tal. Ich sollte im Gasthof auf ihre Rückkehr warten.«

Der Gnom grunzte nichtssagend. Ich muß versuchen, sie zu schützen, dachte Jair. Spilk beobachtete ihn aufmerksam. Er wandte kein Auge von ihm. Du kannst nicht merken, daß ich lüge, überlegte Jair. Das kannst du nicht.

Dann hob sich ein knotiger Finger von der Keule und deutete auf ihn. »Kannst du zaubern?«

»Ich...« Jair ließ den Blick über die finsteren Gesichter um sich her schweifen.

Der Knüppel zuckte hoch und hieb schnell und kräftig über Jairs Knie, daß er wieder zu Boden sank. Der Gnom lächelte mit hartem Blick. Er riß Jair wieder hoch.

»Antworte mir — betreibst du Zauberei?«

Jair nickte wortlos; er war stumm vor Schmerz. Er konnte kaum stehen.

»Zeig es mir«, befahl der Gnom.

»Spilk.« Spinksers Stimme drang leise durch die plötzliche Stille. »Vielleicht erwägst du deine Forderung noch einmal.«

Spilk warf Spinkser einen knappen Blick zu und winkte dann ab. Seine Augen richteten sich wieder auf Jair. »Zeig es mir.«

Jair zögerte. Wieder zuckte die Keule hoch. Obwohl Jair diesmal darauf vorbereitet war, konnte er nicht schnell genug zurücktreten, um dem Schlag auszuweichen. Er traf ihn seitlich im Gesicht. Schmerz explodierte in seinem Kopf, Tränen schössen ihm in die Augen. Er stürzte auf die Knie, aber Spilks dicke Hände waren in seine Jacke verklammert und zerrten ihn wieder in die Höhe.

»Zeig es mir!« befahl der Gnom nochmals.

Nun stieg Zorn in Jair auf — ein so heftiger Zorn, daß er kochte. Er dachte erst gar nicht darüber nach, was er als nächstes tat; er handelte einfach. Ein kurzer, gedämpfter Schrei brach von seinen Lippen und wurde unvermittelt zu einem furchterregenden Zischen. Sogleich wimmelte Spilk von riesigen, dicken, grauen Spinnen. Der Gnomen-Sedt schrie entsetzt auf, riß wie von Sinnen an den großen, pelzigen Insekten und wich vor Jair zurück. Die Gnomen hinter ihm liefen in alle Richtungen davon, und Speere und Keulen sausten zu Boden, als sie versuchten, die Spinnen von sich selbst fernzuhalten. Der Sedt wälzte sich am Boden, schlug auf der Erde wild um sich und versuchte die schrecklichen Dinger abzuschütteln, die sich so hartnäckig an ihn klammerten; seine Schreie erfüllten die Morgenluft.

Jair sang einen Augenblick länger und verstummte dann. Wäre er nicht an Händen und Füßen gefesselt gewesen und nicht so benommen von Spilks Schlägen, hätte er die Verwirrung, die das Wunschlied ausgelöst hatte, genutzt, um einen Fluchtversuch zu unternehmen. Als sein Zorn verebbte, verstummte Jair.

Spilk wälzte sich noch ein paar Sekunden am Boden. Dann begriff er plötzlich, daß die Spinnen fort waren. Langsam erhob er sich auf die Knie, sein Atem kam heiser und stoßweise, sein verschlagenes Gesicht zuckte, bis seine Augen Jair fanden. Er heulte auf, als er sich hochrappelte und sich mit ausgestreckten, knotigen Händen auf den Talbewohner stürzte. Jair taumelte rückwärts, und seine Füße verfingen sich in den Stricken. Einen Moment später lag der Gnom auf ihm und hämmerte wie von Sinnen mit den Fäusten auf ihn ein. Dutzende von Schlägen trafen Jairs Gesicht und Kopf, wie es ihm schien, überall gleichzeitig. Schmerz und Schock spülten über ihn hinweg. Dann wurde ihm schwarz vor Augen.

Wenige Augenblicke später kam er wieder zu sich. Spinkser kniete neben ihm und tupfte sein Gesicht mit einem wassergetränkten Tuch ab. Das kalte Wasser brannte, und er zuckte vor der Berührung zurück.

»Du hast mehr Mut als Verstand, Junge«, flüsterte der Gnom, als er sich tief hinabbeugte. »Alles in Ordnung?«

Jair nickte und fuhr mit der Hand hoch, um sein Gesicht zu befühlen. Spinkser schlug seine Hand fort.

»Laß es bleiben.« Er tupfte ihn noch ein paarmal mit dem Tuch ab und ließ dann ein schwaches Grinsen über sein derbes Gesicht huschen. »Du hast den alten Spilk halb zu Tode erschreckt. Halb zu Tode!«

Jair schaute an Spinkser vorbei zu der Stelle, wo der Rest der Patrouille am anderen Ende der Lichtung kauerte und ihn nicht aus den Augen ließ. Spilk stand ein Stück von allen anderen entfernt, sein Gesicht war schwarz vor Wut.

»Mußte ihn selbst von dir loszerren«, sagte Spinkser. »Sonst hätte er dich umgebracht. Hätte dir glatt den Schädel eingeschlagen.«

»Er befahl mir, ihm die Zauberei vorzuführen«, murmelte Jair und schluckte schwer. »Also habe ich sie ihm vorgeführt.«