Nun waren nur noch zwei der sieben am Leben. Der Fremde duckte sich und fintierte mit seinem Kurzschwert. Die Gnomen warfen einander einen raschen Blick zu und wichen zurück. Dann gewahrte einer Jair, der halb hinter Spinkser versteckt stand. Er ließ seinen Kameraden im Stich und tat einen Satz auf den Talbewohner zu. Aber zu Jairs Überraschung verstellte ihm Spinkser mit einem langen Messer in der Hand den Weg. Der Gnom heulte vor Wut auf angesichts des Verrats und riß seine eigene Waffe in die Höhe. Sechs Meter davon entfernt war der Fremde als wirbelnde Bewegung zu erkennen. Sein Arm streckte sich mit der unberechenbaren Geschwindigkeit einer Schlange, stieß nach vorne zu, und der Angreifer erstarrte mitten im Schritt, als ein langes Messer sich in seine Kehle bohrte. Er brach lautlos in sich zusammen.
Das genügte dem verbliebenen Gnomen. Ohne nach rechts oder links zu sehen, rannte er von der Lichtung weg und verschwand im Wald.
Nur Jair, Spinkser und der Fremde blieben übrig. Der Gnom und der Fremde musterten einander einen Augenblick lang wortlos mit gezückten Waffen. Der Wald um sie herum war still geworden.
»Ihr auch?« fragte der Fremde gelassen.
Spinkser schüttelte den Kopf. »Ich nicht.« Die Hand mit dem langen Messer sank an seiner Seite herab. »Ich weiß, wer Ihr seid.«
Der Fremde schien nicht überrascht, sondern nickte bloß. Mit seinem Schwert wies er auf die Gnomen, die ausgestreckt zwischen ihnen lagen. »Und was ist mit deinen Freunden?«
Spinkser wandte den Blick zu Boden. »Freunde? Doch nicht diese Kerle. Die Mißgeschicke des Krieges führten uns zusammen, und wir sind schon zu lange den gleichen Weg gegangen. Sie waren ein dümmlicher Haufen.« Seine dunklen Augen suchten den Blick des Fremden. »Für mich ist die Reise zu Ende. Zeit, eine andere Richtung einzuschlagen.«
Er faßte mit dem langen Messer nach hinten und durchtrennte Jairs Fesseln. Dann schob er das Schwert in die Scheide und zog den Knebel heraus.
»Sieht aus, als hättest du heute Glück gehabt, Junge«, knurrte er. »Du bist von Garet Jax gerettet, worden.«
8
Selbst in einem winzigen Südland-Dorf wie Shady Vale hatte man von Garet Jax gehört.
Er war der Mann, den man den Waffenmeister nannte — ein Mann, dessen Geschicklichkeit im Nahkampf so hervorragend war, daß er nicht seinesgleichen haben sollte. Gleichgültig, welche Waffen man wählte oder ob man nur mit Händen, Füßen und Körper kämpfte, er war besser als jeder lebende Mensch. Manche lobten ihn sogar noch höher — er wäre der beste, der jemals gelebt hätte.
Die Geschichten waren Legende. Wann immer die Gläser in den Stunden nach vollbrachtem Tagwerk kreisten, durch Reisende von weither in Dorfgasthäusern oder an Lagerfeuern und Kaminen, wenn die Nacht über die Versammelten niedersank und die Dunkelheit ein Band knüpfte, das irgendwie durch Gespräche verstärkt schien, dann wurden immer Geschichten von Garet Jax erzählt. Niemand wußte, woher er gekommen war; jener Teil seines Lebens blieb im Dunkel von Spekulationen und Gerüchten. Aber jeder kannte zumindest einen Ort, wo er gewesen war, und wußte eine Geschichte davon zu berichten. Die meisten von ihnen entsprachen der Wahrheit und waren von mehr als einem bezeugt, der dabeigewesen war. Einige waren allgemein bekannt und wurden im Südland und auch in Gegenden anderer Länder lang und breit erzählt.
Jair Ohmsford kannte sie alle auswendig.
Eine Geschichte, die älteste vielleicht, berichtete von Gnomenüberfällen in abgelegenen Dörfern von Callahorn in den östlichen Grenzgebieten. Nachdem sie von Grenzlegionen einmal zerschlagen waren, hatten die Räuber sich in kleine Grüppchen aufgeteilt — in den meisten Fällen Überreste von jeweils höchstens einem Dutzend Männern — welche die weniger befestigten Orte und Weiler weiterhin heimsuchten. Patrouillen der Legion zogen als Spähtrupps in regelmäßigen Zeitabständen durchs Land, aber die Räuber blieben in ihren Schlupflöchern, bis sie fort waren. Dann überfiel eines Tages eine Bande von zehn Männern ein Bauernhaus direkt südlich vom Zusammenfluß des Mermidons mit dem Rabb. Es war niemand da außer der Bauersfrau, kleinen Kindern und einem Fremden — selbst kaum mehr als ein Junge —, der dort Rast gemacht und gegen notwendige Hausarbeiten ein karges Mahl und ein Bett für die Nacht bekommen hatte. Er versteckte die Familie in einem Schutzkeller gegen Unwetter und trat den Räubern entgegen, als sie ins Haus einbrechen wollten. Er tötete acht von ihnen, ehe die restlichen beiden die Flucht ergriffen. Danach wurden die Überfälle seltener, hieß es. Und alle begannen von dem Fremden zu sprechen, der Garet Jax hieß.
Andere Geschichten waren gleichermaßen bekannt. In Arborlon hatte er eine Spezialeinheit der Bürgerwehr zu Verteidigern des Elfenkönigs Ander Elessedil ausgebildet. In Tyrsis hatte er mit Sondereinheiten der Grenzlegion trainiert und mit anderen in Kern und Varfleet. Eine Zeitlang hatte er selbst in den Grenzkriegen zwischen Zwergen und Gnomen gekämpft und Zwerge im Umgang mit Waffen ausgebildet. Eine Weile hatte er das untere Südland bereist und sich in Bürgerkriegen engagiert, die zwischen Mitgliederstaaten der Föderation tobten. Dort hatte er eine große Zahl von Männern getötet, hieß es; er hatte sich viele Feinde gemacht. Ins untere Südland konnte er nicht zurückkehren...
Jair riß sich von seinen Gedanken los, als ihm plötzlich zu Bewußtsein kam, daß der Mann ihn fast so anstarrte, als könnte er seine Gedanken lesen. Er errötete. »Danke«, brachte er heraus.
Garet Jax schwieg. Kieselgraue Augen betrachteten Jair noch einen Augenblick lang ausdruckslos, ehe er sich abwandte. Das Kurzschwert verschwand wieder in seinem Umhang, und der Mann in Schwarz machte sich daran, die Leichen der Gnomen zu untersuchen, die rings um ihn verstreut lagen. Jair beobachtete ihn einen Augenblick lang und warf dann Spinkser einen flüchtigen Blick zu.
»Ist das wirklich Garet Jax?« flüsterte er.
Spinkser schaute ihn finster an. »Sagte ich das nicht, wie? Einen wie ihn vergißt man nicht. Ich lernte ihn vor fünf Jahren kennen, als er Legionssoldaten in Varfleet ausbildete. Ich habe damals kurze Zeit für die Legion Spuren gesucht. Ich war stahlhart, aber neben ihm...« Er zuckte mit den Schultern. »Ich kann mich erinnern, da waren einmal ein paar harte Burschen ziemlich sauer, weil sie beim Training übergangen worden waren oder so etwas. Gingen von hinten mit Piken auf Jax los. Er hatte nicht einmal eine Waffe. Sie waren zu viert, und alle kräftiger als er.« Der Gnom schüttelte den Kopf, sein Blick war in die Ferne gerichtet. »Zwei hat er umgebracht, die anderen beiden zusammengeschlagen. So schnell, daß man es kaum mitbekam. Ich war dabei.«
Jair betrachtete wieder die schwarzgekleidete Gestalt. Eine Legende, hieß es. Aber sie gaben ihm auch andere Beinamen. Sie nannten ihn einen Mörder — einen Söldner ohne Treuepflicht, ohne Verantwortung außer gegenüber jenen, die ihn bezahlten. Er hatte keine Begleiter; Garet Jax reiste stets allein. Und auch keine Freunde. Dafür war er zu gefährlich, zu hart.
Warum also hatte er Jair geholfen?
»Der hier lebt noch.«
Der Waffenmeister beugte sich über Spilk. Spinkser und Jair schauten einander an und traten dann hinzu, um einen Blick auf den Gnomen zu werfen.
»Dickschädel«, murmelte Garet Jax. Er schaute hoch, als sie sich neben ihn gesellten. »Helft mir, ihn hochheben.«