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»Damit dürfte es nicht mehr so sehr brennen, und es härtet die Haut fürs Gehen«, erklärte er. Er strich noch etwas auf, schaute kurz hoch, wobei ein trauriges Lächeln seine derben, gelben Züge in Falten legte, dann wandte er den Blick wieder nach unten. »Du bist ein ganz schön zäher Brocken, was?«

Jair sagte nichts dazu. Er sah dem Gnomen zu, wie er die Salbe fertig einmassierte, und beendete sein Mahl. Er war hungrig und verzehrte zwei volle Teller von dem Eintopf.

»Nimm einen Schluck hiervon.« Spinkser hielt ihm die Bierflasche an die Lippen, als er gegessen hatte. Er nahm ein paar Züge und schnitt eine Grimasse. »Du weißt nicht, was dir guttut«, bemerkte der Gnom.

»Das Zeug jedenfalls nicht.« Jair blickte finster drein.

Spinkser hockte sich auf die Hacken zurück. »Ich habe vor einer Weile etwas mitbekommen, was du vermutlich wissen solltest. Es ist keine gute Nachricht für dich.« Er machte eine Pause und schaute beiläufig über seine Schulter. »Auf der anderen Seite der Schwarzen Eichen sollen wir uns mit einem Wandler treffen. Dort wartet einer auf dich. Spuk hat das erzählt.«

Jair wurde eiskalt. »Woher weiß er das?«

Spinkser zuckte mit den Achseln. »Vermutlich vorher so vereinbart. Jedenfalls dachte ich, daß du es wissen solltest. Morgen werden wir die Eichen hinter uns bringen.«

Morgen? Jair fühlte, wie seine Hoffnungen auf der Stelle verflogen. Wie sollte er bis morgen fliehen? Das war zuwenig Zeit! Er hatte geglaubt, zumindest eine Woche oder vielleicht mehr zu haben, ehe sie den unteren Anar und die Feste der Mordgeister erreichten. Aber morgen? Was sollte er nur tun?

Spinkser beobachtete ihn, als läse er seine Gedanken. »Tut mir leid, Junge. Mir gefällt das auch nicht.«

Jair suchte nach seinem Blick und bemühte sich, seine Verzweiflung nicht aus seiner Stimme herausklingen zu lassen. »Warum läßt du mich dann nicht laufen?«

»Dich laufen lassen?« Spinkser lachte tonlos. »Du vergißt wohl, wer auf wessen Seite steht, wie?«

Er nahm einen tiefen Zug aus der Bierflasche und seufzte. Jair beugte sich nach vorn. »Warum bist du bei ihnen, Spinkser? Du bist nicht wie sie. Du gehörst nicht zu ihnen. Du hast nicht...«

»Junge!« Der Gnom schnitt ihm scharf das Wort ab. »Junge, du weißt überhaupt nichts von mir! Nichts. Also erzähl mir nicht, wie ich bin und zu wem ich gehöre! Kümmere dich um dich selbst!«

Es trat ein langes Schweigen ein. In der Mitte der Lichtung saßen die anderen Gnomen ums Feuer versammelt und tranken Bier aus einem schweren Lederkrug. Jair konnte ihre scharfen Augen glitzern sehen, wenn sie von Zeit zu Zeit in seine Richtung schauten. Er sah, wie sich darin Mißtrauen und Furcht spiegelten.

»Du bist nicht wie sie«, wiederholte er leise.

»Vielleicht«, stimmte Spinkser ihm plötzlich zu und starrte in die Dunkelheit. »Aber ich weiß genug, um nicht gegen den Strom zu schwimmen. Der Wind weht aus einer anderen Richtung. Er hat sich gedreht und weht geradewegs aus Osten, und alles, was in seinem Weg steht, wird weggefegt werden. Alles! Du kannst noch nicht einmal die Hälfte von dem allem ermessen. Die Mordgeister stellen eine Macht dar, die mit nichts vergleichbar ist, was ich mir je hätte vorstellen können, und das ganze Ostland ist in ihrer Hand. Und das nur heute. Morgen...« Er schüttelte langsam den Kopf. »Das ist nicht die rechte Zeit für einen Gnomen, etwas anderes als ein Gnom zu sein.«

Er trank noch einmal von dem Bier und bot es dann Jair an. Der Talbewohner lehnte wortlos ab. Seine Gedanken arbeiteten wie rasend.

»Spinkser, würdest du mir einen Gefallen tun?« fragte er.

»Kommt drauf an.«

»Würdest du mir für ein paar Minuten die Fesseln an Armen und Händen abnehmen?« Der Gnom kniff die schwarzen Augen zusammen. »Ich möchte sie nur ein bißchen reiben und versuchen, wieder Gefühl in sie zu bekommen. Ich habe die Seile nun seit zwei Tagen um. Ich kann kaum mehr meine Finger fühlen. Bitte — ich gebe dir mein Wort, daß ich nicht versuchen werde zu fliehen. Ich werde keine Zauberei anwenden.«

Spinkser musterte ihn. »Dein Wort war bis jetzt etwas wert.«

»Das ist es immer noch. Du kannst mir Beine und Füße ja gebunden lassen. Gib mir nur einen Augenblick.«

Spinkser schaute ihn noch ein paar Momente lang an, dann nickte er. Er trat hinzu, kniete neben den Jungen aus dem Tal und löste die Knoten, die das Seil um seine Arme und Handgelenke hielten, bis seine Fesseln schlaff herabfielen. Emsig begann Jair sich zu massieren, rieb erst seine Hände, dann die Handgelenke, die Arme und schließlich seinen Körper. In der Dunkelheit vor sich sah er ein Messer in Spinksers Hand blitzen. Er hielt den Blick gesenkt und seine Gedanken geheim. Langsam knetete er sich durch und dachte die ganze Zeit über, laß ihn nichts merken, laß ihn nichts sehen...

»Nun ist es genug.« Spinksers Stimme ertönte grob und unvermittelt, und er zog die Seile wieder fest. Jair blieb ruhig sitzen und leistete keinen Widerstand. Sobald die Stricke wieder verknotet waren, trat Spinkser wieder vor ihn.

»Besser?«

»Besser«, erwiderte er ruhig.

Der Gnom nickte. »Zeit, etwas zu schlafen.« Er trank noch einmal aus seinem Bierbeutel und beugte sich dann vor, um die Fesseln zu prüfen. »Es tut mir leid, daß die Dinge sich so entwickelt haben, Junge. Mir gefällt das ebenso wenig wie dir.«

»Dann hilf mir zu fliehen«, bettelte Jair, und seine Stimme war ein Flüstern.

Spinkser starrte ihn wortlos an, seine derben Züge blieben ausdruckslos. Vorsichtig schob er Jair den Knebel wieder in den Mund und stand auf.

»Ich wünschte, wir wären uns nie begegnet«, murmelte er. Dann drehte er sich um und ging davon.

Im Dunkeln ließ Jair sich gegen die Eiche sinken. Morgen. Noch ein Tag, dann hätten ihn die Mordgeister. Ihn schauderte. Er mußte vorher fliehen. Irgendwie mußte er einen Weg finden.

Er atmete tief die kühle Nachtluft ein. Wenigstens wußte er nun eines, dessen er sich vorher nicht sicher sein konnte — etwas sehr Wichtiges. Spinkser hatte keinen Verdacht geschöpft. Er hatte Jair jene wenigen Augenblicke der Freiheit von den Fesseln gewährt — Zeit, wieder Leben in seine Gliedmaßen und seinen Körper zu massieren und Zeit, daß sie sich ein wenig von den Schmerzen und der Unbequemlichkeit erholten.

Und Zeit zu der Feststellung, daß er sich noch im Besitz der Elfensteine befand.

Zu schnell, so schien es, kam der Morgen,, da die Dämmerung grau und hart im Zwielicht der Schwarzen Eichen anbrach. Die Gnomen führten Jair nun den dritten Tag ostwärts. Bänke von Regenwolken, die von Norden heranrollten, schirmten die warme Berührung der Sonne ab. Ein rauher, kräftiger Wind pfiff durch die Bäume, und seine Kälte kündete den kommenden Winter an. Die in ihre kurzen Mäntel gehüllten Gnomen senkten die Köpfe gegen den Wirbel von Blättern und Treibsand und stapften weiter.

Wie kann ich entkommen?

Wie?

Die Frage kreiste unablässig in Jairs Kopf, während er sich abmühte, mit seinen Entführern auf gleicher Höhe zu bleiben. Jeder Schritt brachte ihn dem Mordgeist näher. Dieser eine Tag war alle Zeit, die ihm blieb. Irgendwie mußte er im Laufe des Tages eine Gelegenheit finden, sich lange genug aus seinen Fesseln zu befreien, um das Wunschlied anzuwenden. Er benötigte nicht mehr als einen einzigen Augenblick.

Aber dieser Augenblick sollte vielleicht niemals eintreten. Bis zu diesem Moment hatte er nicht daran gezweifelt. Aber die Zeit entglitt ihm so schnell! Nun war fast schon die Hälfte des Vormittags vergangen, und sie waren bereits mehrere Stunden unterwegs. Insgeheim schalt er sich, nicht die Chance genutzt zu haben, die Spinkser ihm am Vorabend verschafft hatte, als er zustimmte, ihn von seinen Fesseln zu befreien. Da war Zeit genug gewesen, seinen Entführern zu entkommen. Sie ein paar Augenblicke an Ort und Stelle festzunageln, indem er etwas so Scheußliches über sie hinwegkriechen ließ, daß sie an nichts anderes denken konnten, bis er seine Fußfesseln gelöst hätte, dann ein paar weitere Sekunden, um die Tonhöhe zu verändern, so daß sie ihn nicht mehr sehen konnten, und weg wäre er gewesen. Gefährlich, ja, aber er hätte es schaffen können — abgesehen natürlich davon, daß er sein Wort gebrochen hätte. Welche Rolle aber spielte dies einem Gnomen gegenüber?