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Gefangen, ausgestoßen und auf die Auslieferung wartend!

Er verdrängte den Gedanken. Dunkle Augen hoben sich kurz zu der leichten Aufhellung am östlichen Himmel und wanderten dann zum See zurück. Shea Ohmsford war einst vor vielen Jahren hierher gekommen, zusammen mit seinem Halbbruder Flick und den anderen der kleinen Gruppe, die aufgebrochen war, das Schwert von Shannara zu suchen. Es war prophezeit worden, daß sie einen verlieren würden, und so war es geschehen. Shea war die Wasserfälle an der Drachenfalte hinabgerissen worden. Der Druide erinnerte sich noch wohl an das Mißtrauen und den Argwohn, welche die anderen ihm gegenüber zeigten. Und doch hatte er Shea und Flick und Wil Ohmsford gern gehabt. Shea war ihm fast wie ein Sohn gewesen — wäre es vielleicht wirklich gewesen, hätte das Schicksal ihm vergönnt, einen Sohn zu bekommen. Wil Ohmsford war mehr ein Waffenbruder gewesen, der mit ihm zusammen die Verantwortung bei der Suche trug, durch welche der Ellcrys wiederhergestellt und die Elfen gerettet werden sollten.

Nachdenkliche Falten traten auf sein Gesicht. Nun war da Brin, ein Mädchen mit einer Macht, die alles überstieg, was dessen Vorfahren zu ihrer Zeit besessen hatten. Welche Bedeutung sollte es für ihn bekommen?

Er hatte nun das Seeufer erreicht und blieb stehen. Einen Augenblick lang schaute er in das unergründlich tiefe Wasser und wünschte... Dann hob er langsam die Arme zum Himmel; sein Körper verstrahlte Kraft, und der Hadeshorn begann ruhelos zu brodeln. Die Wasser zogen schnellere Kreise, begannen zu kochen und zu zischen, daß Gischt in die Höhe spritzte. Rings um den Druiden erbebte und polterte das öde Tal, als erwachte es aus einem langen, traumlosen Schlaf. Dann stiegen aus den Tiefen des Sees dunkle, schreckliche Schreie auf.

Komm zu mir, rief der Druide lautlos. Sei frei!

Die Schreie wurden höher, schriller, unmenschlich — gefangene Seelen, die aus ihrer Knechtschaft riefen, um erlöst zu werden. Das ganze düstere Tal erfüllte sich mit ihrem Klagen, und die Gischt der trüben Wasser des Hadeshorn zischten deutlich vor Erleichterung.

Komm!

Aus den wogenden, dunklen Gewässern erhob sich der Schatten von Brimen, sein magerer, skelettartiger Körper als durchschimmerndes Grau, im Leichenhemd und vom Alter gebeugt, vor dem nächtlichen Hintergrund. Die schreckliche Gestalt erstand aus den Wassern und blieb vor Allanon auf der Oberfläche des Sees stehen. Langsam senkte der Druide die Arme und schlug die schwarzen Gewänder eng um sich, damit ihm wärmer würde; innerhalb seiner Kapuze hob er das dunkle Gesicht, um nach den leeren, blicklosen Augen seines Vaters zu suchen.

Ich bin da.

Dann hob der Schatten die Arme. Obgleich sie Allanon nicht berührten, empfand er ihre kalte Umarmung ihn wie Tod umfangen. Langsam und sorgenvoll erklang die Stimme seines Vaters.

- Das Zeitalter geht zu Ende. Der Kreis hat sich geschlossen -

Die Kälte in ihm wurde schlimmer und ließ ihn wie zu Eis erstarren. Die Worte flössen weiter wie eins dahin, und obwohl er sie alle mit jedem schrecklichen Detail vernahm, waren sie aufgereiht und zusammengezerrt wie kräftige Knoten an einem Strick. Er hörte sie in stiller Verzweiflung an, hatte Angst wie niemals zuvor und begriff schließlich, was geschehen sollte, geschehen mußte und geschehen würde. In seinen harten, schwarzen Augen standen Tränen.

In furchtsamer Stille standen Brin Ohmsford und Rone Leah an der Stelle, wo der Druide sie zurückgelassen hatte, und beobachteten das Auftauchen von Brimens Schatten aus den Tiefen des Hadeshorn. Kälte durchbohrte sie, die von keinem umherfegenden Wind stammte, denn es wehte keiner, sondern von der Erscheinung des Geistes. Gemeinsam beobachteten sie ihn, sahen, wie er zerrissen und skeletthaft vor Allanon stand, und wurden gewahr, wie er die Arme hob, als wollte er den Druiden umfangen und seine schwarze Gestalt in die Tiefe zerren. Von seinen Worten hörten sie nichts; die Luft um sie her war erfüllt von den schrillen Schreien aus dem See. Das Gestein bebte und ächzte unter ihren Füßen. Wenn sie gekonnt hätten, wären sie geflüchtet und hätten nicht einmal zurückgeschaut. In diesem Augenblick waren sie überzeugt, daß der Tod entfesselt war und unter ihnen umging.

Dann hatte es unvermittelt ein Ende. Der Schatten von Brimen drehte sich um und versank wieder langsam in den trüben Gewässern. Die Schreie wurden schriller, zu einem angstvollen Jammern und verstummten dann schließlich. Der See brodelte und kochte erneut einen Augenblick, glättete sich dann, und schließlich zogen die Wasser wieder ihre friedlichen Kreise.

Im Osten brach der Scheitel der Sonne über den zerklüfteten Rücken der Drachenzähne und verströmte silbergraues Licht durch die ersterbenden Schatten der Nacht.

Brin hörte Rone deutlich aufatmen, und sie faßte nach seiner Hand. Am Rande des Hadeshorn fiel Allanon auf die Knie und verharrte so mit gesenktem Kopf.

»Rone!« wisperte sie heiser und wollte loslaufen. Der Hochländer packte sie mahnend beim Arm, eingedenk der Anweisung des Druiden, doch sie riß sich los und lief zum See. Augenblicklich stürzte er hinter ihr her.

Gemeinsam rannten sie zu dem Druiden, kamen schlitternd auf dem lockeren Gestein zum Halten und beugten sich neben ihm hinab. Er hielt die Augen geschlossen, und sein dunkelhäutiges Gesicht war bleich. Brin ergriff eine seiner großen Hände und stellte fest, daß sie eiskalt war. Der Druide schien sich in Trance zu befinden. Das Talmädchen warf Rone einen fragenden Blick zu. Der Hochländer zuckte mit den Schultern. Brin beachtete ihn nicht weiter, legte ihre Hände auf die Schultern des großen Mannes und schüttelte ihn sanft.

»Allanon«, sagte sie leise.

Die dunklen Augen öffneten sich flatternd und sahen in die ihren. Einen Augenblick lang durchschaute sie ihn klar. In seinem Blick stand schreckliche, unkontrollierte Furcht. Angst war darin zu lesen und Ungläubigkeit. Es erschreckte sie dermaßen, daß sie schnell von ihm zurückwich. Dann verschwand all das, was sie gesehen hatte; es wich dem Ärger.

»Ich wies euch doch an, ihr solltet dortbleiben.« Er stand unbeholfen auf.

Sein Unmut war ihr gleichgültig, und sie beachtete ihn gar nicht. »Was ist geschehen, Allanon? Was habt Ihr gesehen?«

Einen Moment lang schwieg er, und sein Blick wanderte noch einmal über die trüben Wasser des Sees. Er schüttelte langsam den Kopf. »Vater«, flüsterte er.

Brin schaute Rone rasch von der Seite an. Der Hochländer zog die Stirn kraus.

Sie versuchte es noch einmal und faßte leicht nach dem Ärmel des Druiden. »Was hat er Euch gesagt?«

Leere, schwarze Augen richteten sich auf die ihren. »Daß uns die Zeit zwischen den Fingern zerrinnt, Talmädchen. Daß wir von allen Seiten gejagt werden, und daß sich daran nichts ändert bis zum Ende. Das Ende steht fest, aber er mochte mir nicht offenbaren, wie es ausgeht. Nur, daß es kommen wird, daß du es miterlebst und daß du für unsere Sache gleichzeitig die Retterin und die Zerstörerin bist.«

Brin starrte ihn an. »Was soll das heißen, Allanon?«

Er schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht.«

»Sehr nützlich.« Rone richtete sich auf und wandte den Blick in die Berge.

Brin sah weiter den Druiden an. Da war noch etwas. »Was hat er sonst noch gesagt, Allanon?«

Doch wieder schüttelte der Druide den Kopf. »Nichts mehr. Das war alles.«

Er log. Brin begriff es sofort. Es war noch etwas anderes zwischen ihnen besprochen worden, etwas Finsteres und Schreckliches, das er nicht bereit war, preiszugeben. Der Gedanke machte ihr Angst, und die Gewißheit war ein Omen, daß sie ebenso wie ihr Vater und ihr Großvater zuvor zu einem Zweck benutzt werden sollte, den sie nicht durchschaute.

Ihre Gedanken kehrten zu dem zurück, was er davor geäußert hatte. Retterin und Zerstörerin ihrer Sache — beides würde sie sein, hatte der Schatten verkündet. Aber wie war das möglich?

»Eines hat er mir noch berichtet«, fing Allanon plötzlich wieder zu sprechen an, doch Brin fühlte, daß das nicht die Sache war, die er geheimhalten wollte. »Paranor befindet sich in den Händen der Mordgeister. Sie haben die Sperrvorrichtungen überwunden und den Zauber durchbrochen, der den Zugang sonst schützt. Die Burg fiel vor zwei Nächten. Nun durchsuchen sie die Säle nach den Geschichtsbüchern der Druiden und den Geheimnissen der Altforderen. Was sie finden, wird die Macht stärken, die sie bereits besitzen.«