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Die Vorstellung schien den Gnomen zu erheitern, und er gestattete sich ein zweites, leichtes Grinsen, wobei er sorgsam das Gesicht von dem Sedt abgewandt hielt. Dann schob er seinen Arm unter Jairs Schultern und hob ihn in eine sitzende Stellung. Er goß aus dem Behältnis an seinem Gürtel eine kleine Ration Bier und gab sie dem Talbewohner zu trinken. Jair nahm es an und schluckte und würgte, als es ihm brennend zum Magen hinablief.

»Besser?«

»Besser«, gab Jair zu.

»Dann hör zu.« Das Lächeln war erloschen. »Ich muß dich wieder knebeln. Du bist nun meiner Obhut unterstellt. Die anderen wollen nichts mit dir zu tun haben. Du sollst außer zu den Mahlzeiten gefesselt und geknebelt bleiben. Also benimm dich. Es wird eine lange Reise.«

»Eine lange Reise wohin?« Jair versuchte erst gar nicht, das Entsetzen in seinem Blick zu verbergen.

»Nach Osten. In den Anar. Du sollst den Mordgeistern übergeben werden, hat Spilk beschlossen. Er will, daß sie einen Blick auf deine Zauberkünste werfen.« Der Gnom schüttelte ernst den Kopf. »Tut mir leid, aber daran ist nichts zu ändern. Nicht nach dem, was du angestellt hast.«

Ehe Jair etwas erwidern konnte, schob Spinkser den Knebel in seinen Mund. Dann löste er die Stricke um Jairs Fußknöchel und zog den Talbewohner auf die Füße. Er holte ein kurzes Seil hervor, schlang ein Ende um Jairs Gürtel und band das andere an seinen eigenen.

»Spilk!« rief er dem anderen zu.

Der Gnomen-Sedt drehte sich wortlos um und schlug den Weg in den Wald ein. Der Rest der Patrouille folgte ihm.

»Tut mir leid, Junge«, wiederholte Spinkser. Gemeinsam marschierten sie von der Lichtung in den frühen Morgennebel.

7

Diesen ganzen Tag lang führten die Gnomen Jair nach Norden durch das bewaldete Hügelland an der Westgrenze von Leah. Im Schutz der Bäume und unter Verzicht auf die begehbaren Straßen, die das Hochland im Zickzack durchzogen, blieben sie für sich und streng auf ihr Ziel ausgerichtet. Für den Talbewohner war es eine lange, anstrengende Wanderung, welche durch die Art seiner Fesselung nicht gerade erleichtert wurde; die Seile schnitten ihm mit jedem Schritt tief ins Fleisch und verkrampften seinen Körper. Seine Schwierigkeiten blieben vielleicht nicht unbemerkt, doch man verschaffte ihm keine Erleichterung. Die ihn gefangen hatten, zeigten auch nicht die leiseste Besorgnis, wieviel es ihn kostete, ihr Marschtempo mitzuhalten. Als schroffe, abgehärtete Veteranen der Grenzkriege tief im Ostland waren sie an Gewaltmärsche durch die schlimmsten Gegenden und unter den schwierigsten Bedingungen gewöhnt — Märsche, die manchmal mehrere Tage dauerten. Jair war gut in Form, aber mit diesen Männern konnte er sich nicht messen.

Als sie schließlich bei Einbruch der Nacht an den Ufern des Regenbogensees anlangten und sich den Weg zu einer kleinen, geschützten Bucht bahnten, um dort ihr Lager aufzuschlagen, konnte Jair kaum mehr gehen. Er wurde wieder an einen Baum gebunden, bekam eine rasche Mahlzeit und ein paar Schluck Bier und schlief innerhalb von Minuten.

Die folgenden Tage vergingen ähnlich. Die Gnomen erwachten bei Sonnenaufgang, führten ihn am Seeufer entlang ostwärts, streiften das Hochland im Norden, um die Schwarzen Eichen zu erreichen, die sie jeder Sicht entzogen. Diesmal machten die Gnomen dreimal täglich Rast — einmal während des Vormittags, dann wieder zu Mittag und ein letztes Mal im Lauf des Nachmittags. Die restliche Zeit des Tages marschierten sie und Jair mit schmerzendem Körper und blasigen, wunden Füßen mit ihnen. Er war bis an die Grenzen des für ihn Erträglichen getrieben, wollte ihnen aber nicht die Befriedigung verschaffen, ihn schwach werden zu sehen, nicht einmal für einen Augenblick. Sein eiserner Wille verlieh ihm Kraft, und er hielt mit ihnen Schritt.

Die ganze Zeit über, da sie ihn durchs Hochland schleppten, dachte er über Fluchtmöglichkeiten nach. Nicht einmal kam es ihm in den Sinn, daß er nicht fliehen würde; die Frage war nur, wann. Er wußte sogar schon, wie er es anstellen würde. Dieser Teil war unproblematisch. Er würde sich einfach unsichtbar für sie machen. Auf etwas Derartiges kämen sie nicht — nicht solange sie annahmen, seine Zauberkunst wäre auf eingebildete Spinnen und Schlangen beschränkt. Sie begriffen nicht, daß er ebenso gut andere Dinge konnte. Früher oder später bekäme er eine Gelegenheit. Sie würden ihn just so lange losbinden, daß er die Magie noch einmal anwenden konnte. Er brauchte nicht länger als einen Augenblick. Dann wäre er einfach verschwunden. Diese Gewißheit brannte in ihm wie ein helles Licht.

Er bekam zusätzlichen Ansporn zu seinem Fluchtvorhaben. Spinkser hatte ihm erzählt, der Wandler, der mit der Gnomenpatrouille ins Tal gekommen war, war auf der Suche nach Allanon Richtung Osten gezogen. Aber woher sollte Allanon wissen, daß er von einem Mordgeist verfolgt wurde? Nur Jair konnte ihn warnen, und der Junge aus dem Tal wußte, daß er dazu eine Möglichkeit finden mußte.

Seine Fluchtpläne bestanden erst in Gedanken, als sie später an jenem Nachmittag in die Schwarzen Eichen vorstießen. Die hohen, dunklen Stämme erhoben sich wie eine Mauer um sie. Innerhalb weniger Augenblicke waren sie von der Sonne abgeschnitten. Sie wanderten tief in den Wald hinein und folgten einem Pfad, der parallel zur Uferlinie des Sees und beständig in Richtung des dämmrigen Ostens verlief. Hier zwischen diesen Bäumen war es kühler, dunkel und still. Der Wald nahm sie auf und verschlang sie wie eine Höhle, die in die Erde hineinführte.

Bei Sonnenuntergang lag das Hochland weit hinter ihnen. Als sie auf einer kleinen Lichtung im Schütze der Eichen und einer langen Bergkette, die im Norden steil zum Wasser hinabfiel, lagerten, saß der Talbewohner immer noch gefesselt und geknebelt mit dem Rücken an dem bemoosten Stamm eines Baumes, schätzte ein dutzendmal seinen Umfang und schaute Spinkser zu, wie er Fleischeintopf aus einem Kessel schöpfte, der über einem kleinen Lagerfeuer brodelte. So erschöpft und zerrüttet Jair war, studierte er doch den Gnomen und wunderte sich über die Widersprüche, die er im Charakter des Fährtensuchers sah. Zwei Tage lang hatte er reichlich Gelegenheit gehabt, Spinkser zu beobachten, und er war jetzt genau so verwirrt über den Gnomen wie bei ihrem ersten Gespräch am Abend nach seiner Gefangennahme. Was für ein Bursche war er? Sicher, er war ein Gnom, doch gleichzeitig wirkte er auch wieder nicht so. Mit Sicherheit war er kein Ostland-Gnom. Er hatte nichts gemein mit den Gnomen, mit denen er reiste. Selbst sie schienen das zu spüren. Jair entnahm es ihrem Verhalten ihm gegenüber. Sie duldeten ihn, gingen ihm aber aus dem Weg. Das hatte Spinkser Jair gegenüber ja bestätigt. Er war auf seine Weise ebenso ein Außenseiter wie der Talbewohner. Doch es war mehr als das. Es war etwas am Wesen des Gnomen, das ihn von den anderen unterschied — eine Frage der Einstellung vielleicht oder der Intelligenz. Er war klüger als sie. Und das verdankte er vermutlich der Tatsache, daß er etwas getan hatte, was sie nicht gemacht hatten. Als geschickter Fährtensucher und Wanderer der Vier Länder war er ein Gnom, der mit der Tradition seines Volkes gebrochen und seine Heimat verlassen hatte. Er hatte Dinge gesehen, die ihnen unbekannt geblieben waren. Er verstand Dinge, die sie nicht begreifen konnten. Er hatte Erfahrungen gesammelt.

Trotzdem war er nun hier. Warum?

Spinkser wankte vom Feuer mit einem Teller Eintopf in der Hand herbei und hockte sich neben ihn. Der Gnom nahm ihm den Knebel heraus, damit er den Mund frei hatte, und begann ihn zu füttern.

»Schmeckt nicht allzu übel, wie?« Die dunklen Augen beobachteten ihn.

»Nein — schmeckt gut.«

»Du kannst noch mehr haben, wenn du willst.« Spinkser rührte abwesend durch den Eintopf auf dem Teller. »Wie geht es dir?«

Jair sah ihm geradewegs in die Augen. »Mir tut alles weh.«

»Die Füße?«

»Die besonders.«

Der Gnom stellte den Eintopf auf den Boden. »Komm, laß mich mal sehen.«

Er zog dem Talbewohner Stiefel und Socken aus, begutachtete die blasigen Füße und schüttelte bedächtig den Kopf. Dann griff er in seinen Rucksack und zog eine kleine Dose heraus. Er schraubte den Deckel auf, tauchte die Finger hinein und brachte eine rötliche Salbe zum Vorschein. Langsam machte er sich daran, sie in die offenen Wunden zu reiben. Die Salbe kühlte und linderte die Schmerzen.